Und ewig scheint die Sonne
Night Ranger bleiben mit Somewhere In California kalifornisch bis ins Mark
Notiz: Die Story basiert auf einem Telefoninterview, das ich mit Jack Blades fürs ROCKS-Magazin geführt habe
Bandfotos: Copyright Ash Newell Photography
Night Ranger auf Dienstgipfelhöhe beim ersten Rock am Ring Festival, Sonntag, 26. Mai 1985. Gegeben wird ›Don’t tell me you love me‹, die Eröffnungsnummer ihre Debütalbums Dawn Patrol von 1983. Da singt ein junger Jack Blades, gewandet in die Modesünden der damaligen Zeit, mit dem etwas übermotiviertem Bewegungsdrang eines B-Movie Darstellers. Die anderen sehen auch nicht besser aus und bewegen sich ebenso linkisch wie hektisch. Die Herren Gitarristen Jeff Watson und Brad Gillis springen auf die Rampen, duellieren sich mit ihren ultraschnellen Läufen, suhlen sich förmlich im Wohlklang. Diese Verbindung von Gitarrenattacke und sehr pop-affinem Songwriting ist das Alleinstellungsmerkmal der kalifornischen Kapelle, und am Schluss ruft Jack Blades „Thank You very much, we’ll see you again very soon“. Das mit dem very soon ist nichts geworden, denn Night Ranger sind in diesem Jahr zum ersten Mal seit 1985 in Deutschland zu sehen.
Aber mit dem aktuellen Album „Somewhere in California“ haben diese offensichtlich immer noch sehr sonnigen kalifornischen Männer nun wieder ein Liederbuch abgeliefert, das unverdünnt und unverblümt an den unschuldigen Hardrock-Pop-Pomp der achtziger Jahre anknüpft. Wenn man die Augen schließt, könnte man meinen, Jack Blades hätte diese knallenge rote Hose nie ausgezogen. Ob die Welt neues Material von Night Ranger braucht, ist für den Songschreiber eine Frage der Selbstachtung: »Wenn wir aufhören, neue Musik zu schreiben, dann hören wir auf, Musiker zu sein, Künstler zu sein. Das ist ja, wie wenn Picasso nichts mehr gemalt hätte, als er älter war, weil alle seine Frühwerke sehen wollten«.
Ist es gar eine Art musikalisches Peter Pan Syndrom? Das Männer ins Studio treibt, um Lieder zu singen, die sie so wohl mit 25 exakt genauso aufgenommen hätten? Da muss der heute 57-jährige doch sehr lachen, widerspricht aber auch nicht. »Wenn wir als Band in einem Raum zusammen kommen, da treibt jeder den anderen an, ich denke das hört man. Wir klingen nicht wie ein Haufen alter Männer, die ein Platte macht, nach dem Motto: lass es uns hinter uns bringen«. Sondern wie ein Haufen jung gebliebener Männer, in die wieder mal der „Spirit Of Rock‘ n‘ Roll“ gefahren ist. Besser kann er es nicht erklären, Gut vielleicht noch, dass ihn Ted Nugent als Bandkollege bei den Damn Yankees seinerzeit gezeigt hätte, was wirklich Energie ist, und: ja sicher, sie hätten ganz bewusst so klingen wollen wie zu Zeiten ihres Debuts Dawn Patrol
Sie klingen jedenfalls anders als 2007, als sie mit dem Album Hole in The Sun für einen Moment den Anschein erweckten, als wollten sie in Würde altern und auch mal die Zierleisten und Heckspoiler weglassen. »Ganz bewusst war die Entscheidung: lasst uns ganz viele Doppelgitarren haben«. Stand bei Hole in The Sun dafür Brad Gillis noch Jeff Watson zur Seite, wurde der 2008 durch den damals noch nicht einmal 40 Jahre alten Joel Hoekstra ersetzt. Ein vielseitiger Mann, der unter anderem die Leadgitarre in der Broadway Show „Rock Of Ages“ bedient und ,der 2010 mit dem Transsibirian Orchestra auf Tour war. »Der Witz ist, wenn wir aufnehmen, klingt Joel manchmal mehr nach Nightranger als der Rest von uns. Er hatte als Jugendlicher ein Poster von Brad und Jeff in seinem Zimmer, und er hat schon als sehr junger Typ die Acht-Finger-Tapping-Technik gelernt«.
Was ist mit den Balladen? Aber sicher, euer Ehren: ›The Time Of Our Lives‹ ist wieder so eine ganz große, 70mm Leinwand, Autokino, mit einem Text, der nur das hier und jetzt kennt, der beim Blick in deine Augen, Baby, die Welt drumrum nicht mehr sieht. Bis sich eine Bridge erhebt, über die königlich das Gitarrensolo Marke Brad Gillis hereingetragen wird, das ganz schnell ein paar spitze Schreie ausstößt und dann wieder in einen Strudel von Refrain plumpst. Kurz: klassischer Night Ranger Stoff à la ›Sister Christian‹ Aber Vorsicht: »Nachdem Sister Christian ein Erfolg war, wollte die Plattenfirma nur noch Balladen. Es folgten Singles, die alle Balladen waren. Das hat die Band 1989 praktisch zum Aufgeben gebracht. Das war gerade so, wie wenn man Steve Lukather, der ja ein großartiger Gitarrist ist, sagen würde er solle nur noch Songs wie ›Africa‹ spielen«. Blades sucht und findet seinen Ausweg zu etwas mehr kreischenden Gitarren in den Damn Yankees, zusammen mit Ted Nugent und Tommy Shaw von Styx. Die Ironie des Schicksals allerdings will es, dass deren größter Hit ›High Enough‹ wiederum eine Ballade ist.
Neben der Leidenschaft für Gitarrenquälerei teilen Jack Blades und Kelly Keagy die Liebe zu dieser kleinen Band aus Liverpool. Manchmal hört man es ihren Songs an, auf Somewhere in California hat besonders ›Live For Today‹ einen extremen Beatles-Touch, Spätphase. Man kann sich sogar eine Sitar dazu halluzinieren, obwohl da keine ist. »Wir dachten, wir machen einen Song wie einen Trip, es sollt anders sein, es sollte cool sein. Die Idee des Songs, so wie ich es empfinde, ist auf einem Blatt zu schweben, das von Wind weggeblasen wird oder einen Fluss runter zu treiben«. Also genau wie bei ›Lucy In The Sky With Diamonds‹? »Genau so!«. Blades hat Ringo Starr getroffen, und hat mit dem Beatles Schlagzeuger für dessen VH 1 Storyteller CD zusammengearbeitet. Joe Walsh war dabei, Simon Kirke. Ringo fütterte seine Kollegen tagelang mit Beatles Anekdoten, dann sitzt er plötzlich am Schlagzeug, während Jack ›Ticket To Ride‹ singt und sich fühlt wie im siebten Himmel. »Manchmal sollte man ja seine Idole nicht treffen, weil man enttäuscht sein könnte, aber ich genoss jede Minute. Ich war wie ein kleiner Schuljunge«.
Vorsichtig über den Tellerrand hinausgucken, das solle man schon. Kelly Keagy hat sich in einem Interview sogar einmal dazu bekannt, Bands wie Pearl Jam, Nirvana oder Soundgarden zu goutieren. Jack Blades findet das vollkommen okay. Fans, das ist ihm klar, sehen das oft etwas enger: »Manche Leute sind eben so. Sie wollen ihre Art Musik, sonst nichts. Das merkt man immer dann, wenn ihre bevorzugten Künstler etwas anderes probieren. Etwa, als U 2 auf Zooropa klingen wollten wie ein Disco-Band, da hat doch jeder gesagt: was ist denn hier los?« Dass die Frage je ein Night Ranger Fan stellen könnte, ist eher unwahrscheinlich.