„Sie feiern immer Fehden“
Ossi-Salon im Figurentheater „marotte“, Karlsruhe, 3.10.2016
Auch 26 Jahre nach der deutschen Wiederbereinigung sorgt der „Ossi-Salon“ im Figurentheater „marotte“ immer noch für ein ausverkauftes Haus. Dieses Mal gelang es insbesondere Jana Weichelt, Studentin der Hochschule für Darstellende Kunst Berlin, dem Rückblick auf den untergegangen Arbeiter- und Bauernstaat neue Facetten abzuringen. Sie schlüpft in ihrem turbulenten, collagenartigen Stück „Froh ist der Schlag unserer Herzen” in verschiedene Rollen: Sie ist die Putzfrau, die Dokumente aus der Vergangenheit entdeckt und dadurch in ihre Kindheit als Thälmannpionier eintaucht. Dabei spielt sie mit Hilfe von Puppen und Projektionen ein trickreiches Spiel mit Assoziationen, Fantasie und Wirklichkeit, das den Alltag einer Heranwachsenden in der DDR ausleuchtet. Da ist etwa das Mädchen, dessen Eltern in die Schule zitiert werden, weil das Kind Westfernsehen geguckt hat, im Bühnenhintergrund prangt das Honecker Porträt, manchmal leuchten die Augen.
Eine ganz andere deutsche Einheit ist die imaginierte Vermählung zweier DDR-Ikonen mit Weltniveau – des Kosmonauten Sigmund Jähn und die Eisprinzessin Kati Witt, die von dem Kommentar gekrönt wird: „Die Arbeiterklasse eilte an den Ostseestrand und drückte ihre Begeisterung durch rhythmische Sportgymnastik aus“. Thomas Hänsel, Chef der „marotte“, kann mit seiner 1500 Seiten starken Stasi-Akte sicherlich noch über Jahre hinweg unterhalten, erschrecken und ungläubiges Staunen hervorrufen. Etwa mit der Geschichte von den Tonbändern mit Biermann-Aufnahmen, die konfisziert und später – mit DDR-Schlagern überspielt – wieder zurückgegeben wurden. Er zitiert die hilflosen, oft schon sprachlich überforderten Inoffiziellen Mitarbeiter, denen Sätze entfleuchen wie „in seiner Position gibt es keine guten Dinge, die gut sind“. Kein Wunder, denn „die Gruppe trifft sich nicht mit Jugendlichen der Arbeiterklasse, sondern sucht sich nur welche, die intelligent sind“. Mit diesen Leuten gab es offenbar ständig wilde Feste, denn ein IM vermerkt „sie feiern immer Fehden“ und ein weiterer kommt zu dem Schluss „Thomas Hänsels Hobby ist Gruppensex“. Kann man darüber noch herzlich lachen, wird es schon ernster, wenn Hänsel sich ausmalt, dass die Herren von Horch und Guck in seiner sorgfältig verwanzten Wohnung in Zwickau eben auch Gespräche hätten belauschen könne, in denen es um Fluchtpläne in den Westen ging. Tragikkomische Züge wiederum hat IM Karin, die unbedingt Schlagersängerin werden wollte. „In der Akte steht, sie darf nicht über Bücher sprechen, weil sie davon keine Ahnung hat“, merkt Hänsel süffisant an. Den Abschluss bildet der allfällige Honecker-imitator. Jörg Schmidt. Sein Puppe sieht schon sehr weiss, sehr tot aus – aber sie kündet auch „26 Jahre nach dem Vereinigungsparteitag von Konsum und Rewe“ vom Sieg des Sozialismus, nachweisbar an der Qualität des Konsum-Brotes. Schließlich trotzte es aufgrund seiner Härte dem imperialistischen Aggressor.