Geht’s nicht in Rente! Bitte!
Thomas Pigor und Benedikt Eichhorn im Tollhaus, Karlsruhe, 12.2.2022
Seit 1995 könnte jede Rezension des Duos, dessen philosophisch-satirisch-absurd-komisches Wirken mit „Musikkabarett“ nur notdürftig beschrieben ist, mit diesem Satz beginnen: Thomas Pigor und Benedikt Eichhorn bieten nach wie vor das klügste, scharfsinnigste und aufs hinterfotzigste Musikkabarett, das man in Deutschland finden kann. Das trifft auch für das mit „Volumen X“ betitelte Programm zu.
Neu ist, dass Thomas Pigor viel Gitarre spielt. „Er hatte ja Zeit zu üben, und er hat geübt. Diesen einen Akkord“, kabbelt Begleitsklave Benedikt Eichhorn erwartungsgemäß. Damit laufe man Gefahr, die Veranstaltung könne in einen 70er-Jahre Liedermacherabend entgleisen mit allen Begleiterscheinungen wie endloses Gitarre stimmen, üppige Erklärungen zum folgenden Song und dann mindestens elf, zwölf Strophen.
Mit der „Verteidigung der Political Correctness“ nähern sich Pigor diesem Gefühl an, allerdings mit ganz anderen Inhalten. Einerseits heißt es da „es geht um Emanzipation und Rücksicht“, andererseits „Wir haben immer Sympathie, für ein bisschen Alltags-Anarchie und wir sagen echt manchmal Dinge, die sind nicht PC“. Lieber setzen sie sich zwischen alle Stühle als das Kabarett der Schuldzuweisungen zu bedienen. Bis auf den Moment, in dem Pigor eine Suada gegen Angela Merkels 16 Jahre währende Tatenlosigkleit entfleucht. Da wird er zum Gernot Hassknecht für Intellektuelle.
Das Chanson, ein von deutschen Künstlern wenig gepflegtes Genre, haben die beiden zu einer ungeahnten Blüte emporgepflegt. Reduktion auf das Unplugged-Format ohne zugespielte Konserven lässt diese Qualität noch zauberlicher leuchten. Es ist die kunstvolle Verzahnung von Musik und Text, dieses punktgenaue Ineinanderfügen, die rhythmischen Finessen und Stolperfallen, die geradezu hinterhältige Intonation, die nicht ein bisschen von den präzise formulierten Inhalten ablenken, sondern zum genauen Hinhören zwingen. Da erscheint es schon als – obzwar höchst ekstatische – Fingerübung, wenn aus Brels „Ne me quitte pas“ mit „Bitte verlass mich nicht“ das eklige Gejammer eines verschmähten Stalkers wird.
Was gibt es noch alles in dieser übervollen Wundertüte? Ein Basis-Lehrgang in Argumentationstheorie, in dem wir erfahren, wie man einen Gesprächspartner mit einer Argumentation ad hominem fertig macht. Eine Lektion in geschlechtergerechter Sprache, die das plattdeutsche Gendern empfiehlt: Von den „Pfarrers“ bis zu den „Lehrers“ – alle werden glücklich mit den Vorschlägen dieser schon fast altersweisen zwei „Künstlers“. Ein bisschen Alterswehmut schwingt dann schon mit, wenn sich Pigor in Konstantin Wecker verwandelt und vor perfekt intoniertem Wecker-Pathos triefend das Verdämmern der 68er-Träume beknödelt und mit dem Aufschrei endet: „Geht’s nicht in Rente! Bitte! Mir san doch die letzten Guatn!“ Man darf Pigor und Eichhorn durchaus verdächtigen, dass sie das vielleicht sogar ernst meinen könnten.