Apokalypse, pyromanisch

Rammstein in der Festhalle Durlach, Karlsruhe, 1996

Mein Schwiegervater ist ein kluger Mann, aber manchmal sagt er so komische Sachen wie: Rockmusik ist unheimlich, weil die äußeren Umstände eines Rockkonzerts ihn immer an die Aufmärsche der Nazis in seiner Jugendzeit erinnern. Bisher pflegte ich auf solche Verdächtigungen immer im Brustton der Überzeugung: „Ach Quatsch!“ zu antworten.

Aber jetzt bin ich da nicht mehr so sicher. „Die Betroffenheitsdebatte wird von politisch korrekten, übersorgten und ein wenig dümmlichen Gemütern geführt werden, die ETA Hoffmann, Edgar Allan Poe und den Marquis de Sade für Volksverderber halten….“, so steht´s im Produkt-Info der Plattenfirma. Das Produkt hängt seine Meßlatte ganz schön hoch, und das ist schon der erste von zehn Gründen, ein Rammstein-Konzert nach spätestens einer halben Stunde zu verlassen. Als übersorgtes und ein wenig dümmliches Gemüt befällt mich zweitens ein gewisses Frösteln, wenn die bulligen Türsteher der Rammstein-Security auf der Rückseite jeder Karte mit Grenzpolizisten Gesichtsausdruck einen „Echtheitstest“ zur Durchführung bringen. Könnte man unter Wichtigtuerei- aber auch unter Einschüchterung ablegen. (Gehört aber wahrscheinlich zum Gesamtkunstwerk). Drittens uniformiert sich das treue Publikum gerne mit dem netten Tour T Shirt, auf dem vorne „Rammstein“ und hinten „Ein Mensch brennt“ steht. Äh ja. Wenn ein Song, viertens, so anfängt, bringt er auch fünftens nicht viel Gutes ausser vielleicht der Erkenntnis „Rammstein- ein Massengrab“. Sextens hat die Band ein flottes Potpourri bunter Liebes-Liedchen in ihrem übervollen Koffer. Zum Beispiel „Bestrafe mich“. Der subtilen Symbolik streng verpflichtet (siehe Poe, Hoffmann usw…) peitscht sich der Mann siebtens ein bißchen aus. Der Mann den sie dahin gestellt haben, wo normalerweise ein Sänger steht, und der achtens so ähnlich singt, wie dieser Mann mit dem Schnauzbart aus dem netten Film von Charlie Chaplin spricht. („Der Große Diktator“ oder so ähnlich?). Seine sehr muskulösen und wohlgeformten Mitmusiker stehen stumm, auch der Mann in der Mitte steht stumm, wenn er nicht gerade wieder neuntens ein flottes Liebeslied wie „Bück dich – dein Gesicht interessiert mich nicht“ intoniert. Worte werden nicht ans Publikum gerichtet, dafür zielt man zehntens mit Flammenwerfern oder Raketen in den Saal, was erneut die subtile Ironie des Liedvortrages abstützt. Nochmal das Bandinfo: „Das neue Album heißt Sehnsucht und es gibt darauf Songs, die… ambivalent sind, provokativ, betürzend. es ist Metal mit Elektronik, aber von monolithischer Härte und Kohärenz noch konsequenter und kälter als auf „Herzeleid“. Eine kosmische Kälte, in der eine einsame, deformierte Stimme grollt.“ Aua, das tut weh. Und zeigt, wie kunstvoll sich totalitärer Mummenschanz zu verbrämen weiß. Und läßt trotzdem die Frage offen: Meinen Die das ernst oder ist es die schiere Lust an der Provokation oder einfach nur die nackte Geldgier? Letzteres wäre die angenehmste Erklärung. Übrigens: Rammstein ist aus Schwerin und Berlin. Dereinst hatte Erich Honecker verkündet: „Wir haben nichts gegen einen gepflegten Beat.“ Darunter wäre Rammstein zu Erichs Zeiten sicher nicht gefallen, und uns wäre das Produkt erspart geblieben