Der Botschafter der Lebensfreude
Roachford im Jubez Karlsruhe, 29.3.2022
„Gut, dass es in dieser Zeit Musik gibt und unabhängige Musikläden wie diesen hier“, sagt Andrew Roachford zu Beginn des Konzerts im Jubez. Man spürt: Sänger und Band sind richtiggehend heiß auf die Bühne, und das Publikum bewegt sich schon beim ersten Song. Es folgt „High On Love“ – und der Titel ist Programm: das wird ein Abend, an dem die Spielfreude, die Lebensfreude, die Liebe und das ungeschriebene Gesetz „wir zusammen gegen den Rest der Welt“ fröhliche Urständ feiert.
Roachford, seit 2010 auch Leadsänger von Mike and The Mechanics, hat mit seiner eigenen Musik mehr zu bieten, als der Rutherfordsche Wohlfühlpop zulässt. Seine Songs sind bunter, exaltierter. Im Konzert feiert er das Leben. Selbst die eher melancholischen Balladen strahlen soviel Energie und Freude aus, da müsste er selbst mit seinem entwaffnenden Lächeln nicht mehr nachhelfen. Es sind die Melodien, denen man sich nicht entziehen kann, die so eingängig und dennoch mit respektvollen Abstand zu den drei verbotenen Standardharmonien konstruiert sind. Es ist diese so seltene Melange, die Pop-Appeal mit kräftigen Gitarren oder handgespieltem, knochentrockenem Funk anfüttert. Selbst die Trauer über eine gescheiterte Beziehung verwandelt der 57jährige Londoner und seine extrem songdienlich spielende Band in ein wohliges emotionales Kuschelkissen. „Sie hat mich verlassen, aber der Song wurde ein Hit“ kündigt der „The Way I Feel“ an und fordert zum Mitsingen auf. „You don’t have to be Stevie Wonder or Aretha Franklin“ schmeichelt er , und Karlsruhe singt. Gerade auch in solchen Songs wissen die Sidemen, was zu tun ist: Sie vermeiden klebrigen Plüschsofa-Soul, und lüften stattdessen kräftig durch. Dabei ist Roachfords Gesangsstil die beste Versicherung gegen Kitsch: der Junge hat eine leicht angeraute „Schwiegermutterstimme“, weiß aber genau, wie weit man das „schön singen“ treiben kann. Er erlaubt sich ausschweifende Koloraturen nur dann, wenn es auch wirklich passt.
Er erlaubt sich auch mal eine ungewöhnliche Coverversion: Bill Withers’ „Ain’t No Sunshine“ wird zu einem gut geerdeten, kraftstrotzenden Midtempo Shuffle umgebogen, dass nur so die Funken sprühen. Ganz anders das minimalistische arrangierte „Ride The Storm“: Pianoakkorde bauen langsam Spannung auf. Der Reiz liegt in der beschwörenden Wiederholung der Titelzeile „Ride the storm, life goes on“. Es ist das Mantra eines unbeugsamen Mutmachers.
Nach einer starken Stunde geht die Band kurz ab und es folgt ein sehr ausgedehnter Zugabenblock – oder ist das der zweite Teil des Konzerts? Zuerst erlaubt sich Roachford eine intime Viertelsunde am Piano, spielt „Over My Shoulder“ von seiner „anderen Band“ an, haucht Springsteens „Dancing In The Dark“ schwarze Seele ein, um dann wieder die Puppen tanzen zu lassen. Sogar mit dem Oasis Hit „Wonderwall“ kann er etwas anfangen: Es tut gut , diesen Song mal nicht genölt, sondern gesungen zu hören.