Zur Erinnerung an Peter Rüchel.
Notiz: Ein Text von 2009, basierend auf einem ausführlichen Interview, erstmals veröffentlicht im ROCKS-Magazin. Ich hätte Rüchel damals gern persönlich getroffen, wäre zu ihm hingefahren…. aber er liess ausrichten, er habe keine Zeit. Dann wurde es ein Telefonat von zwei Stunden, war auch sehr gut. Trotzdem schade. Das Foto ist 2006 entstanden, bei einem Brunch zum 30. Geburtsag von BAP im WDR-Funkhaus in Köln. Ich habe mich vor lauter Ehrfurcht nicht getraut, ihn direkt um ein Foto zu bitten, mich dann aber doch herangeschlichen, mich in den Dreck geworfen als Unwürdiger, mich vorgestellt und ihm gedankt für all die erleuchtenden Rockpalast-Sendungen, die unsere Spätadoleszent aufhellten. Here we go….
23. Juli 1977: Die erste richtig lange Rockpalast Nacht in der ARD. Angeschlossen sieben Länder. Der damals 29jährige Peter Rüchel, er war gerade Leiter des WDR-Jugendprogramms geworden, hatte seinem damaligen Chef zwei Jahre zuvor den Vorschlag „gefilmtes Konzert, live“gemacht, und der hatte die Idee gut gefunden. Als Rüchel mit Regisseur Christian Wagner die Konzeption entwickelte, wollten sie weg von der Nummernrevue des Beatclub, weg von den Eingriffen der Regie durch allerhand Bildverfremdungen. Besonders Christian Wagner habe damals sehr puristische Vorstellungen gehabt, »wie sie Absolventen einer Hochschule gelegentlich haben, theoretischer Art: Dass die wichtigste Einstellung die Totale sein, weil sie demokratisch war, weil sie immer alle zusammen zeigte. Das war ja auch alles politisch damals«. Man einigte sich auf einen Mittelweg, der die Totale als Orientierung mit einbezog. Wenn es um Auswahl der die Bands ging, zogen sich die Herren in der Regel in ein badisches Hotelzimmer zurück: »Da hat der Christian Wagner mir dann einen möglichst schlechten Plattenspieler hingestellt, und ich habe gehört, was er mir vor-ausgewählt hatte. Der hat gedacht, nur was auf diesem beschissenen Plattenspieler noch gut klingt, ist gut«.
Zunächst gab es den Rockpalast nur im WDR Fernsehen, aber jetzt, in dieser Nacht der Nächte würden Rory Gallagher, Little Feat und Roger McGuinns Thunderbyrd auftreten. »Damals gab es noch einen Direktflug New York – Köln, der kam um 6.50 Uhr in Köln an. Und in dem Moment, als Lowell George in einem weißen Overall die Treppe runterkam, war das für mich ein unglaublich emotionaler Moment. Ich war da nicht mehr ein journalistisches Gegenüber. Das war eine Liebesbeziehung«. Diese Liebesbeziehung zwischen den Rockpalast-Machern und ‚ihren’ Künstlern war Voraussetzung, aber »es musste sich einklinken in die Akzeptanz des Publikums, sonst wäre wir nicht weit gekommen. Wenn man aber sagt: Okay, es gibt ein spezifisches Publikum, das bedienen wir jetzt… da haben wir den Bogen ja sehr weit gespannt, und manchmal haben wir ihn auch überspannt“. In der vierten Rocknacht im April 1979 schafften es die Macher erstmals, die Essener Grugahalle auszuverkaufen, bevor die auftretenden Bands bekannt waren. Damals gab es J. Geils Band, Patti Smith, Johnny Winter. Der Anfang vom Ende war die Nacht des 19. Oktober 1985, al The Armoury Show, Squeeze, die Rodgau Monotones und Ruben Blades gerade mal 3000 Zuschauer in die Halle lockten. Ruben Blades, räumt Rüchel heute ein, sei ein hervorragender Musiker, aber: „das Publikum wollte nicht Salsa, das Publikum wollte Rock’n’Roll, und mit Recht“
1995 kam der Rockpalast zurück ins Programm: Zunächst wurden Produktionen aus dem Archiv ausgestrahlt, dann gab es wieder Eigenproduktionen. Seit 2003 läuft der abgespeckte Rockpalast im WDR 3 Nachtprogramm in der Nacht von Sonntag auf Montag. Peter Rüchel, heute 72 Jahre alt, ist seit 2003 in Rente. Aber hinter den Kulissen arbeitet er seitdem an der Herausgabe der Rockpalast DVDs mit, bearbeitet die Bänder („Pre-Masters“) als Verhandlungsgrundlage zwischen den Firmen und dem Management der Künstler, die dann miteinander die Verträge machen. »Das bezieht sich auch auf Konzerte mit Gruppen, die nicht Namen der ersten Bundesliga sind«. Namen wie John Cippolina, der Quicksilver Messenger Service gegründet hat. Oder Jorma Kaukonen, der den Namen Jefferson Airplane erfunden hat. Zu den diesen „West Coast Legends“ gehört auch das Spirit Konzert vom 5. März 1978. »Ursprünglich waren in der Nacht die Kinks vorgesehen. Das klappte nicht, da waren so viele Friktionen in der Band. Wir hatten wohl sogar schon das Plakat mit The Kinks unterwegs, und so musste relativ schnell entschieden werden. Im Inneren Notizbuch on Christan Wagner stand seine Vorliebe für Spirit. Ich hab mich dann wie immer ans Telefon gesetzt, und hab dann irgendwo im Hinterzimmer des Whisky A Gogo auf dem Sunset Boulevard in Los Angeles jemanden aus dem Management erreicht. Spirit sind hinterher nicht groß geworden, aber es ist ein Konzert, an das sich viele erinnern. Randy California hat sich so reingekniet, dass er seine ganze Gitarre mit Rockpalast Stickern beklebt hatte…. Es passte«
Viele legendäre Konzerte sind bisher veröffentlicht: etwa die komplette Rory Gallagher Rockpalast-Collection oder die legendäre Konzerte von Mother’s Finest und Nils Lofgren. Aber manches wird für immer in den Archiven bleiben: »Wir haben damals immer nur Fernsehrechte erworben. Wenn man jetzt eine DVD machen will, muss man die Rechte neu erwerben. Es gibt Musiker, die ihr Konzert, nicht veröffentlicht haben wollen, zum Beispiel Peter Gabriel, der damals einen Stage Act hatte, der so minimal war. Da stand auf der Bühne eine große Leiter und die Musiker hatten diese Warnwesten der Straßenarbeiter an. So möchte er nicht mehr gesehen werden«. In Fall ZZ Top ist nach fast 30 Jahren so etwas wie ein Wunder passiert. Die Bärte spielten am 19. April 1980 in der Rocknacht. »Als ich ZZ Top zum ersten Mal in Chicago gesehen habe, und von Bill Ham, dem Erfinder des ZZ Top Konzepts gefragt wurde: Peter, wann sollen wir denn auf die Bühne gehen – und ich hab gesagt, ich denke mal, so gegen vier Uhr morgens, da war das für den erstmal ein Schock und er hat gesagt: Ja Moment, da sind doch alle eingeschlafen. Ich habe gesagt: Bei euch nicht«. Der Auftritt war der Durchbruch für die bis dato in Europa fast vollkommen unbekannte Band. »Als ich sie im Jahr darauf wieder getroffen habe, hat mir Dusty Hill ganz stolz erzählt; Wir waren in Stockholm, und sind auf der Straße angesprochen worden: Hey, wir haben Euch im Rockpalast gesehen. Ich bin später mit Billy Gibbons durch die Bluesclubs von Houston gezogen, und es stand immer wieder im Raum: Irgendwann werden wir die Rechte einräumen für die DVD«. Aber immer war entweder eine CD Box mit Greatest Hit auf dem Markt, oder die Videos der Band auf DVD, und man wollte sich nicht selbst Konkurrenz machen. »Dann erschien ja die Live in Texas DVD, und ich hab’ gesagt, okay das ist das Ende unseres Projekts, das Grugahallenkonzert auf DVD zu bringen. Und nun kam kürzlich erstaunlicherweise die Anforderung Wir wollen es haben«.
Sieben Jahre hatte Rüchel geackert, bis The Who im März 1981 in der Rockpalast-Nacht auftraten »Ich hab das zu dem Zeitpunkt vor allem deshalb geschafft, weil Fritz Rau nicht im Weg war. Einerseits waren wir recht gut befreundet, andererseits hatte er immer die Befürchtung: wenn eine meiner Bands in der Grugahalle auftritt, haben die so viele Leute gesehen, dass ich hinterher weniger Tickets verkaufe. Er legte das Geld auf den Tisch des Hauses und hatte somit das Sagen«. Bei The Who wollte allerdings zu diesem Zeitpunkt außer John Entwistle keiner auf Tour gehen. »Und so lief das dann: Wir kennen noch Peter Rüchel. Also machen wir jetzt die Rockpalast Nacht«. Dass das Konzert schließlich im Doppelpack mit der Wiederveröffentlichung der Dokumentation 30 Years of Maximum Rhythm and Blues erschienen ist, empfindet Rüchel als Ritterschlag.
Die Wertschätzung für Hardrock sei bei den Rockpalast-Machern dagegen eher gering gewesen, kritisieren manche Fans. Rüchel erzählt dazu zwei Anekdoten: »Du sag’ mir doch mal, warum nicht wir, hat mich Rudolf Schenker mal gefragt. Und ich hab gesagt: Nimm mal eine Rocknacht wie Ian Hunter, Bluesband, Joan Armatrading, ihr hättet als Headliner gespielt, und ich wäre konfrontiert gewesen damit, dass ich vom ersten Ton der Bluesband einer Halle gegenübergestanden hätte, die nur noch nach Scorpions gerufen hätte. Es war auch eine Frage der Dramaturgie. Die Scorpions wollten wir immer mal aufzeichnen, nicht in einer Rocknacht, aber sie waren die, die sich immer geziert haben, vor allem wegen der Live-Geschichte. Die sind ja nun keine so in der Wolle gefärbten Instrumentalisten«. Einmal stand Rüchel vor der Philippshalle, vor einem Konzert von Iron Maiden. »Ich wollte mir die einfach mal ankucken und war sofort umringt von den Nietenbejackten, hinreißende Leute zum Teil. Und die sagten: Hey Mann, was machst Du denn da immer für einen Scheiß? Ich sage: Was meinst Du mit Scheiss? Naja, Joan Armatrading! Ich sage: Wie fandste denn die Who? Ja, die Who waren gut. Wie fandste denn ZZ Top? Na die waren auch gut. Na also, ein bisschen was für Euch ist ja dann offenbar auch drin…«. Und inzwischen gab es Iron Maiden bekanntlich unter dem Rockpalast-Logo als Aufzeichnung von Rock am Ring zu sehen.
Das 21. Jahrhundert machte den Kampf um Programmplätze für Live-Musik generell schwieriger, besonders dann, wenn man wieder einmal einen Rockpalast im ersten Programm unterbringen wollte. Peter Rüchel blieb hartnäckig seinen Traumkünstlern auf der Spur. 2002 bei Rock am Ring gab es nach 20 Jahren endlich die Möglichkeit, Neil Young zu übertragen. Rüchel flog zur Programmdirektion und saß dem Mann gegenüber, der für die Absetzung der ersten Serie des Rockpalast zuständig gewesen war. »Ich sagte: Herr Dr. Struve, seien Sie kühn: Tagesschau, Wetterkarte, Wort zum Sonntag, Rockpalast mit Neil Young. ‚Ich weiß nicht, Herr Rüchel, ob ich das für so’ne gute Idee halte’. Das wäre so 22.30 Uhr gewesen. ‚Was ist denn sonst noch im Programm an diesem Tag? 20.15 Musikantenstadl, also Herr Rüchel, soviel Musik zur Prime Time, nee, also das geht glaube ich nicht’. Ich kriegte dann einen ARD Termin, der fing spät nachts an. Es lief auch noch ein ellenlanger Spielfilm. Ich habe versucht, die ARD Filmredaktion dazu zu bringen, einen kürzeren Spielfilm einzusetzen, aber der lange musste gesendet werden weil die Lizenz ablief…«