Erbarme! Wieder mal so’n hysterisches Fest

Rodgau Monotones im Jubez, Karlsruhe, 2004

Notiz: Es lässt sich nicht mehr verifizieren, wann genau das Konzert war. Ich war aber damals dermassen begeistert, dass sich eine der besten Live-Bands Deutschland überhaupt mal ausserhalb der hessischen Landesgrenzen auf eine Bühne getraut hat. Fotos habe ich damals nicht gemacht, die hier gezeigten Live-Bilder entstanden zehn Jahre später in Frankfurt bei einem Free Concert vor der Alten Oper. Aber die Musiker sahen 2014 keinen Tag älter aus als 2004.

Es gibt Zeiten, in denen vergisst man vor lauter Kunst, Anspruch und Innovation die dringende und niemals obsolete Pflicht zum Rock’n’Roll. Solche Zeiten bedürfen einer umgehenden Verpflichtung der Rodgau Monotones. Das Jubez ist diesem Ruf nach 26 Jahren Bandexistenz nunmehr endlich nachgekommen, und hat seit Freitagabend eine neu justierte Statik. Vom ersten Ton an machen Raimund Salg und Ali Neander klar, wo der Bartel den Bembel holt: im Lande der Gitarren nämlich. Die beiden Herren haben zusammen den dreckigsten Rock’n’Roll Gitarrensound östlich von Texas. Und sie sind laut, sehr laut. Das Tourmotto 2004 lautet denn auch: „Taub und verwirrt“.

„Ei Gude wie“ in zum Shuffle umgebogener Form macht den Anfang, und ab Song Nummer drei hängt Salg schon lässig die Fluppe im Mund. Zeit zu entspannen: Hier ist Heimspiel, obwohl sie noch nie da waren. Peter Osterwold und Kerstin Pfau teilen sich die Gesänge, was besonders bei Nummern wie „Zigeunerschnitzel“ amüsiert: Eine schwermetallisch-bluesige Vermurkelung von Alexandras „Zigeunerjunge“ mit Udo Jürgens’ „Es wird Nacht Senorita“. 

Das Hauptanliegen der Rodgaus ist Geradlinigkeit: Trommler Mob Böttcher und Basser Joki Becker spielen so songdienlich und mächtig, so schnörkellos und unprätentiös, dass sich das ganze Gebrüll drüber treffend teufelsgleich entfalten kann. Bei „Bullermann“ wähnt man gar, dass die drei Texaner mit den Bärten dergleichen heutzutage nicht mehr so exakt-lässig hinbekommen würden, und wenn Osti das Publikum zum Chor des Abends: „Schwarze Eier aus Athen“ verführt, dann. Dann? Ist Hochkomik mit Weltschmerz und Dezibelspaß aufs Dreifaltigste versöhnt. Bei „Mein Freund Harvey“ halten entfesselte Pfälzer Fans, die bereits tags zuvor ihr massenhaftes Kommen im Gästebuch der Kapelle angekündigt hatten, eigens vorbereitete Schilder hoch. Das nennt man Musikerbindung. Ziemlich junge Menschen übrigens, diese Fans. „Silberhochzeit“, der Song zum 25jährigen Bandjubiläum 2003 macht pathosfrei klar, worum es hier geht: Um den nie endenwollenden, eigentlich nicht stattfindenden, jetzt gerade mal wieder abgeblasenen und verschobenen Abschied von der Jugend. Um die Sehnsucht nach endlosen durchzechten Nächten mit billigem Fusel, turmhoch vollgerauchten Aschenbechern und schlechten Autos mit netten Beifahrerinnen. Mädels, die auch Bier trinken können. Kerstin Pfau trinkt Bier, so gegen Schluß. Dann stellt sie den Fuß auf die Monitorbox. „Highway To Hell“. Hier, ich kann lauter brüllen als die Jungs. Wird sie gleich platzen? Oder bringt Mattl Dörsam bei „Normale Härte“ das Saxophon zum Platzen? Zwei von vielleicht einem halben Dutzend Zugaben. Ja, abber siche, „Die Hesse komme“ is aach dabei. Erbarme! Taub und verwirrt schwankt die Menge heimwärts, nachgrübeln über schwarze Eier aus Athen.

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