Die Europahalle liegt am Loch Lomond

Karlsruhe, Europahalle, 14.5.2010

Spätestens seit 2007 und dem Album „Everything You See“ hat sich die schottische Nationalinstitution Runrig neu definiert: Als zupackende Rockband, die sich nicht auf den Lorbeeren der 80er Jahre ausruht, aber auch ihre Folkwurzeln nicht verleugnet.

„This Darkest Winter“, der Konzertopener, stammt noch aus der Ära von Sänger Donnie Munro und passt hervorragend ins nachfolgende Programm, das fast vollkommen auf Material aus der Zeit nach Munro setzt. Die Band strotzt vor Spielfreude und Selbstbewusstsein, hier braucht es keine Nostalgietrips, um die rund 4500 Zuhörer in der Europahalle zu begeistern – und das alles bei Hardrocklautstärke und exzellentem Sound. Ein markantes Riff donnert durch die Halle: „It’s good to be young and daring“, singt Bruce Guthro in „Pride of the Summer“ und wer beim Refrain „Beat The Drum“ noch nicht in der Spur ist, sollte einen Arzt konsultieren.

Runrig sind immer noch eine schottische Band, nicht einfach eine Band aus Schottland das Keltische ist „subkutan“ hörbar auch unter diesen mächtigen Wänden teils brachialer, teils Pink Floyd-verwandter Gitarren, diesen pompösen orchestralen Arrangements aus der mehrstöckigen Keyboardburg und all den schmachtenden Harmoniegesängen. Kitsch? Natürlich, aber aufrichtig und mit Inbrunst vorgetragen und immer zum Weinen schön. Zweiflern sei empfohlen, einmal das 2000 Seelen Nest Portree auf der Isle of Skye zu besuchen, wo die Band herkommt. Da genügt es, die salzige Luft zu atmen, um man hört Runrig Kino im Kopf. Oder man schaue sich die DVD „Year Of The Flood“ an, in dem die Band auf einem Acker in Drumnadrochit am Loch Ness im sintflutartigen Regen vor 17.500 schlammverklebten Fans spielt. Das faszinierende und besondere ist: Es funktioniert nicht nur da draußen in den Highlands, wo die Band immer mehr galt als Michael Jackson oder Madonna. Runrig Konzerte sind emotionale Kulthandlungen, da wird selbst eine eher unterkühlte Schüssel wie die Europahalle zu einer Kathedrale, in der aber neben verklärter Andacht auch ausgelassene Lebensfreude ihren Platz hat. Etwa in einer schier endlosen Trommelorgie, bei der zwei Drittel der Band sich mit einer Mischung aus der Kraft einer schottischen Marching-Band und dem wohlarrangierten Furor japanischer Trommelartisten in Rage spielen.

Die Konzertdramaturgie, spielt neben musikalischen Steigerungen und Brüchen auch mit dem Einsatz von Licht und Filmen. Sindie ersten, treibenden Rocknummern in kühles blaues Licht getaucht, öffnen sich später ständig neue Hintergrundlandschaften. Wasser, viel Wasser, noch mehr Wasser: Sturmumtoste Küsten, dann wieder die kahlen Glenns der Highlands. Ach, es greift einem ans Herz. Runrig haben nah ans Wasser gebaut, in jedem nur denkbaren Wortsinn. „The Mighty Atlantic“ ist eines dieser Dramen: 1773 segelte die Hector, ein kleines Schiff von Ullapool mit 189 Passagieren an Bord Richtung Westen. Menschen aus den schottischen Highlands, die ein neues Leben suchen. Dort, wo sie ihre gälische Spreche sprechen konnten und ihre Lieder singen. Drei Monate dauert die harte Überfahrt, nicht alle kommen durch. Die Überlebenden nannte ihre neue Heimat Nova Scotia „The Mighty Atlantic“ ist der Höhepunkte des Konzerts. Klanglandschaften in prallen Farben: pathetische Melodie und ein zwingender Groove, der die Wellenbewegung des Ozeans adaptiert. Derweil von ferne der Verdacht keimt, dies alles sei nur die Vorbereitung des finalen Gemeinschaftserlebnisses eines jeden Runrig Konzertes: des Moments, in dem sich Menschen weltweit dazu versteigen, lauthals zu singen „You take the high road, and I’ll take the Low Road – and I’ll be in Scotland before you. Where me and my true love will never meet again. On the bonnie bonnie banks of Loch Lomond.“