Ein Meister des Erzählens

Rafik Schami, Ettlingen, Grünhaus der Stadtwerke, 20.11.2017

Rafik Schami ist immer für sein Publikum da. Es ist eine Liebe auf Gegenseitigkeit. Man spürt sie, noch bevor die Lesung beginnt. Schon jetzt signiert er Bücher, redet mit den Menschen und freut sich ganz besonders über einen Jungen unter seinen Fans: „Das ist doch wunderbar! Ein Kind, das abends zu einer Lesung kommt.“ Obwohl: Lesung ist nicht ganz das richtige Wort. Bevor Rafik Schami ein Buch veröffentlicht hatte, trat er vor sein Publikum, und erzählte.

So macht er es im Prinzip noch heute. Mit seinem aktuellen Roman „Sami und der Wunsch nach Freiheit“ war er am Montagabend auf Einladung der Ettlinger Thalia-Buchhandlung im Grünhaus der Stadtwerke zu Gast. Es basiert auf der Geschichte, die ihm Scharif, ein 2012 nach Deutschland geflüchteter Syrer, erzählt hat. Die Geschichte von Scharif und Sami, die in den Gassen von Damaskus wie Brüder aufgewachsen und sich 2011 der Rebellion gegen das Regime anschliessen. Die Hauptperson ist Sami, oder „der Narben-Sami“, wie sie ihn nennen. Jetzt wird es spannend. Der Kerl hat Narben am ganzen Körper. Warum? Der Autor zählt erstmal einige davon auf: „die Narben der Katze, des Hundes, die der Liebe – und eine hiess sogar Quittengelee. Wenn wir Zeit haben, erzähle ich Ihnen das später“, meint er verschmitzt. Er wird sein Versprechen halten.  

In 80 Minuten erzählt er den 330-Seiten-Roman. Immer wieder schweift er zur Begeisterung der Zuhörer ab und sagt Sätze wie „Soll ich eine Geschichte über Bestechung erzählen? Ich kann sie auch überspringen, das macht mir nichts aus“, schmunzelt er, wohl wissend, dass seine Zuhörer genau das jetzt hören wollen. Die Geschichte vom Schuldirektor, der Sami bittet, sein Vater (der Schäfer ist) möge ein Lamm für ihn groß ziehen und gut füttern. Sami macht bei dieser Bestechungsaktion mit und bleibt in Zukunft von allen Belästigungen und Gewalt an der Schule verschont. Das liest sich auch im Buch spannend, weil Schami einen Ton trifft, der den Erzähler, der vor Publikum steht, erlebbar werden lässt. Dennoch ist es nicht das Gleiche, denn – so Schamis Credo: „Mündliches Erzählen lebt vom Charme des Augenblicks. Dabei behält er stets alle Handlungsstränge im Griff und lässt seine Figuren lebendig werden. Er ist dabei ständig in Bewegung, malt das Damaskus der beiden Jungs und ihre Erlebnisse mit großen und kleinen Gesten in die Luft. Ganz nebenbei zeichnet malt er ein Bild der Stadt und ihrer kleine Geheimnisse. Etwa, wenn er vom „Palast, in dem die Zeit wohnt“ erzählt. Gemeint ist das öffentliche Bad, in dem die „älteren Frauen den jüngeren Frauen beibringen, wie sie die Gewalt der Männer aushöhlen“. Natürlich will das begeisterte Publikum eine Zugabe, die der Schriftsteller augenzwinkernd so ankündigt: „Ich erzähle Ihnen jetzt noch spontan eine Geschichte, die ich sehr gut vorbereitet habe“.