Hildebrandt auf die Bühne bingen? Geht nicht? Geht doch!

Am 17. Juni 2021 war der Schauspieler Walter Sittler (u.a. „der Kommissar und das Meer“) zu Gast bei der Kulturhalle Remchingen. Unter dem Motto: „Ich bin noch da“ las und spielte er Texte von Dieter Hildebrandt. Er blieb dabei durchaus Walter Sittler, aber näherte sich Hildebrandt in Mimik, Gestik und Sprechtempo immer wieder vorsichtig und respektvoll. Das Programm zeigte dabei die Vielseitigkeit des Hildebrandt’schen Kabaretts: Vom politischen Störungsmelder bin hin zum Beobachter der alltägliche Imponderabilien des Lebens, die etwa dem leidenschaftlichen Bahnfahrer Hildebrandt schwer zu schaffen machten. Vor der Veranstaltung hatte ich Gelegenheit, mit Walter Sittler über Hildebrandt, Satire und das Kabarett im allgemeinen und besonderen zu sprechen.

Herr Sittler, die ganz banale Einstiegsfrage zuerst: was verbindet Sie mit Dieter Hildebrandt?

Ich habe ihn persönlich nie gesprochen. Ich habe ihn natürlich auf der Bühne gesehen, aber ich bin dann nicht zu ihm hingegangen. Das hätte ich machen sollen. Dieter Hildebrandt ist eine großer Fan von Erich Kästner, ein großer Fan von Lessing. Beides Autoren, die mir sehr liegen: Die Art, wie sie denken, wie sie reden, wie sie die Dinge betrachten und beschreiben. Dass sie mühelos unter die Oberfläche gehen, ohne Rechthaber zu sein. Das gefällt mir. Wer recht hat, schreibt schlechte Bücher, hat Tschechow gesagt. Leider. Ich hätte es gerne gesagt. Und dann hat es sich ergeben, dass ich angefragt wurde, ob ich sein letztes Buch auf die Bühne bringen will, da war er schon tot.Ich war völlig überrascht und meinte: Es gibt doch genügend Kabarettisten, die das wahrscheinlich besser können als ich. Aber seine Frau sagte: Nee, sie wollte keinen Kabarettisten haben, weil die schon eigene Figuren haben, die sehr präsent sin. Das stimmt auch, die Guten sind alle so, und der Dieter Hildebrandt hatte sehr genau mitbekommen, was wir in Stuttgart gegen den Bahnhof angestellt habe. Wobei wir da auch einen Haufen Fehler gemacht haben, aber da habe ich gedacht: Wenn der das sagt, kann das so falsch nicht gewesen sein. Dann habe ich gedacht: Hildebrandt auf die Bühne, das geht nicht. Der Impresario, der das mit mir macht, hat aber gesagt: Doch, ich weiss, dass das geht. Mach das mal! Weil – ich hab’ einmal bei einer Gedenkveranstaltung für ihn ein paar von seinen Texten vorgetragen. Da war die ganze Garde der Kabarettisten da und die haben zu mir gesagt: Bist Du wahnsinnig? Ich habe geantwortet: Wieso? Ich bin gefragt worden. Dann hat es geklappt und ich habe gesagt: Gut, ich mache es einmal, im Schlossparktheater, und du wirst sehen: Es geht nicht. Und jetzt ist es die 91. Vorstellung.

Nun kann man ja Texte von Dieter Hildebrandt auf der Bühne lesen und Szenen spielen. Aber seine Improvisationen, die er oft über eine halbe Stunde zu Beginn seiner Auftritte machte, die lassen sich ja nicht „rekonstruieren“……

Das kann man nicht, das darf man auch nicht. Denn das ist seine Spezialität. Aber ja, man kann seine geschriebenen Texte oder auch die gespielten Texte – die habe ich zum Teil auch abgeschrieben aus Nummern, die ich gesehen habe – das kann man schon bringen. Und seine Frau, die mich das erste Mal gehört hat bei der Übergabe seiner Schreibmaschine an das Kabarett-Museum in Mainz, kam mit großen Vorbehalten. Das hat sie mir aber Gottseidank erst nachher gesagt. Eigentlich hatte sie gedacht, sie würde überhaupt nie mehr seine Texte auf der Bühne hören wollen von irgendjemand. Aber dann meinte sie: Doch das geht. Ich habe mir gedacht: Okay, wenn sie das sagt, bin ich nicht ganz falsch.

Nun gibt es ja heute unter dem Begriff Satire eine so große Diversifizierung. Das geht von Jan Böhmermann, der ja fast schon eine Art Polit-Aktivist ist auf der einen Seite bis hin zur Comedy in allen Schattierungen auf der anderen Seite. Wo bleibt da das klassische politische Kabarett, für das ja Hildebrandt wie eine Leuchtturmfigur stand?

Es wurde schon oft totgesagt und trotzdem kommen alle immer wieder zur Beerdigung, hat er mal gesagt. Man muss da unterscheiden. Ein politischer Aktivist wie Böhmermann ist kein Kabarettist in dem Sinne. Und es gibt immer noch einen Haufen guter Kabarettisten. Und Comedy ist wiederum auch kein Kabarett, wenn die es so nennen. Denn Comedy macht sich lustig über alles mögliche, auch über sich selbst, das ist auch okay. Aber beim Kabarett geht es immer drum aufzuzeigen, was sind die Ströme da drunter, warum passiert das. Aber eben nicht: ich weiss, wie es geht, nun schaut mal. Sondern Kabarett wundert sich. Wundert sich über den Irrsinn. Und das tun Comedy-Leute nicht. Die machen mehr oder weniger gute Witze. Manche sind ganz toll, manche nicht so. Dann gibt es die Stand Up in den USA, das ist ein bisschen was anderes, als was wir hier haben. Das hat der Hildebrandt nicht gemacht, auch wenn er improvisiert hat. Er ging immer unter die Oberflächen: Was ist denn da wirklich? Ohne zu hauen, sondern: Hä? Hä? Das ist das, was Kabarett ausmacht.

Hildebrandt hat in einem Programm, mit dem ich ihn 2006 gesehen habe, mal gesagt: „Wir bewegen uns auf den Punkt zu, an dem wir überhaupt nichts mehr wissen, aber alles glauben wollen.“ Den Satz finde ich dermassen aktuell, und ich fürchte, wir sind jetzt vielleicht schon über den Punkt hinaus?

Ja, ich würde sagen, da bin ich etwas optimistischer als Sie. Es gibt natürlich welche, die alles glauben wollen. Das ist aber eine relativ kleine Minderheit. Nur sie ist so laut, dass man denkt, das sind alle. Das stimmt aber nicht. Wenn Sie sich mal anschauen, was jetzt in diesen wirklich schwierigen Zeiten passiert ist: Die weit überwiegende Mehrheit hält sich dran, macht’s einfach und die zehn, 15 Prozent schreien, als wenn sie 100 Prozent wären und reden ausschließlich dummes Zeug. Auf die trifft der Satz zu, und wir müssen aufpassen, das die nicht mehr werden. Es ist wie bei den Rechtsradikalen, die auch gerade überall im Aufwind sind, aber zu sagen haben sie nichts.

Man ertappt sich natürlich schon dabei, dass man sich fragt, was Hildebrandt zu Themen wie Corona, Rechtsruck, Trump sagen würde….

Das habe ich mich auch gefragt. Deshalb muss ich bald mit dem Programm aufhören. Denn es ist so viel passiert, wozu es keine Texte von ihm gibt. Allein der amerikanische Präsident, oder dass die Merkel immer noch da ist…. Die er übrigens nicht nur auseinander genommen hat. Er hatte durchaus Respekt für das, was sie tut. Das macht eben auch einen Kabarettisten aus: dass er sehr genau unterscheiden kann, wo Unsinn gemacht wird und wo man dem politischen Gegner auch sagen muss: Das war gut. Da hatte er überhaupt kein Problem damit. Und unsere politischen Parteien haben ja andauernd alle recht, und es nervt.

Gibnt es Kabarettisten die sie in der Traditionslinie zu Hildebrandt sehen würden?

Volker Pispers oder Georg Schramm….

Aber die haben ja aufgehört. Pispers sagte: ich kann meine Programme von vor 20 Jahren genauso spielen, es hat sich nichts geändert….

Das erstaunliche ist, dass ihm das jetzt erst auffällt. Er wollte halt immer was Neues machen, das verstehe ich auch. Ir spiele gerade Nathan der Weise in Schwäbisch Hall auf der Treppe. Wenn Sie das lesen, denken sie: Was ist eigentlich in den letzten 200 Jahren passiert? Was haben wir eigentlich gemacht? Wir sind keinen Schritt weiter gekommennd trotzdem spielt man, trotzdem redet man. Nehmen wir Georg Schramm, der immer noch auftritt, sehr selten leider. Der wollte nicht mehr, da gibt es aber andere Gründe dafür. Der ist ein beinharter Kabarettist, der ist so schlau, der weiss so wahnsinnig viel und kann die Zusammenhänge herstellen. Und er ist auch einer, der sich selbst in seinen unangenehmsten Figuren wundert. Und er gibt seiner Verwunderung Ausdruck, manchmal als Hauptmann oder als der Einarmige, so dass das richtig schmerzt.

Er kann einem Angst machen.

Ja, aber nicht weil er gefährlich ist, sondern weil er das analysiert und vor Dich hinlegt mit der Frage: Was machen wir hier eigentlich?

Vielen Dank für das Gespräch!