Eingestellt am 27.9.2025
Wie viele Romananfänge hatte ich schon geschrieben, und kein Roman war je daraus entstanden. Gut sie waren alle nicht so schlimm wie der: „An diesem Tag sollte James Wristband-Mapplethorpe eine Abkürzung suchen, die er nie finden würde.“ Auch nicht so schlimm wie der: „Jaromir Poggenpöhler war nun in einem Lebensalter angelangt, in dem man wehmütig den Produkten seiner Verdauung hinterherschaute, bevor sie im Strudel verschwanden. Wie lange noch würde…“ Oh Gott. Das haben sie jetzt bitte schon wieder vergessen. Einer gefiel mir besonders, doch auch daraus wurde kein Roman, aber immerhin das ….
Der junge Mann durchstreifte einen herbstlichen Birkenwald, vor ihm lag, aber das konnte er noch nicht sehen, eine Burgruine aus dem elften Jahrhundert. Das allerdings spielt für das Verständnis der folgenden Ereignisse, die ich hier in Kürze darlegen will, keine Rolle. Es sieht aber schwarz auf weiß irgendwie gut aus, wenn ich das so hinschmiere. Fast wie Literatur. Ja, es schreit nach literarischer Überhöhunh. Links neben ihm fiel der Waldboden steil und felsig ab. Ein paar hundert Meter dann der Fluß unten.
Schreibt man das so? Ist das lakonische Spache?
Trotz Herbst stank der Wind sehr fehlzeitig. Nach Frühling fein und Schweinerei tandaradei. Das wollte der junge Mann, dem Gott ein feines Näschen schon gegeben hatte, aber gar nicht riechen. Er pfetzte ja schon förmlich die Nase, die intellektuelle, zu. Doch es half alles nichts. Eine Weggabelung noch, dann ein Lichtstrahl, und in diesem himmlisch herben Schein: Die Burg. Der junge Herr hielt inne, und entfaltete seine Wanderkarte. Es würde sicher kein Problem darstellen, in wenigen Minuten zu Fuß zu der Burg zu gelangen, wenn er nur weiter frohgemut ausschritt. Noch ein paar Meter legte er zurück, da tat sich ihm ein Hindernis auf und in den Weg: Ein Fluß, breit und einsam. Der Fluß war an dieser Stelle vollkommen und abgrundtief sinnlos, denn er konnte nirgends herkommen, es sei denn, er floß bergauf. Das war in der Tat der Fall, wie der junge Mann bangen Herzens alsbald feststellen sollte. Er war aber im Grunde doch froh gestimmt, und so war er dann nur etwas, ein ganz klein wenig, nicht im Geringsten etwa sehr verwundert. Vielleicht zehn Sekunden hielt er seinen Blick aufs gegenüber liegende Ufer gerichtet, dann nicht mehr.
Sie merken, hier baut der Autor nicht etwa Spannung ein, sondern er wird geschwätzig und nimmt einen Ton an, bei dem man ihn förmlich den Kopf schräg legen sieht. Vor ihm steht eine Kanne grüner Tee, von der Teekampagne. Aber das lernt man wahrscheinlich so im „Schreibe dein eigenes Buch“-VHS-Kurs.
Da nimmt die Sache eine überraschende Wendung: Ein Fahrrad hat er plötzlich bestiegen, der junge Herr, Und rollt damit über den Fluß, winkend und schwer vergnügt. „Nach Eppelheim, zur Rhein-Neckar-Halle!“, jauchzt er aus unerfindlichen Gründen. „Graffiti gibt es nicht auf Postkarten zu kaufen, Spitzbögen und romanische Kastelle nebst Limes schon wohl“, denkt er beschwingt und steigt alsbald vom Fahrrad, beflügelt von der Spannweite seines Gedankens. Die Burg liegt jetzt ganz im kristallenen Licht des stinkenden Windes, auch das Raunen des großen Fickmondes will den zagen Wanderer schon anwehen abendlich. Da tritt er heran an die Burg, und diese heißt Rauhenstein und sieht auch so aus und hat einen Turm mit Blechdach und der ist sehr gut zu beschriften und bietet sich an zu beschreiben – und er steigt die Stufen alle hinauf bis unters Blechdach, wo er eine Botschaft erspäht, verwittert zwar schon, aber noch lesbar. Verfasst in steiler, ungelenker Schrift. Doch Bleistift währet hundert Jahr und mehr. Die Liebe aber nimmermehr. Und der junge Herr späht und da ist so manches und wird sein so manches. Die Pupille verengt sich, er liest es laut: „Sie weiß, daß ich auf sie stehe, aber sie scheißt auf mich….“ und dann, ein paar Zentimeter weiter, die gleiche Schrift, der Schwung schon bricht, das Auge flattert: „Ich liebe Dich, werde ich Dich am nächsten Sonntag sehen?“ Mit Datum versehen und unlesbar unterzeichnet vom 18. April des Jahres 1972. Oh, denkt der junge Mann entrückt, Jahrzehnte ist seither nun ins Land gegangen. Und ich, was tat ich seinerzeit? Nun, ich hatte ja noch nicht mal ein Fahrrad. Und kaum hat er dies zu Ende gedacht, da greift ihn klamm ein schicksalhafter Gedanke und ein Sehnen, so tief wie ein Faß Pils-Bier. O weh, weh und ach. Hätte nur der Urheber dieses elementaren Aufschreis einen einzigen kleinen Hinweis auf seine Identität hinterlassen, wäre es doch eine Herausforderung und sinnstiftende Aufgabe, ihn aufzuspüren und auszufragen, wie es denn dann weiterging damals, 1972. Und ob er die namenlose „Sie“ am darauffolgenden Sonntag gesehen hatte…. Vielleicht, so dachte der junge Herr als nächstes, vielleicht sitzt er jetzt gerade mit „Ihr“ dick und doof inmitten einer Schar dummer Kinder, möglicherweise ist er ja selbst dumm. Aber kann jemand dumm sein, der solche Worte auf Blechdächer tausendjähriger Burgen kritzelt? Oder hat er sich gar in seinem Liebesleid etwas angetan und ruht in Frieden seit dem 20. April 1972 plusminus? Aber auch amerikanische Singer/
Songwriter schreiben die besten Liebeslieder, dachte der junge Herr kurz auf einem Nebengleis, obwohl sie diese Lieder doch diesen amerikanischen Damen vermutlich höchstwahrscheinlich zueignen, die aussehen, als seien sie aus Marsh Mellows-Masse geformt. Und wenn schon? Mit möglicherweise pinkfarbenen Lippen gar? Ist es nicht erstaunlich? Und knalldumm zugleich? Der Wind hörte nicht auf zu stinken, und es war ihm so zauberlich wie in den ersten Tagen des Wartens auf die Eine, die Entscheidende, beim Bierseidel, des Wartens auf „something that would never happen“
Jetzt also Street Credibility, als wäre er einer dieser amerikanischen Singer/Songwriter. Man merkt als halbgebildeter Leser allzu deutlich, dass der Autor seine ganz persönlichen Vorlieben loswerden will und vollkommen unmotoviert in eine Geschichte einbaut, die eh zu nix führt. Und weil er das selbst merkt, schwenkt er gleich wieder um und greift hoffnungsklamm zu einem Zipfel dessen, was er glaubt, über magischen Realismus zu wissen.
Es ist der Anblick dieser Inschrift auf dieser Burg wie ein Blümlein zart wie Rosenduft gekoppelt mit der Frage nach dem Sinn jedweder Brunft. Es war so, wie sein Freund, der große Zigarettenschachtel-Philospoh Dankwart Schurike es dereinst gesagt hatte: Es konnten merkwürdige Dinge geschehen an Tagen, an denen der große Fickmond den Wind vor sich herschob und blies durch wallende Täler und fliederbuschbestandene Wege. Der junge Herr atmete in tiefen Zügen den Wind. Jetzt nahm er sich ein Etui hervor und zündete sich eine Zigarette an. Der Rauch entschwebte pergamentern. Dann notierte er alles, was auf dem Dach zu lesen war, und was ich hier getreulich über diese grundstürzende Entdeckung berichtet habe. Er wußte genau, was nun zu tun sein würde.
Er würde es herausbekommen, wie ein investigativer Journalist: Wer, was, wo, warum. Der Urheber des Menetekels konnte sich seiner Verfolgung durch den gesamten deutschsprachigen Raum, inclusive Ostzone und bis ins Grab hinein, sicher sein. Er würde ihn stellen, eines Tages, und ein Buch darüber schreiben. Das war gewiß. Vielleicht. Vielleicht weiß der Gesuchte aber nichts von seiner frühen Tat im lodernden Leuchten fehlgeleiteten Liebeswahns.
Beweismittel müssten her, eine große Aktion, vielleicht das Deutsche Rote Kreuz einschalten. Oder den UNHCR. Oder Sponsoren aquirieren, in großem Stil, versteht sich. Einen Germanistikprofessor der Universität Heidelberg mindestens. Nein, besser noch eine Privatbrauerei! Ja, eine Brauerei, denn die könnte alles auf ihre Plakate drucken und die Menschen draußen in den Kaschemmen und Bierniederlagen sinnieren lassen über Tückepfeil und Hohngeschoß vergeigter Liebesmüh, ach ja. Erschöpft sank der junge Herr unter der Last seiner Gedanken zusammen. Erst einmal würde er selbst nun in die nächstliegende Spelunke wackeln und sich dort ordentlich einen reindrehen, oder sieben acht, daß es nur so wackelt. Am Stammtisch würde er sich breit machen und immer breiter, und den versammelten Dorfdeppen seine Geschichte erzählen, gegen mehrere Klafter Freibier. Binnen kurzem würde er nicht mehr wissen, ob er selbst gar nun der von 1972 oder der junge Herr zehn Jahre oder gar Dezennien später sei, nur eines würde er immer wissen: Diese Inschriften, die hatte keiner gesehen, außer ihm, egal wer von beiden oder dreien er nun ist. Und natürlich mir. Mit Standespoesie zog ich gen Himmel. Tandaradei.…
Hier endet das Fragment. Puh, gerade nochmal die Kurve gekriegt. Sonst wäre das ein langweiliger Roman geworden. Denkt sich das wieder dreissig Jahre ältere Ich des Autors, als er erschäpft seine editorischen Anmerkungen zur Seite legt, im Bewusstsein sich ewig weiter zeugenden Scheiterns.