Das wirklich echte Leben

Torsten Sträter im Tollhaus, Karlsruhe, 24.2.2020

Regel, zu beachtende: Wenn Du einen guten Running Gag hast, dann solltest Du ihn bis zum Gehtnichtmehr überstrapazieren. Sonst wäre es ja kein guter Running Gag. Torsten Sträter tut das in seine Programm „Schnee, der auf Ceran fällt“, das er am Montagabend im ausverkauften Tollhaus fast drei Stunden netto zelebrierte. Der Sohn, der 16jährige, so erklärt der Vater launig, wolle nicht mehr im Programm vorkommen. Schade, das. Befindet der Vater, und lässt den Sohn so häufig im Programm vorkommen, wie wahrscheinlich noch nie zuvor.

Und der Vater, der 53jährige, beobachtet den Knaben und seine Lebenswelt: Influencer will der Bengel werden. Vater sein dagegen sehr, und erklärt auch, warum: Influencer, das seien doch Menschen, die früher als Drückerkolonnen von Haustür zu Haustür zogen. Andererseits – und im „andererseits“ ist Sträter ein Meister, bei ihm heisst das meistens „Scheiss der Hund drauf“, also: Andererseits habe er ja auch früher flugs die „Hör Zu“ abonniert, weil der den Namen dermassen passend für eine Fernsehzeitschrift fand.

Sträter guckt genau hin. Gut, das tun andere auch. Aber so, wie er den Anblick einer möglicherweise seit Jahren in einem undefinierbaren fiesen Sud in der Autobahngastronomie vor sich hin köchelnde Bockwurst beschreibt oder vielmehr heraufbeschwört, kriegt man mehr Angst als vorm Corona-Virus. Pathos ist ihm dabei völlig fremd. Seine Art, Themen zu eskalieren, ist eine durch und durch bodenständige, die auch immer eine gehörigen Anteil an Selbstzweifeln enthält. Dazu kommt noch dieser spezielle Ruhrpott-Charme. Ist jetzt auch ein Klischee, aber wahr. Wenn er über sein vermeintliches Versagen in TV-Talkshows redet, spürt man: Da spricht einer, dem sein jetziger Promistatus immer noch ein wenig unheimlich ist. Politisches streift er nur kurz, er sucht keinen Streit. Aber er kann auch mal kurz von der Seitenlinie austeilen, am Rand des politischen Diskurses. „Globuli sind für Leute, denen Tic Tacs zu billig sind.“ Knapper kann man die Unsinn der Homöopathie nicht auf den Punkt bringen. Jugend, die sich engagiert? „Ich finde Greta Thunberg super. Dieter Nuhr auch, er kann‘s nur nicht so zeigen.“ Er, Sträter, habe sich in seiner Jugend schließlich nur für Onanie und ein Moped interessiert, aber „wir waren arm, ich hatte kein Moped.“ Wenn es der Lackmustest für einen Schauspieler ist, ob er überzeugend einen Besoffenen spielen kann, dann muss ein Comedian sich daran messen lassen, ob ihm die Nummer „ich muss jetzt aber ganz dringend scheissen“ zu pöbelhaftem Klamauk oder zu Kunst gerät. Dass Sträter in einer länglichen Geschichte (natürlich mit zahlreichen Abschweifungen) diese Gratwanderung spielend schafft, zeichnet ihn aus. Die Geschichte hat sogar, bei ihm nicht unbedingt üblich, eine Pointe – nein, zwei: Als er schliesslich das ICE-Klo im Zustand olfaktorischer Verwüstung verlässt, steht draußen vor der Tür Campino. Seitdem fragt Sträters Agentin bei Einladungen in Talkshows sicherheitshalber nach, ob denn auch Musiker eingeladen seien.