Toto – Phoenix aus der Asche

Der Artikel, erschienen im ROCKS Magazin, basiert auf einem Telefon-Interview mit Steve Lukather zum damals antehenden Album XIV, ist aber deutlich mehr. Interviews mit dem Gitarrenzwirbler sind  meiner Erfahrung nach sehr unterschiedlich: Mal ist er verschlafen, mal  redet, er ohne auf Fragen zu achten, manchmal kommt er auf den Punkt – und das war bei diesm Interview eindeutig der Fall.  Nicht mmer kriegt man in einer starken halben Stunde soviel Information plus meinungsstarke  Statements. Egal wie er drauf ist: Lukather ist immer witzig und redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Here we go…..

Foto Copyright: Frontiers Records

Toto melden sich im März mit einem neuen Studioalbum zurück – dem ersten seit knapp neun Jahren. Selbst Gitarrist Steve Lukather kann es bis heute kaum fassen. Eigentlich musste es aber passieren, nachdem Lukather bis auf den 1992 verstorbenen Jeff Porcaro mit den Keyboardern David Paich und Steve Porcaro und dem Bassisten David Hungate die Kernmannschaft der Anfangstage wieder versammeln konnte. Mit dem Rückkehrer Joseph Williams am Mikro ist zudem ein prima Kumpel aus der Jugend an Bord.

 

Steve Lukather muss man sich als glücklichen Menschen vorstellen. Jedenfalls platzt er fast vor Stolz auf das neue Album und darauf, dass sie sich noch einmal zu diesem Kraftakt aufgerafft haben. Ein paar ganz normale Typen Ende 50, Anfang 60: »Wenn du dir die Fotos anschaust«, schmunzelt er, »da siehst du nur uns Typen, die genauso rumstehen und aussehen wie im alltäglichen Leben. Keine Airbrush-Geschichten, nichts Dunkles, keine Totenschädel. Bloß ein paar ältere Herren, die es immer noch schaffen. Platten aufzunehmen. Ich glaube, wir haben ein ziemlich gutes Album gemacht. Auch angesichts der Tatsache, dass wir eigentlich dachten, dass wir nie mehr eines machen würden.« Bis zu diesem Punkt war es allerdings ein langer Weg. Denn die Band war eigentlich schon beerdigt.

»Auf der letzten Tour habe ich mich auf der Bühne umgeschaut, und nur noch Ersatzleute gesehen.Wir hatten unglaubliche Misiker, die in die Band kamen und wieder ghingen, aber ich habe mich damals einfavh nicht mehr wohlgefühlt.« So begründete Steve Lukather im Interview mit ROCKS im Jahr 2008 die Entscheidung, die Band Toto sterben zu lassen. Die Tour zum Album Falling in Between, 2006 erschienen, war zu Ende, die Musiker machten anschließend bis auf Weiteres ihr eigenes Ding. Lukather schaute zu oft und zu tief in die Flasche, seine Ehe ging in die Brüche, seine Mutter starb. Er stürzte sich in Solo-Aktivitäten, nahm eine Platte mit Larry Carlton auf und hatte dabei immerhin Spaß. Die Auferstehung der Stammband liess indes noch auf sich warten und erfolgte in kleinen Schritten.

Bassist Mike Porcaro, der wegen gesundheitlicher Probleme bereits auf der Tour durch den Leland Sklar vertreten worden war, ist an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankt, einer unheilbaren degenerativen Erkrankung des Nervensystems. Ohne Aussicht auf Besserung. »Ich habe ihn gerade an Weihnachten besucht, ihm geht es wirklich schlecht. Es ist wirklich hart, einen ‚Bruder‘ so verfallen zu sehen. Und ALS ist die grausamste, beschissenste Seuche auf dem Planeten. Es ist furchtbar. Er wird einfach immer weniger und er kann kaum noch atmen. Wir versuchen weiter, ihm und seiner Familie zu helfen.« Diese Idee nahm Anfang 2010 Gestalt an, und so tragisch es klingt: Damit begann der Neuanfang für Toto. David Paich rief Lukather an und schlug ihm vor, die Band wieder für Benefiz-Konzerte zusammenzutrommeln. Im Februar 2010 informierten sie die Öffentlichkeit über Mike Porcaros Erkrankung und über ihren Entschluß, wieder auf Tour zu gehen, um Geld für den Bassisten und für die ALS-Forschung einzuspielen. »Wir mussten Mike helfen, er hat drei schulpflichtige Kinder, er muss seine Rechnungen und seine Ärzte bezahlen«, erzählte Lukather damals. Zu diesem Zeitpunkt war der Gitarrist trotzdem felsenfest überzeugt, dass die Karriere der Band als „recording artists“ mit Falling In Between beendet ist. Ein neues Toto Studio-Album? Nein, vollkommen ausgeschlossen.

Für die anstehenden Live-Aktivitäten bestand Lukather damals auf der Rückkehr zweier entscheidender Musiker: Sänger Joseph Williams und Keyboarder Steve Porcaro. Sie kamen, sahen und sigten. Die Tour im Sommer 2010 wurde ein Riesenerfolg, und 2011 kam auch David Paich, Keyboarder und wichtigster Kreativpartner des Gitarristen, wieder „fulltime“ an Bord. Er hatte zuvor aus familiären Gründen nicht ausserhalb der USA touren wollen. Lukather, inwischen schon eine ganze Weile trocken, war wieder glücklich: Er hatte seine „Band Of Buddies“, seine Gang der alten Kumpels wieder fast vollständig um sich geschart. Diese Besetzung spielte auch die Tour zum 35jährigen Bandjubiläum. Es waren berauschende, inspirierte Konzerte, dokumentiert auf einer DVD, aufgenommen am 25. Juni 2013 vor 13.000 Menschen im polnischen Lodz. Da schaute man einer Band zu, die Spaß bei der Arbeit hat. Eine Band, die an Groove, Zusammenspiel und Perfektion kaum zu toppen war, aber dabei so viel emotionale Tiefe vermittelte wie selten zuvor. »Wir hatten einen wirklichen Sänger, und wir mussten hinterher nichts nachbearbeiten. Wir haben kleine Fehler dringelassen, es sollte ein bisschen rauer sein. Jetzt hört man da natürlich Sachen, bei denen ich zusammenzucke, aber damit muss ich leben.«

Das Live-Dokument brachte Toto wieder in die Charts und Steve Lukather kann es bis heute kaum fassen: »Vor allem, weil wir darum gar keinen großen Wirbel gemacht haben, und trotzdem war es in so vielen Ländern unter den ersten drei, und wir haben auch einige der besten Kritiken dafür bekommen. Vielleicht hat sich ja der Wind gedreht? Ich glaube, Don Henley war es, der mir in den 80er Jahren schon mal gesagt hat: Du musst nur einfach so lange am Ball bleiben und all die Tiefschläge eintecken, bis alle, die dich mal gehasst haben, dir Tribut zollen. Ich bin jetzt vierzig Jahre dabei, ich kann über diesen ganzen Scheiss lachen.«

Kritikerlieblinge waren Toto seit ihren Anfangstagen im Jahr 1977 nie. Die Musikpresse hatte damals eine neue Sau gefunden, die sie durchs Dorf treiben konnte, und die hiess Punk. Genialer Dilettantismus war Kritiker-Kanon, man verglich die Sex Pistols oder The Clash mit Bands wie Toto. Wer sein Instrument beherrschte oder gar Musik studiert hatte, machte sich verdächtig. Erst recht eine Band, deren Mitglieder sich ihre Meriten zum Teil bereits als Studiomusiker verdient hatten. Dass sowohl der geniale Dilettant als auch der handwerkliche Überflieger große Musik erschaffen können, ist dieser Denkschule von Musikkritik bis heute fremd. Toto und Schmähkritik ist ein genauso in Stein gemeisseltes Begriffspaar wie ›konvulsivisch‹ und ›Zuckungen‹: Der Kritiker des englischen Guardian etwa hörte auch 2013 bei einem Toto-Konzert »tödliche Banalität«, »Grotesk altmodische Powerballaden« und »70er-Jahre Middle Of The Road in seiner linkischsten und aufgeblähtesten Form.«

Das Unverständnis der Kritiker, so vermutet Lukather – der die Band bei der Gründung gerne Still Life (Stilleben) genannt hätte – mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass die Band sich nie auf einen Stil festnageln liess. Ihre Alben profitierten immer davon, dass mehrere Songschreiber mit unterschiedlichen musikalischen Vorlieben und mehrere Lead-Sänger beteiligt waren. Auf Don Shewey, der Kritiker des US-Rolling Stone, wirkte das in seiner Rezension des ersten Albums aber vollkommen anders: »Toto fehlen mindestens zwei Elemente, die für guten Rock unabdingbar sind: Ein Sänger und ein Songschreiber. Drei Bandmitglieder singen passabel, ein vierter – Bobby Kimball – ist grauenhaft. Unglücklicherweise ist er der Leadsänger. Paich ist der Hauptsongschreiber, aber die meisten seiner Stücke sind nichts weiter als ein Vorwand für Instrumentalsoli. Toto ist eine Band von begnadeten Handwerkern, aber ihnen fehlt ein faszinierender Kopf. Profis ohne Poesie«, schrieb er. Auch das Label hatte Probleme mit der konsequenten Weigerung der Band, eindimensionale Musik zu machen: Als Toto nach dem Debüt mit Hydra ein deutlich härteres Album mit progressivem Einschlag vorlegten – exemplarisch im Titelsong zu hören – koppelte das Label an der Band vorbei die fluffige Edelfunknummer ›99‹ aus. Für das dritte Werk Turn Back setzte die Band verstärkt auf Arena-Rock Sound, aber der Schuß ging nach hinten los: Die Radiohörer erwarteten Balladen und waren irritiert, das Album wurde nicht der erwartete Erfolg. Erst Toto IV öffnete dem Massenpublikum die Ohren für die ganze Vielfalt der Musik. Die vier Singles, die aus dem Album ausgekoppelt wurden, hätten kaum unterschiedlicher sein können. Während ›Rosanna‹ in wenigen Minuten mehrmals die Leadstimme wechselt, komplexe Rhytmik mit der Leichtigkleit einer Pophymne verbindet und als Sahnehäubchen einen scharfkanigen (echten!) Bläsersatz bietet, ist ›Africa‹ Weltmusik im Toto-Stil. ›I Won’t hold You Back‹ ist eine schwermütige, melancholische Ballade, während ›Make believe‹ eher unter die Rubrik Standard-Popnummer mit leichten Steely-Dan-Anklängen fällt. Das Album als Ganzes kennt keine Scheuklappen. Rock, Pop und Jazz-Elemente werden haben nebeneinander Platz in diesem großen Schmelztiegel. Belohnt wurde das mit mehreren Grammies und den immergleichen Verrissen. »Ein Album, dass sich etwa so echt anfühlt wie ein orangefarbener Veloursamt-Trainingsanzug« war da beispielsweise zu lesen.

Selbstredend muss man Lukather nicht glauben, dass er sich über ›den ganzen Scheiß‹ nicht mehr aufregt, schließlich teilt der Mann in jedem zweiten Interview gegen den amerikanischen Rolling Stone und seinen Herausgeber Jann Wenner aus. Eine zuverlässig funktionierende, mindestens drei Jahrzehnte alte Männerfeindschaft. Denn Toto hatten Wenner schon 1983 den ausgestreckten Mittelfinger gezeigt, als ihnen eine Titelgeschichte angeboten wurde. Zu dem Zeitpunkt – das Erfolgsalbum Toto IV erschien 1982 – konnten sie sich wohl leisten, dieses Angebot abzulehnen. Dass sie niemals in die Rock’n’Roll Hall Of Fame – deren Mitgbegründer Wenner ist – aufgenommen würden, da sind sie ebenso sicher. Zu dieser Haltung passt auch die Anekdote, derzufolge Toto auf ihrem Coveralbum Through The Looking Glas von 2002 ›Watching The Detectives‹ von Elvis Costello nur deshalb aufnahmen, um ihn zu ärgen. Denn sie wussten, dass Costello – genau wie viele Musikritiker – die Band hasst. Steve Lukather hat später einmal gesagt, er hätte Costello gern beim Anhören der Toto-Version zugeschaut.

Die erfolgreiche Jubiläums-Tournee muss der Band Flügel verliehen haben, denn im Herbst 2013 beginnen die Überlegungen, vielleicht doch ein neues Album aufzunehmen, die nicht ganz frei von geschäftlichen Erwägungen sind. Diverse Rechtstreitigkeiten mit Labels strapazierten Nerven und Portemonnaies. »Es wurde immer seltsamer, es kostete eine Menge Geld, und unsere Rechtsanwälte meinten schließlich: Wie wäre es, wenn Ihr ein Album aufnehmt, ein bisschen Geld verdient und auch noch Spaß habt? Und damit auch neue Songs, mit denen Ihr touren könnt? Es könnte ja euer letztes Album sein! Naja, die Musikindustrie wird ja nicht besser. Das ist ein krankes Geschäft.« Der Gitarrist redet sich in Rage. Acht Uhr morgens in Kalifornien, die zweite Tasse Kaffee hat er schon hinter sich. Da komme er eben in Fahrt und rede immer zuviel, entschuldigt er sich später.

Als die Band Anfang 2014 mit der Arbeit am neuen Album beginnt, sind fast zehn Jahre vergangen, seit sie angefangen haben, Songs für Falling in Between zu schreiben. Lukather stellt sich in diesem Moment die die Fragen, die sich fast jeder Musiker seiner Generation stellt, wenn er ein neues Projekt in Gang setzt: Wer soll das kaufen? Wollen die Leute nicht doch nur die alten Hits hören? »Irgendwann habe ich zu den Jungs gesagt: Wir machen das für uns selbst, und es muss großartig werden. Um zu beweisen, dass ein Haufen alter Kerle noch Ideen hat und eben nicht die gleichen Riffs von früher nochmal unter einem anderen Titel rausbringt, um damit Kasse zu machen. Wir wollten künstlerisch Eier zeigen.«

Die Voraussetzungen dafür können nicht besser sein: Joseph Williams ist wieder als Sänger fest an Bord. Er war die Stimme der Band auf den Alben Fahrenheit (1986) und The Seventh One (1988) gewesen. Er hat seine Stimme zwei Jahrzehnte lang kaum als Live-Sänger strapaziert. Ein Vorteil, aber auch eine Herausforderung: Mit einem Gesangscoach hat er ein gutes halbes Jahr gearbeitet, um sich für die Tourneen in Form zu bringen, und dann gezeigt, dass er es noch drauf hat. Er singt das Material aus allen Bandphasen in der Tonart, in der es geschrieben wurde. Kein Song muss in eine tiefere Tonlage transponiert werden. Zudem ist er vollkommen uneitel, was das Repertoire betrifft: er ist offen für all die Songs, die im Studio von anderen Sängern eingesungen wurden und macht auch selbst Vorschläge. Für Lukather ist das ein extrem wichtiger Faktor. In seine Lobpreisung des Sängers mischt sich ein Seitenhieb auf Ex-Sänger Bobby Kimball, den er allerdings aber kein einziges Mal namentlich erwähnt. Für ihn ist er ›Der andere Typ‹. »Der andere Typ hat in der Zwischenzeit wohl seine Stimme verloren, und ich glaube auch, er ist ein bisschen verrückt geworden. Aber belassen wir es dabei. Ich wünsche jedem Frieden und Liebe. Joseph ist jedenfalls ist nicht durchs Land getingelt und hat behauptet, er sei Mr. Toto. Er hat seine Integrität behalten. Ihn wieder in der Band zu haben war, wie wenn man eine alte, nie gespielte Les Paul unterm Bett entdeckt. Er ist frisch wie 1986, und er ist mein Freund, seit wir 15 waren.«

Mit dem ebenfalls zurückgekehrten Steve Porcaro ist ein weiterer Songschreiber an Bord, und mit der Sommertour 2014 hat ein weiteres Gründungsmitglied nach über 30 Jahren Urlaub den Bass wieder in die Hand genommen: David Hungate, der 1982 auf dem Höhepunkt des Erfolgs ging. Der heute 66jährige ist auf einigen Songs von Toto XIV zuhören, neben ihm arbeiten sich an den vier Saiten Leland Sklar, Tal Wilkenfeld, Tim Lefebre und Lukather selbst ab. Für die Tour steht der Ur-Basser wieder in den Startlöchern, danach will er in Rente gehen. »Ich sage dir, Mann, diesen Typen da zu haben und den ganzen Scheiß spielen zu hören, ist unglaublich«, schwärmt Lukather. »Es ist, als wäre die Zeit stehengeblieben. Es ist so nah wie möglich an der Original-Band, mit Leuten, die das wirklich noch draufhaben.«    

Bevor die Aufnahmen zum Album beginnen können, muss die Band noch ein Problem lösen: Drummer Simon Phillips, der nach dem Tod von Gründungsmitglied Jeff Porcaro 1992 den Hocker übernommen hat, geht nach der Jubiläumstour, sein Abschied wird offiziell am 23. Januar 2014 bekanntgegeben. Seine anderweitigen Verpflichtungen sind mit Toto nicht mehr unter einen Hut zu bringen. Es ist eine freundschaftliche Trennung. »Ich liebe diesen Kerl. Aber er wollte jetzt einfach sein eigenes Ding machen. Dafür hatte er nie richtig Zeit«. Toto engagieren Keih Carlock, einen vielseitigen Drummer, der unter anderem mit Steely Dan, John Mayer, James Taylor, Sting und Diana Ross gearbeitet hat. Auch er trägt mit dazu bei, dass manches am neuen Album an die Toto der 80er Jahre erinnert. Steve Lukather jedenfalls erinnert Carlocks Stil an Jeff Porcaro: »Vor 20 Jahren hätte ich so jemand nicht gewollt, aber jetzt, da Hungate wieder dabei ist, macht es Sinn. Ich wollte jemanden, der anders spielt als sein Vorgänger. Genauso wie es mit Simon war, nachdem Jeff gestorben war. Mit Keith habe ich in New York in einer All Star Band mit Bill Evans gespielt, und ich fand klasse, was er mit Steely Dan machte. Und er kam und spielte all das Zeug, was wir notiert hatten.« Ob er auf der Tour spielen wird, steht noch in den Sternen. Bei der Firma Toto ist eben alles im Fluss und Lukather hat selbstverständlich noch einen Crack in der Hinterhand. Kann Carlock nicht, wird »bad ass Nashville guy« Shannon Forrest einspringen. Auch so einer, der auf allen Hochzeiten tanzt – von Doobie Brothers bis Taylor Swift (!).

Am 5. November 2013 verkündet die Band auf ihrer Facebookseite: Ein neues Studioalbum ist in Arbeit. Der harte Kern, das „Basisquartett“, besteht zu Beginn der Aufnahmen aus David Paich, Steve Lukather, Steve Porcaro und Joseph Williams. Vier Songschreiber, drei Lead-Vokalisten. Eine höchst kreative Gemeinschaft, aber auch eine hochexplosive. Lukather schlägt vor, einen Produzenten dazuzuholen, denn »Wir brauchen jemanden, der uns daran hindert, uns gegenseitig umzubringen.« CJ Vanston ist der richtige Mann für den Job, mit ihm hat der Gitarrist schon bei Soloalben zusammengearbeitet. »Er hat einige grossartige Gesangs-Leistungen aus mir rausgeholt, dafür hat er Talent. Und er weiss auch, wie man einzelne Teile zusammensetzt. Er sagte immer: Du kannst jetzt heimgehen. Wenn ich am nächsten Tag wiederkam und hörte dann, was er draus gemacht hatte – einfach überraschend und imponierend. Gerade beim Gesang ist das wichtig, weil er die Emotionen transportiert. Unser Publikum besteht schließlich nicht nur aus Musikern. Wir wollen auch die anderen berühren. Und man konnte ein bisschen was arbeiten, und ihn dann eine Weile allein weiterarbeiten lassen. Wenn man zurückkam, hatte er etwas Großartiges draus gemacht. Ohne ihn hätten wir das wohl alles hinbekommen.«

Toto sind bekannt für eine Detailversessenheit, die für Aussenstehende ans Psychotische grenzt. Steve Lukather streitet das nicht ab, im Gegenteil: »Ja klar, jeder Song hat vielleicht 180 Spuren. Das passiert nicht immer gleichzeitig was, aber es ist eine Unmenge Zeug drauf, Wenn Du es im Kopfhörer anhörst, merkst du erst, was alles abgeht. Es lief immer so: Wenn ich eine Weile auf Tour war und ins Studio zurückkam, waren wieder hundert Millionen neue Overdubs auf dem Album. Es kam immer darauf an, wer gerade daran gewerkelt hatte. Ein Witz! Jeder hatte eine andere Idee, was man noch bräuchte. Wir haben praktisch vier Solokünstler, da stellt sich die Frage: Wie können wir jeden glücklich machen? Es gab einige erhitzte Diskussionen, aber es ist doch gut, wenn man sich gegenseitig kritisiert – oder auch mal selbst sagt: Das ist nicht gut genug, das muss ich nochmal machen. Oder wenn jemand aufsteht und sagt: Hör auf, für Dich selbst zu spielen! Spiel‘ für die Band. Ich muss nicht diese schnellen, bescheuerten Soli spielen. Ich muss doch nicht meine Freunde beeindrucken. Je älter ich werde, desto weniger lasse ich mich auf dieses Gitarristen-Wettrennen ein. Wenn Du 20 bist, dann ist das okay. Aber es gibt einen Punkt, an dem die brillante Technik einfach nur noch langweilt. Ich habe ’ne ganze Menge toller Musiker gehört, bei denen ich aber nach zwei Songs dachte: okay, es reicht, hör auf damit. Auf unserem Album gibt es keine Überflieger-Gitarrensoli in jedem Stück nach dem Motto: schaut her, was ich mache! Findet mich toll, bitte, bitte! Ich mag ja auch Eiskrem, aber ich werde sie mir nicht auf mein Steak schmieren. Das ist ein Band-Album! Unsere Haltung war: Lasst uns das Beste versuchen, was jeder Song braucht. Drum war ja CJ da. Der Mann hat echt Mumm, es mit uns aufzunehmen. Ich glaube, der braucht jetzt eine Weile Pause.«

Während der Aufnahmen geht die Band im Sommer 2014 auf Tour, die erfolgreichste Konzertreise seit 1983. Zunehmend kommen auch wieder jüngere Menschen. »Vielleicht entdecken die jungen Leute uns in den Plattensammlungen ihrer Eltern. Wir sind ja keine wütende Rap-Band, die herumschreit über Drogen, Sex oder sonstigen Kram, Politik oder so. Wir sind eine familienfreundliche Band, sagen wir es mal so. Die Leute können ihre Kinder mitbringen. Wir verkaufen also statt einem oder zwei Tickets vier! Vielleicht haben es die Leute auch nur satt, immer die selben fünf oder sechs Classic Rock Bands in unterschiedlichen Zusammensetzungen auf Tour zu sehen. Wir haben nie mit einer dieser Bands getourt. Sie sind Freunde von uns, und ich mag sie alle, aber du wirst niemals Journey, Styx und Toto zusammen in einem Package sehen.«

Zehn Monate arbeitet die Band an dem Album, von dem Steve Porcaro sagt »wir betrachten es, als wäre es der Nachfolger von Toto IV.« Der Vergleich ist legitim: XIV hat in der Tat die ganze Vielfarbigkeit, die die Beiträge der Komponisten adäquat abbildet: Von geradlinigen Rockern über dezenten weißen Soul bis zum Progrock. Die klassiche Schuseballade à la ›I’ll Be Over You‹ fehlt auf diesem Album. »Wir haben einfach geschaut, was jeder anzubieten hatte, und so haben wir nach und nach das Album erarbeitet. Es hat seinen Stil von selbst gefunden. Jeder konnte sein Licht leuchten lassen. Bei manchen Songs sind allein drei Leadsänger in einem Song zu hören! Wer sonst macht so was? Wir brechen alle Regeln und spielen dabei die Musik, die wir mögen.« 

Diesmal hält sich der Gitarrist allerdings als Sänger weitgehend zurück, aber in Unknown Soldier trägt vor allem seine Stimme die Geschichte. Es ist in mehrerer Hinsicht ein besonderer Song: »Das habe ich mit David in meinem Wohnzimmer geschrieben. Es ist eine Art Verneigung vor Jeff Porcaro, der einige Kämpfe ausgefochten hat. Von David ist die Storyline, und ich wollte, dass es so eine Art Kreuzung zwischen Elton Johns Madman Across The Water und Led Zeppelin ist, mit einer Siebziger-Jahre Rockproduktion. Die akustischen Gitarren sind nicht perfekt gedoppelt, man hört die Nebengeräusche der Saiten, und das erinnert an Led Zeppelin Platten der 70er Jahre. Es ist also auch eine Verbeugung vor dieser Zeit, vor dieser Musik. Dann haben wir da noch echte Streicher, die Cellos, so wie es Paul Buckmaster gemacht hat.« Buckmaster ist der englische Komponist und Arrangeur, der vor allem für seine Arbeit mit Elton John bekannt wurde.

Das progressive Element, auf Falling In Between durch den Titelsong mit seinen Prog-Metal-Einsprengseln repräsentiert, findet auf XIV seinen Niederschlag in ›Great Expectations‹. Allerdings ganz anders, als Fans das möglicherweise erwartet hätten: Back to the roots heißt die Devise »Das war mein Chris-Squire-Erlebnis«, feixt er. »Weisst Du, was das ist? Da stecken die Einflüsse der frühen siebziger Jahre drin, das ist melodischer Prog-Rock. Das fängt ein wenig Pink-Floydish an, das ist nicht dieser mathematische Metal-Prog. Das ist eine ganz andere Welt: Yes, Genesis – das Zeug, das wir in unserer Jugend gehört haben. Ein spaßiges Stück Musik.«

Diese spaßige Stück Musik wird sicher nicht unterschlagen werden, wenn die Band ab Frühjahr wieder auf Tour geht. »Gut, niemand will das ganze Album hören, aber wir werden sicher vier oder fünf der etwas temporeicheren Stücke spielen. Wir müssen ›Rosanna‹, ›Africa‹ und Hold the Line spielen, sonst zerschlagen die Leute das Gestühl. Aber wir werden auch einiges spielen, was wir nie live gebracht haben. Ich würde da schon einige wilde Sachen ausgraben. Vielleicht ›Endless‹ oder ›Stranger in Town‹. Die knallharten Fans wollen natürlich das obskure Zeug hören!«