Slalomlaufen mit Hieronymus Bosch
„Schottenabend“ mit Mathias Tretter und Sven Kemmler in der Orgelfabrik, Karlsruhe-Durlach, 7.5.2016
„Was sie schon immer über Schottland ahnten, aber sich nicht laut zu denken trauten“ könnte eine alternative Überschrift des „Schottenabends“ sein, mit dem Mathias Tretter und Sven Kemmler am Samstagabend das Publikum im Kabarett in der Orgelfabrik in humoristisch induzierte Schnappatmung versetzten. Der Franke Tretter und der Bayer Kemmler stellen sich als Kulturbotschafter des Robert-Burns-Instituts in Aberglenkirkmuir vor und reizen zuvörderst die Klischees vom Schotten als exzentrischem Säufer mit merkwürdigen gastronomischen und sexuellen Vorlieben bis zum Exzess aus, lassen dabei aber immer ihre glühende Liebe zu Land und Leuten erkennen.
Das Großbritannienbild vieler Deutscher, argwöhnen die selbsternannten Aufklärer, sei von England bestimmt, dem „dunklen, zu Recht vergessenen Teil der Insel, der wie ein Sack Fish & Chips“ am hellen Norden hängt. Wissensvermittlung tut not. Wobei Tretter vor allem auf drastische Erlebnisberichte aus seiner Zeit als Assistant Teacher in Edinburgh setzt, während Kemmler, der erfolgreiche Poetry-Slammer, große Poesie und feinsinnige Sprachbetrachtungen vorzieht. Hätte Shakespeare eine Ahnung von den Schotten gehabt, wäre „Macbeth“ in gerade mal ein paar Sekunden abgehandelt gewesen, mutmasst er. Spricht Lady Macbeth: „Kill that bloody wankers!“, darauf Macbeth: „Aye!“. Sein ausuferndes Schmähgedicht über die „drei falschen Macs“ (Big Mac, I-Mac und der parfümierte MacDouglas), die als das Böse übers Land kamen, ist ein magisch-derbes Sittengemälde und erinnert in Diktion, Mimik und Gestik an Jochen Malmsheimer, wenn der zur Verteidigung des klassischen Wurstbrotes anhebt. Die falschen Macs haben keine Chance. Irgendwie gelingt es dem 90jährigen Gelegenheitsköhler Oatcake und seiner Frau Shortbread, Schottland zu retten, und „das Bier war wieder stark und dunkel und die Fürze rochen nach altem Hammel“. Schottische Kultur sei nicht nur Alkoholmissbrauch, sondern auch exzessives Saufen, geschlechterübergreifend: „Die Frauen sind so voll, wenn die ein Kind kriegen, wissen die nicht mal, wer die Mutter ist.“ Tretters detaillierte Berichte über schottische Alkoholexzesse sind für Menschen, die bevorzugt mit „stiff upper lip“ durchs Leben schreiten, kaum auszuhalten. Da ist die Silvesternacht in Edinburgh nur die Spitze des Eisbergs- oder sollte man sagen die Schaumkrone des Erbrochenen? Es sei die Pflicht jedes Schotten, sich einmal in die Altstadt erbrochen zu haben. Der Heimweg nach einem Discobesuch sei „Slalomlaufen mit Hieronymus Bosch“.
Dass Haggis eine Köstlichkeit ist, hat wohl auch an diesem langen Abend noch nicht jeder im Publikum begriffen. Kein Wunder auch, wenn Tretter Robert Burns‘ „Adress to a haggis“ mit „Ode an eine Innereienblunze“ übersetzt, und genüßlich die schrecklichen Details des Rezepts zitiert. Wie, die mögen es am Ende gar nicht? Alles nur Show. Sven Kemmler jedenfalls erzählt dem Rezensenten nach der Vorstellung, er sei ganz stolz, kürzlich sein erstes selbstgemachtes Haggis verspeist zu haben.