Die Gegenwart des Rock’n’Roll
Frank Turner, Substage, Karlsruhe, 13.3.2014
Eigentlich ist Frank Turner gar nichts besonderes. Der 32jährige Singer/Songwriter spielt Gitarre, schreibt eingängige Rocksongs, die er wahlweise mit der Energie des Punk heizt oder mit heimeligen vertrauten English-Folk- Zutaten schmückt. Er hat eine Band im Rücken, die sich „Sleeping Souls“ nennt und alles andere als verschlafen wirkt. Wenn diese Band auf die Bühne kommt, explodiert sie förmlich. Die nervöse Energie ist spürbar, allein Turners Beinarbeit steht der eines Fussballstürmers in nichts nach, und wie Gitarrist Ben Lloyd und Bassist Tarrant Anderson bei all ihrem Körpereinsatz ihre Saiten noch finden. Bleibt selbst aus nächster Nähe betrachtet noch rätselhaft.
Das erklärt aber noch nicht die Hingabe des Publikums, die ein Turner auftritt erzeugt. Denn das ist kein Publikum, das in seiner I-Phones starrt, während auf der Bühne die Musik vorbeirauscht. Im Gegenteil: Sie singen mit. Textsicher. Mit glasigen Augen. Alle. Und sie tanzen, bis in die letzte Reihe, bis hin zum Merchandising stand. Man hat begriffen: Der Engländer ist kein Rockstar, sondern ein Musiker. Einer, der lebt und darüber Songs schreibt. Der wie alle anderen Angst vorm Tod hat, aber trotzdem trotzig in „Glory Hallelujah“ behauptet, da gibt es keinen Gott, wir müssen schon mit uns selbst klarkommen und nicht vergessen, unser kleine Leben zu feiern: „There is no god, no heaven, so clap your hands together. There is no god, no heaven and no hell. There is no god, we’re all in this together“. Dieser Refrain aus tausend Kehle gesungen, kann einem schon mal für ein Paar Stunden sämtliche Ängste vertreibe.
Natürlich hat der Sänger auch alle handelsüblichen Tricks drauf, damit man ihm am Ende als den Sypmpathen schlechthin im Herzen nach Hause trägt – das erklärt er zunächst -, sein Deutsch sei nicht „nützlich“, um später eine Sonntag ziemlich akzentfreiem Deutsch zu singen („Nicht jeder ist ein Genie wie Freddie Mercury“).
Klar, dass Turner auch das Klischee vom fahrenden Musikanten bedient („The Road“), der, der seine Füsse in alle Weltmeere gesteckt hat, mit den schrägsten Gestalten um die Wette gesoffen hat und weiß. Dass er immer weiter muss, getrieben und gehetzt zu den nächsten tausend Shows. Aber das tut er nicht mit der Attitüde des arroganten Rockstars, sondern so, dass man ihn einladen möchte zu einer Übernachtung. Auf dass er einem persönlich noch einmal all die Geschichten bei Bier und Whisky erzähle.
Die dann wohl letztlich immer in dem Glaubensbekenntnis enden würden, das die zweite Zugabe: „I Still believe“ auf den Punkt bringt: Da erstrahlen die Heiligen Jerry Lee, Elvis und Johnny, die dafür stehen, dass jeder das unten das auch kann, was er – Frank – da oben tut: Rock’n’Roll nämlich. „Now who’d have thought that after all, something as simple as Rock’n’roll would save us all“. Und natürlich ist der Wechselgesang „I Believe“ mit dem Publikum eine sakrale Handlung, aber auch zugleich eine Rückversicherung des Künstlers, dass er einer der ihren ist. Da ist es nur konsequent, dass er sich anschließend von den Fans fast einen ganzen Song auf Händen tragen lässt. Turrner wird oft als britische Antwort auf Bruce Springsteen bezeichnet. Der ja vor 40 Jahren als die Zukunft des Rock’n’Roll ausgerufen wurde. Wenn das so ist, dann ist Frank Turner zumindest die Gegenwart.
Thomas Zimmer