Dezibel als Programm
Thin Lizzy und Uriah Heep in der Rastatter Badnerhalle, 11.10.2008
Vor wenigen Wochen hatte Mick Box, einziges verbliebenes Gründungsmitglied von Uriah Heep, im BNN-Interview Hoffnungen auf allzu viele neue Songs im Tourprogramm der „Wake The Sleeper“ Konzerte gedämpft. „Nostalgie“, hatte er weise gesprochen „ist eine starke Droge“. Offenbar aber siegt dann doch der Wille der Musiker, den alten Fans ihr neues Produkt vorzustellen. Immerhin ist es das erste Studioalbum nach einer Pause von zehn Jahren, und man sieht den reifen Herren an, dass sie vor Stolz fast platzen. Gleich neun Songs daraus schaffen es also am vergangenen Samstag auf die Bühne der Rastatter Badnerhalle.
Der Neue am Schlagzeug, Russell Gilbrook, darf mit archaischem Double-Bassdrumgewitter den Titelsong eindonnern, und hat nach wenigen Minuten die These kraftvoll untermauert, dass ein Schlagzeugerwechsel manchmal eine Band zu völlig neuen Höhenflügen inspirieren kann. Nicht etwa, was das Songmaterial betrifft. Diesbezüglich sind Uriah Heep konservativ bis zum geht nicht mehr.
Seit Jahrzehnten rennt die aktuelle Band kompositorisch der Anmutung der frühen, erfolgreichen Phase in den Siebziger Jahren hinterher. Auch die neuen Songs leben von den schwer lastenden Orgelbreitseiten, den bratzenden, weitgehend sinnfreien Wah-Wah-Etüden des Gitarristen Mick Box und den immer kurz vorm Kitsch einher wabernden Gesangslinien. Aber die Umsetzung gewinnt neuen Drive. Vorbei die schon fast bierzeltkapellenhafte Gleichförmigkeit, mit der das Material gelegentlich heruntergeschrubbt wurde. Stattdessen Präsenzpflicht auf allen Positionen, denn alle wollen so jung und stürmisch sein wie ihr erst 44 Jahre alter neuer Drummer. Bernie Shaw, der hyperaktive Frontmann, vereint dabei aufs allerhübscheste den derben Charme eines Schiffschaukelbremsers mit seinem Hang zu bedeutungsschwangerer Melodramatik. Klar, dass man anno 2008 nicht mehr über Sex and Drugs, sondern über spirituellen Krimskrams oder die Unterdrückung der Indianer singt. Mit etwas ironischer Distanz darf man diesbezüglich schwer ambitioniertes Songmaterial wie „What Kind Of God“ pulsierenden Herzens durchaus genießen. Oder überrascht feststellen, dass sogar Songs, die man auf dem Album überhört hatte, wie das förmlich nach Patschouli stinkende „Shadow“ mit seinem Gitarre/Orgel-Unisono Riff eine fast magische Bühnequalität entfalten und damit zum Klassiker für die kommenden vier Jahrzehnte taugen könnten. Was die Klassiker der Vergangenheit betrifft, gibt es an diesem Abend die Bandbreite von „definitive Version“ („Sunrise“) bis zu „irgendwie hingeschludert“ („Look At Yourself“). Erfreulich, dass „Gipsy“ diese mal wieder mit dem ambitionierten höchst progressiven Intro angeboten wird, weniger erfreulich, dass „July Morning“ fehlt. Die mutige Setlist könnte manchen alten Fan verschreckt haben, aber bei „Lady in Black“ sind dennoch alle strahlend und textsicher dabei.
„Nur“ als Vorband sind Thin Lizzy gebucht. Eine Stunde lang zollen sie dem Wirken des früh Verblichenen Phil Lynott Tribut, und alles ist gut, außer dem Sound. In diesem undefinierbaren Lärmtiegel voller irritierender Quietsch- und Brummfrequenzen ahnt man nur die Stärken des zwar extrem selbstverliebten, aber dennoch hocherotisch verzahnten Doppelgitarrengespanns John Sykes und Scott Gorham, die lyrischen Qualitäten der Songs des Phil Lynott und die keltischen Wurzeln dieser ziemlich eigenständigen Variante von Macho-Hardrock. Aber allein schon der Anblick von Tommy Aldrige, dem Berserker am Schlagzeug, ist dann doch das Eintrittsgeld wert. Solche wie er werden nämlich nicht mehr hergestellt.