Eine Legende räumt ab

Wishbone Ash im Substage, Karlsruhe, 5.3.1998

Es ist immer das geiche: Erzählst Du am „Tag danach“ deinen Kollegen, Du seiest am Tag zuvor bei Wishbone Ash gewesen und seiest von Erleuchtungen geschüttelt und von Wollustkrämpfen durchzuckt worden, dann sagen die entweder: „Gibt’s die echt noch?“ (das ist die bessere Variante) oder „Wer iss’n des?“ (diese Variante ist nur durch die Ungnade der sehr späten Geburt entschuldbar).

Da kommt eine Band nach sieben Jahren mal wieder auf Deutschlandtour, die aktuelle CD „Illuminations“ ist schon gut eineinhab Jahre alt. Die Band hatte in ihrer 30jährigen Geschichte nicht einen einzigen Singlehit und fiel auch sonst nie durch besonders spektakuläre Aktionen oder schrille Show auf. Bei Wishbone Ash ging es immer nur um Musik. Die Longplayer „Argus“ und „Pilgrimage“ aus den ganz ganz frühen Siebzigern, das war für Wishbone Ash, was für Deep Purple „In Rock“ und „Machine Head“ waren. Und einige erinnern sich und werden ganz wild, als sie die unscheinbaren gelben Plakate pappen sehen. Und so kommen sie denn, in Hamburg gar 1.800, im Karlsruher Substage über 700- und das heißt: Ausverkauft.

Wishbone Ash 1998, das ist der mittlerweile 48jährige Gitarrist Andy Powell, der seine Mitstreiter von Platte zu Platte, von Tour zu Tour neu rekrutiert. Einzige Bedingung: Es muß klingen wie Wishbone Ash, wie die Orginalbesetzung aus den frühen Siebzigern: Bis ins Detail durchkomponierte, sensibel arrangierte Doppel-Gitarren-Orgien auf solidem rhythmischem Fundament. (Nebenbei muß ich jetzt gerade mal den Satz einschieben, den ich schon seit 10 Jahren veröffentlichen möchte, ha! Der Satz aber lautet: Ohne die Wishbone-Ash-Doppelgitarren der frühen Siebziger wären die Iron-Maiden-Gitarrenorgien der mittleren Achtziger nicht denkbar. Super-Erkenntnis, oder? Bitte um Zuschriften und Dankesbriefe.) Aber wer Ohren hat, zu hören, der hört, dass Gitarrenorgie nicht Gitarrenorgie ist: Hier gibt’s Dynamik, hier gibt`s Soundvielfalt von hintergründig dunkelgrau bis schrillgelb. Und das in gleicher Qualität, unabhängig, ob ein Stück dem Kultalbum „Argus“ von 1972 oder der aktuellen „Illuminations“-CD von 1996 entsprungen ist.

Aber bei der Songauswahl sollte sich Herr Powell mal ein Beispiel an Deep Purple nehmen: Die spielten auf der letzten Tour acht (!) Stücke vom aktuellen Album und ließen sogar „Child in Time“ in der Versenkung verschwinden. Aber Herr Powell strickt sein Programm um „Argus“ und „Pilgrimage“. Und entschuldigt sich noch fast für jedes Stück, das nach 1973 entstanden ist. Und das, nachdem er vollmundig angekündigt hat, es sei ja wunderbar, wenn man aus 30 Jahren Bandgeschichte schöpfen kann, und das werde man nun hier vor Ort auch gleich tun. Nix da: Auf „The King will come“ (für viele der Wishbone-Ash-Hit schlechthin) folgt direkt „Warrior“ und „Throw down the sword“- das Argus-Dreierpack mit Sicherheitsgarantie sozusagen. Die Darbietung schwingt sich zu fulminanten Höhen auf, des Re-zensenten Auge da schon fast vor Begeisterung tränt. Aber das tut es genauso bei „Strange Affair“ vom gleichnamigen 90er-Album, und das wiederum ist ja nicht gerade ein Klassiker. Mehr davon hätte sicher gutgetan, aber ausser dem eher schwachen „Hard Times“ bleibt diese wohlfeile Scheibe aussen vor. Wo bleibt „Wings of Desire“, wo bleibt „Some Conversation“?. Wenn einer neue Songs mit den Worten ankündigt: „I know you wanna hear the old stuff“, dann braucht er sich nicht über die gedämpften Reaktionen für die aktuellen Songs zu wundern. „Self fulfilling prophecy“ pflegt man sowas in England zu nennen.

Nicht so schlimm ist, dass Powell die 80er Jahre komplett übergeht, denn da steckte die Band wirklich in einem Krea-Tief. Also landet der große musikalische Spannungsbogen folgerichtig im Zugabenblock bei den ganz frühen Anfängen: „Errors of my Way“ erzeugt geradezu prä pubertäre Frühlingsgefühle und auch der Rest der Produktion des Jahres 1971 will sehr zur Freude gereichen, will sagen: es wird musikalisch ejakuliert, keine falsche Bescheidenheit angebracht jetzt da nun alle schon rasen. Der fulminante Midtempo Rocker „Jailbait“ ist so was wie Wishbone Ash’s „Smoke on the Water“ und läutet die letzten Minuten ein, die mit einem rasenden Medley aus den Stücken der ersten beiden LPs ihrem Höhepunkt entgegendonnern. Dennoch: Ungern nur gebe ich zu: Müßte man das Konzert in eine Schublade stecken und einen Aufkleber dran pappen, er wäre mit „Nostalgieveranstaltung“ beschriftet. Aber peinlich war es keinen Moment lang. und „schee war’s“ und in sieben Jahren gehen wir wieder hin, ausgemacht? Und nochmal zum Mitschreiben für die anfangs erwähnten Ignoranten: Die aktuelle CD heißt „Illuminations“, ist in jedem gutsortierten Plattenladen erhältlich und enthält 65 Minuten gute Wishbone-Ash Musik der Neunziger.