1.6.2021

Foto Copyright Alexey Testov

Am 14. März 2020 hätte die deutsche Rocklegende Birth Control im Karlsruher Jubez auftreten sollen. In der gleichen Woche begann der Lockdown: An Live-Auftritte war fürs erste nicht mehr zu denken, aber auch die Arbeit im Studio änderte sich. In den vergangen Monaten arbeitete die Band an einem neuen Album, und „jeder erstellt Demos erstmal wie üblich im Home Recording. Wir wollten dieses Mal zusammen ins Studio zu gehen, aber das geht nicht. Jeder produziert vor sich hin. Wir sprechen uns ab per Telefon, E-Mail und Zoom-Konferenz. Dann wird es rumgeschickt und zusammengeschraubt. Dadurch wird es ein langwieriger Prozess,“ erzählt Gitarrist Martin Ettrich. Die Produktion wurde finanziell unterstützt durch ein Künstlerstipendium des Landes Nordrhein-Westfalen, das jeder Musiker beantragen konnte.

Hatten Birth Control die Produktion länger geplant, füllte die multinationale Band The Flower Kings die Konzert-Lücke mi einer so nicht geplanten Produktion. Alles eine Frage der Organisation, erklärt Gitarrist Roine Stolt. Er lebt in Schweden, seine Kollegen in den USA, Italien und Österreich. Jeder arbeitete im eigenen Studio und schickte Ideen.. Stolt ist zwar gewohnt, „auf Distanz“ zu arbeiten, aber „Ich bin ja ein großer Fan des Improvisierens. Dabei spornt man sich ja auch gegenseitig an.“ In normalen Zeiten gehört zum Entstehen von Musik auch das überraschende, inspirierende Element, wenn Musiker zusammen in einem Raum etwas entstehen lassen:  Die Progressiv-Rocker RPWL hatten eine andere Idee. Nachdem die Tour zur Feier des 20jähigen Jubiläums ihres Debütalbums abgesagt war, entschlossen sie sich nach dem Motto „nicht rumsitzen und jammern“ ein Live-Album ohne Publikum aufzunehmen. In der Luitpoldhalle in ihrer Heimatstadt Freising war es im Herbst 2020 noch möglich, das mit einem von der Stadt abgesegneten Hygienekonzept umzusetzen. Die Band stellte sich im Kreis verteilt in der Halle auf und legte los. „Wir haben uns an die 1,50 Meter Abstand gehalten, vor allem für die Techniker“, erzählt Yogi Lang, Sänger mit Karlsruher Wurzeln. „Jeder, der in die Halle gekommen ist, musste einen negativen Test vorlegen. Bereits zwei Wochen später wäre das wohl nicht mehr möglich gewesen.“

„Man komponiert viel mehr, man produziert viel mehr“, resümiert Markus Kullmann, Schlagzeuger und Schlagzeuglehrer beim Karlsruher Drummer Circle. Kullmann ist mit verschiedenen Bands national und international aktiv und hat während des Lockdowns ein neues Album für die Hardrockband Voodoo Circle eingetrommelt. „Wir mussten separat agieren, ich war im Studio allein, und der Gitarrist konnte nicht aus Frankreich raus. Ich war mittels Aufnahmeprogramm, direkt in der Session via Log In in seinem Tonstudio dabei. Er konnte sofort eingreifen“. Fast so, als sässe er im Regieraum hinter der Scheibe. Andy Kuntz, Sänger der Kaiserslauterer Band Vanden Plas, hatte 2019 den Tod in der „Everyman“-Inszenierung am Pforzheimer Stadttheater gesungen. Teile seines Gesangs für das aktuelle Bandalbum musste er ebenfalls auf Distanz einsingen. „Direktes Feedback vom Produzenten ist mir lieber, das hat mir schon gefehlt“, sagt er. „Aber das eröffnet auch neue Wege. Da könnte ich mir zuhause was einrichten und bessere Bedingungen für die Zukunft schaffen.“

Die Hannoveraner Fury in the Slaughterhouse nahmen nach dreizehn Jahren Funkstille im Oktober 2020 ein neues Album auf. „Wir haben erstmal eingekauft für ein paar Tage“, erzählt Gitarrist Christof Stein-Schneider, „dann haben wir uns alle ein Stäbchen in den Hals gesteckt und vier Tage ganz normal eine Platte produziert. Gemischt haben wir in einer Zoom-Konferenz. Jeder hat an seinen eigenen Boxen gesessen und sich das angehört.“ Weitermachen ist die Devise bei allen: „Wir wollen die Platte trotzdem Anfang 2022 rausbringen, unabhängig von der Live-Situation. Die Leute sitzen ja zuhause und wollen was Neues“, sagt der Birth Control-Gitarrist. Fury In The Slaughterhouse gehen sogar auf Tour, zunächst mit zehn Strandkorbkonzerten. „Es ist viel besser als diese komischen Autokonzerte. Für Blechdosen spielen ist echt eigenartig. Ich muss auch den Hut ziehen vor den Veranstaltern, die das jetzt wagen“, sagt Christof Stein-Schneider. „Aber an allen Ecken und Enden sprießen Ideen aus dem Boden, wie man das angehen könnte, das ist doch einer der positiven Aspekte dieser Zeit.“