Auf den Spuren von Jeanne D’Arc. Mit Eloy ins Mittelalter

Frank Bornemann ist ein Verrückter, im besten Wortsinn. Wenn er ein Projekt angeht, dann mit voller Überzeugung. Der Eloy Mastermind ging schon seit Jahrzehnten mit dem Thema Jeanne d’Arc schwanger, 2017 hat er es mit einem Gutteil seiner alten Mitstreiter unter dem alten Bandnamen Eloy unter dem Titel „The Vision, The Sword & The Pyre“ veröffentlicht – den ersten Teil, 2019 folgte der zweite. Weil ich aus früheren Telefoninterviewes wusste, dass Frank auf jede Frage eine etwa 90minätige Antwoirt gibt, beschloss ich: Ab jetzt fährste hin, wenn Du mit ihm reden willst. Und so geschah es. Man traf sich im Studio, Frank, seine Gattin und der Hund empfingen mit Kaffee und Kuchen und es begann jeweils eine kombinierte exklusive Abhör- und Interview-Session. Daraus wurden die nun folgenden beiden Geschichten, veröffentlicht 2017 und 2019 im ROCKS Magazin.

Foto Credit: Kate Cymner

2017

Eloy, die deutsche Progrock-Legende, meldet sich zurück. Nach dem bislang letzten Studioalbum Visionary (2009), erfolgreichen Konzerten 2012 und 2013, hat sich Mastermind, Gitarrist und Sänger Frank Bornemann in seinem Studio verbarrikadiert, um sich seinem Magnum Opus The Vision The Sword & The Pyre zu widmen, das die Lebensgeschichte von Jeann d’Arc nachzeichnet
»Die Tour war ja keine Tour, das war ja ein Triumphzug. Und da habe ich mir gedacht: Du kannst doch jetzt nicht sagen: Das war nett. Schön, dass ihr alle nochmal gekommen seit und Auf Wiedersehen. So kann sich doch ein Künstler nicht benehmen. So kann ich mich nicht verabschieden.« The Vision The Sword & The Pyre wird in zwei Teilen als Eloy-Album erscheinen, es ist aber deutlich mehr als das. Bornemann will das Werk später noch in einer spektakulären Bühnenversion präsentieren, die in Frankreich in französischer Sprache aufgeführt werden soll. Er hat Jahre in Recherche, Vorbereitung und Umsetzung dieses Werks investiert, und so nimmt er sich in seinem Hannoveraner Studio mehrere Stunden Pfeife rauchend Zeit, um seine nachgerade obsessive Beschäftigung mit Jeanne D’Arc und seine musikalische Intention zu erklären. Nein, ein Musical soll das spätere Bühnenwerk nicht werden. Eher schon eine Rockoper. »Quadrophenia war ja auch eine Rockoper, und zudem eine sehr gute. Wenn überhaupt, hat es eher was damit zu tun. Und Townshend hat seine Sachen ja immer erst mal mit seiner Band performt, dann wurden es Bühnenwerke, danach ein Film.«
Die Bandversion des ersten Teils des Epos jedenfalls läuft jedenfalls nicht Gefahr, treue Eloy-Fans zu verschrecken. Die Musik bewegt sich auf vertrautem Terrain zwische Erhabenheit, wohlaustarierter Laut-Leise-Dynamik, einem entspannten, fast hypnotischen Grund-Groove und vollmundigen Gitarrenriffs. Ein Kinderchor ist zu hören, es gibt kurze gesprochene Sequenzen, die aber weit davon entfernt sind, aus dem Konzeptalbum ein Hörspiel zu machen, und die in den Fluss der Musik harmonisch eingebettet sind. Und weil die Geschichte im Mittelalter spielt, sind auch folkoristische Passagen zu hören. »Ich werde ja meinen Stil nicht ändern! Ich habe etwas hinzugefügt, die Handschrift bleibt aber deutlich erkennbar. Ich kann ja jetzt nicht plötzlich mit einer total anstrengenden Musik kommen.«
Es ist diese schwer zu fassende innere Ruhe, die die Eloy-Musik seit Mitte der 70er Jahre durchzieht. Es gibt kaum Songs im Strophe-Refrain-Strophe-Schema, aber auch keine langatmigen Gitarrensoli. »Es ist Musik, die fliesst. Dieses Songdenken hatte ich nie wirklich« beginnt eine der Abschweifungen, die ein Gespräch mit dem mittlerweile 72jährige Urgestein so spannend machen. Er erinnert sich an seine ‚Sündenfälle‘ – wie beispielsweise den Titelsong des Albums Time To Turn. »Dazu hat man mich ein bisschen hingeprügelt«, lacht er. Das Label will einen Singlehit. Bornemann fühlt sich unter Druck. »Ich bin völlig zerknirscht nach Hause gekommen und dachte mir: Von uns kauft doch sowieso kein Schwein eine Single. Kauft jemand ’ne Pink Floyd Single? Nein! Oder ’ne Deep Purple Single? Nein!. Damit die Deppen endlich die Schnauze halten, habe ich die Gitarre geschnappt und ›Time To Turn‹geschrieben und mir gedacht: So, mal sehen, was die sagen. Die Single hat natürlich keiner gekauft, und ich habe gedacht, jetzt halten sie endlich die Fresse.« Und dann erzählt er noch diese Geschichte des Songs ›Sensations‹ vom 88er-Album Ra – eingängiger Rhytmus, hohe Gesnagsstimme, Hitpotenzial: »Da hatte ich gedacht, ich hole mir einen Gastsänger. An Ende stand ich alleine da. Und ich habe mir den Arsch abgeschrieen im Studio, aber ich habe es irgendwie hingekriegt. Dann war davon die Rede bei der EMI, das könnte doch eine Tina Turner Nummer sein. Wenn ich schlau gewesen wäre, hätte ich die Nummer durchreichen sollen. Das wäre die Rente gewesen. »Bornemann aber beschließt, ›Sensations‹ als Eloy-Nummer zu veröffentlichen. »Dann kamen viele Cover-Anfrage von Sängerinnen, und ich dachte, was haste denn da wieder falsch gemacht…«
Zurück zum Thema The Vision The Sword & The Pyre. Jeanne d’Arc aus Domrémy in Lothringen ist die französische Nationalheldin, die im hundertjährigen Krieg gegen die Engländer zunächst erfolgreich für dir Freiheit ihres Landes kämpfte und in einem kirchlichen Verfahren des pro-englischen Bischofs Pierre Cauchon aufgrund verschiedener Anklagen verurteilt wurde. Am 30. Mai 1431 wurde sie im Alter von 19 Jahren auf dem Marktplatz von Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ein historischer Stoff, wie gemacht für eine Konzeptalbum der Band, die einige Erfahrung mit solchen epischen Werken hat. Kein Wunder angesichts der Philosophie des Überzeugungstäters Frank Bornemann. »Ich habe nie auf den Markt geguckt, um Erfolg zu haben, sondern ich habe die Sachen gemacht, die mich bewegt haben, die mich berührt und motiviert haben.«
1975 erscheit das erste Eloy-Konzeptalbum The Power and The Passion. Es erzählt die Geschichte von Jamie, der sich nach Einnahme einer Zeitdroge im Paris des Jahres 1358 wiederfindet und dort ein Mädchen namens Jeanne trifft. »Ich hatte die gesamte Geschichte erfunden, ohne zu wissen, was 1358 in Frankreich passiert ist, und die Jeanne in der Geschichte hat auch nicht wirklich mit Jeanne D’Arc zu tun…. Wir waren aber als Band eigentlich noch gar nicht reif, so etwas zu machen. Wenn ich mir die Arrangements heute anhöre und denke daran, wie ich das mit dem heutigen Know How interpretieren würde, dann wäre das noch mal eine ganz andere Sache.«
Die Band wächst an ihrer Aufgabe. Ocean, das atmosphärische Elektronik mit orchestralem Rock zu mächtigen Klanggebilden verbindet, erscheint 1977, gerade als in England die Punkwelle hohe Wellen schlägt. »Wobei mich Reaktion, die gerade aus England kam, vollkommen umgehauen hat. Weil damit überhaupt keiner rechnen konnte.« Ausgerechnet dieses Album, das sich auf Platos Schriften über den Untergang des Kontinents Atlantis bezieht, wird zum bis heute meist verkauften Eloy-Werk. Der Eingangssong des Albums, ›Poseidon’s Creation‹ schafft es in einen Tatort mit Kommissar Haferkamp alias Hansjörg Felmy. Oceans wird zum Dauerseller und erreicht 1995 mit 250.000 verkauften Exemplaren eine Goldene Schallplatte.
1992 erscheint der Song Jeanne D’Arc auf dem Album Destination. Dieses mal beschäftigt sich der Text mit der realen historischen Figur. »After fighting war for values sacred and holy in the history of mankind your name will remain« (Nachdem du einen Krieg für heilige Werte geführt hast, wird dein Name bleiben in der Geschichte der Menschheit), singt Frank Bornemann mit hörbar großer Sympathie für seine Protagonistin. Für das Filmprojekt ›Company Of Angels‹ der Regisseurin Kathryn Bigelow ist der Hannoveraner als Filmmusik-Lieferant im Gespräch, und »ich war schon so ein bisschen innerlich dabei und dachte mir, Frankie das kriegst du jetzt hin.« Der Film allerdings wird nie gedreht, und »da stand ich mit meiner Nummer da und habe sie auf The Tides Return Forever als Eloy-Nummer gemacht.« Der Song Company Of Angels thematisiert das kurze Leben der Heldin bis zum Scheiterhaufen und endet mit den Worten ›Her name remains forever till the end of time‹.
Der Widerhall dieses Namens ist für Bornemann mehr als die Aufarbeitung einer Heldinnengeschichte aus vergangener Zeit. »Man kann ja die Gesellschaft des Mittelalters mit der heutigen nur schwer vergleichen, aber der Mensch ändert sich nicht. Es sind die selben Verhaltensweisen, die selben Unarten, die selben Probleme und Mechanismen, die sich vielleicht nur in ihrer äusseren Form verändert haben. Jeanne D’Arc ist eine Gestalt, die deswegen herausragt, weil sie alles dahingegeben hat, was sie besaß. Wie man mit einer solchen Überzeugung und Wehrhaftigkeit vorgehen kann, ist schier unvorstellbar. Dazu musste ich einfach was machen. Es ist so unendlich viel Quatsch über sie geschrieben worden und ich weiss, wie schwierig das Thema in Frankreich ist. Alle beanspruchen sie: der Front National, die Royalisten, der Klerus – ausgerechnet der Klerus – und dann noch die Wissenschaftler, die sagen, das war ja nur eine Schizophrene.«
Bornemann holt weit aus, um seine Faszination für die historische Figur zu erklären. Wegen Jeanne D’Arc beginnt er, Französisch zu lernen. Durch einen französischen Fan mit Verbindungen kommt er überall dorthin, wo man als Tourist normalerweise nicht hinkommt. Er trifft Regine Pernoud, die eines der wichtigsten Bücher über Jeanne D’Arc geschrieben hat. Auf einer seiner Frankreichreisen legt er wegen eine Autopanne einen Zwischenstopp ein und übernachtet er in einem alten Hotel: »Wir bekamen so einen riesigen alten Zimmerschlüssel für ein Zimmer im Hinterhaus. Am nächsten Morgen sehe ich draussen eine Plakette, und da steht: hier hat Jeanne D’Arc übernachtet auf dem Krönungszug nach Reims.«
2000 trägt er sich mit einer Würdigung für seine Heldin ins Gästebuch der Kirche von Domrémy ein. »Im letzten Satz habe ich versprochen, dass ich weiter komponieren und schreiben werde für sie. Dann sind wir losgefahren, mit einem Mal ist die Wolkendecke aufgerissen und ein pyramidenförmiges Licht strahlte heraus, aber ohne zu blenden. Als wir an dem Schild am Orstausgang vorbeigefahren sind, war das Licht schlagartig weg. Meiner Frau standen die Haare zu Berge. Aber ich meinte: Das war es doch, weswegen ich hierher gekommen bin.«

Für The Vision The Sword & The Pyre hat er noch einmal die wichtigsten seiner langjährigen Begleiter im Studio versammelt: die beiden Keyboarder Hannes Folberth und Michael Gerlach, die in verschiedenen Eloy-Phasen den Sound mitprägten. Ganz besonders wichtig war ihm, dass Bassist Klaus Peter (‚Matze‘) Matziol wieder dabei ist. »Wer will den den ersetzen? Ich kenne nur einen, der da noch mitkommt, das ist der Geddy Lee von Rush.« Nicht dabei ist dieses Mal Drummer Bodo Schopf, der sich auf Visionary und auf der letzten Tour als wahrer Groove-Meister bewiesen hatte. Der Schwabe lebt jetzt auf Sardinien und kam daher für die Stück-für-Stück-Arbeitsweise in Hannover nicht in Frage. Den Platz auf dem Drumhocker hat Kristof Hinz eingenommem, ein vielseitiger Schlagzeuger, der in mehreren Bands arbeitet, Musical- und Theatershows spielt und als Dozent an der Hochschule für Musik, Theater, Medien Hannover und am Popkurs Hamburg unterrichtet. Alle Beteiligten waren sich des ungeschriebenen Gesetzes bewusst: »Ich dulde überhaupt nicht den leisesten Kompromiss. Wenn die Leute sich auch nur zwei Minuten langweilen, habe ich versagt. Ich bin verrückt, und ich bin gern verrückt. Mittelmässig kann ich mir nicht leisten.« Schwierig war die Besetzung der weiblichen Stimmen für Gesangs- und Sprechpassagen. . »Beim Sprechen wurde es immer sehr schwierig. Ich war zwischendrin am Verzweifeln. Dann brauchte ich einen Kinderchor. Das sollten kleine Kinder sein, die aber richtig singen können. Die fand ich hier in der Marktkirche. Es war hinreissend, zum Dahinschmelzen.«
Auch die Produktion hat der Komponist selbt in die Hand genommen – eine jahrzehntelange Tradition bei Eloy, die er aber für seine Musik als de facto alternativlos betrachtet: . »Ich glaube, im Progressiv-Rock-Bereich gibt es in Deutschland kaum vernünftige Produzenten. Ich würde jeden überfordern, wenn ich versuchte, ihn in diese Gedankenwelt und diese Atmosphäre reinzuziehen. Und es gibt ja meine Musiker, die das mittragen und die auch eine Meinung haben. Das war immer sehr hilfreich.«
Ob das Werk jemals von der Band Eloy auf die Bühne gebracht wird, steht in den Sternen. Die Voraussetzungen müssen stimmen. »Fest steht: ohne Matze würde ich nicht auf die Bühne gehen, der ist der Bassgott. Ich glaube auch nicht, dass es den Fans egal ist, wer da neben mit auf der Bühne steht. Mir ist es jedenfalls nicht egal. Ich gehe auf die Bühne und sage, das ist Eloy. Und dann ist es Eloy, und eben nicht Frank Bornemann und Gäste.« Produktiv bleiben will er aber in jedem Fall: »Während der Arbeit habe ich mir schon gedacht: Du hast jetzt auch schon paar Jahre auf dem Buckel. Aber ich habe meinen Sandsack, meine Geräte, ich habe Kondition, ich kann gegen 30jährige antreten. Aber ich könnte ja krank werden. Mit 30 denkst du darüber nicht nach. Aber jetzt denke ich schon: Beeil dich mal besser, du willst noch ein Werk zustande bringen. Okay, Frankie, das machste jetzt mal, das steht noch auf deinem Zettel. Wenn ich dann noch Lust und Zeit habe, mache ich noch eins.«

2019

Was lange währt, wird endlich gut: Frank Bornemann hat den zweiten Teil des unterem Bandnamen Eloy eingespielten Werkes The Vision, The Sword And The Pyre fertiggestellt. Die Rockoper thematisiert das Leben der Freiheitsheldin Jeanne D‘Arc und setzt dabei auf die akribische Faktentreue der Story und auf typische Eloy-Sounds in der Tradition der erfolgreichsten 70er-Jahre Alben. »Beim letzten Album bin ich an die Grenze gestoßen, was Wortbeiträge betrifft. Ich hatte Angst, die Leute damit zu überfordern. Jetzt sollte es mehr Musik sein, viel durchgängig Eloy-Typisches. Drum habe ich versucht, kompositorisch etwas anders vorzugehen. Ich muss nicht viel sprechen. Ich muss auch nicht in drei Oktaven singen mit zehn Choristen im Rücken, ich kann das auch tiefer singen, vortragen. Jim Morrison hat den ganzen Abend in einer Lage gesungen, da hat sich keiner aufgeregt.«

Die Rockoper über Jeanne D‘Arc ist Frank Bornemanns Magnum Opus, das wird in Gespräch sofort klar. »Ich war einfach sehr berührt von diesem Thema. Es ist auch nicht unbedingt die Lust, in eine andere Epoche zu verschwinden, sondern exakt diese Person, die mich so angezogen hat. Jeder versucht, sie für sich zu vereinnahmen, sogar die Politik. Davon will ich mich ganz klar distanzieren. Ich gehe auf die Ereignisse ein, vermeide jede Art von Interpretation, erlaube mir aber, eine Empfindung dabei zu haben, die ich auch in der Musik aus drücke.«

Bornemann hat zur Listening-Session in sein Studio geladen. Mitten in Hannovers Innenstadt, im zweiten Stock eines Hauses in einem unscheinbaren Hinterhof. Bevor er auch nur ein Wort über die Musik sagt, holt er er zu einem gut zwanzigminütigen historischen Exkurs aus. Vier Jahre Arbeit hat er in das Projekt gesteckt und sich immer wieder gefragt: Stimmen die historischen Fakten? Er hat sich von seinem Freund Olivier Bouzy – Mittelalterhistoriker und Leiter des Centre Jeanne D‘Arc in Orleans – auf den aktuellen Stand der Forschung bringen lassen und hat Schauplätze besucht. Was Stoff für einen 500 Seiten Roman sein könnte, musste der Gitarrist und Sänger auf zwei Alben verdichten. Bornemann schlüpft, wie schon im ersten Teil, in die Rolle des Jean de Metz, des treuen Begleiters von Jeanne D‘Arc. »Wenn du so was als Augenzeuge erzählst, dann musst Du dich darauf einlassen, das mit zu durchleben. Das hatte ich mir etwas leichter vorgestellt. Ich bin ein ziemlich empfindsamer Mensch, mich hat das mitgenommen. Das waren emotionale Wechselbäder.«

Die sich in der Musik widerspiegeln: da gibt es die Eloy-typischen Grooves, auf die sich archaische Moog- und Oberheim-Keyboardsounds türmen, da schafft ein Chor feierliche Atmosphäre. Da hört man überraschend viele cleane Gitarrensounds. »Ich hab mich auf Sixties-Riffs besonnen und dafür meine eine Stratocaster wieder ausgepackt.« Aber das Album hat auch seinen heftigen harten »Kashmir-Moment« – und mit ›Welcome To Eternity‹ setzt die Schauspielerin und Theaterregisseurin Laetitia Mazzotti einen gesprochenen hochdramatischen Schlußpunkt.

Für das Einspielen konnte der Komponist fast auf die komplette Mannschaft zurückgreifen, die auch schon Part 1 prägte: Die Keyboarder Michael Gerlach und Hannes Folberth und Bassist Klaus Peter Matziol – allesam »echte« Eloy-Musiker. Einzig die Position des Schlagzeugers hat gewechselt. Auf dem Hocker saß dieses Mal der 43-jährige Stephan Emig, der unter anderen mit Klaus Lage, Gregor Meyle, Stefanie Heinzmann, Serdar Somuncu und Edo Zanki gerbeitet hat. »Die personelle Navigation war für mich ein Alptraum«, bekennt Bornemann. »Jeder hat seinen Beruf, inzwischen lebt kein Musiker mehr in Hannover. Die Band hat nie zusammengesessen und einen einzigen Song zusammen geprobt. Jeder ist gekommen, wie er Zeit hatte und ich habe sie in das Projekt integriert.«

An diesem Pre-Listening-Nachmittag im Juni fehlen noch einige Gesangaufnahmen und ein Gitarrensolo, erklärt Bornemann entschuldigend, bevor er den Rohmix im Studio abfährt. Aber das ist kein Problem für einen Mann, dessen Mission es ist, den Journalisten sein Werk nahezubringen. Er greift sich das Textblatt und singt zur Musik. Auch ein fehlendes Gitarrensolo singt er kurzerhand – und dazu spielt er Luftgitarre. »Der klingt ein bisschen wie Jürgen Rosenthal«, sagt er über den Trommler Stephan Emig. Gemeint ist das ausladende, percussive Spiel, das in der Tat an manchen Stellen an den stilprägenden Trommler und Textautor der erfolgreichsten Eloy-Phase von 1976 bis 1979 erinnert.

Die jetzt den Fans noch einmal präsent wird durch die Wiederveröffentlichung von Dawn (1976), Ocean (1977) und Silent Cries And Mighty Echoes (1979) als aufwändige Box. Es ist die Zeit, in der die Band ihre Liebe zu Konzeptalben auslebt und gleichzeitig den Sound kreiert, für den sie bis heute steht. Die Liaison mit der Idee Konzeptalbum beginnt 1975 mit The Power and The Passion. Die Story könnte man schon als unterbewussten Hinweis auf die Bornemanns spätere Leidenschaft für Jeanne D’Arc lesen werden. Sie erzählt von Jamie, der sich nach Einnahme einer Zeitdroge im Paris des Jahres 1358 wiederfindet und dort ein Mädchen namens Jeanne trifft. »Ich hatte die gesamte Geschichte erfunden, ohne zu wissen, was 1358 in Frankreich passiert ist, und die Jeanne in der Geschichte hat auch nicht wirklich mit Jeanne D’Arc zu tun« hat er 2017 im ROCKS-Interview erzählt. 

Nach The Power and The Passion ist die Band allerdings Anfang 1976 erst einmal am Ende. Das Übliche: Streit mit dem Management erzeugt Zwist in der Band, die darauf implodiert. Der Manager, der sich zunehmend in künstlerische Belange eingemischt hat, beansprucht den Namen, aber der Gitarrist stellt mit audrücklicher Rückendeckung des Labels eine neue Band zusammen, um seine Ideen umsetzen zu können. Damit ist die Selbstfindungsphase beendet. »Beim ersten Album wollte natürlich jeder alles, was ihm einfällt verwirklicht haben. Es gabe keine ordnende Hand von aussen, auch nicht in der Band. Das wäre auch nicht akzeptiert worden, Demokratie war die Parole damals.« Das soll sich schleichend ändern. Ab Album Nummer zwei Inside (1973) fällt Bornemann nach dem Ausstieg von Erich Schriever mehr oder weniger zufällig die Rolle des Sängers zu. »Ich wollte das garnicht – wir suchten bis zu der Studioaufnahme einen Sänger. Es wurde nix, und dann hiess es: Frankie, geh du mal da rein. Mein Gott, war ich nervös. Ich hab‘ die alle rausgeschickt – wirklich, kein Witz. Als sie es hörten, meinten sie: Das ist ja garnicht so schlecht.« Bornemann aber denkt schon weiter: er will die Musik in eine sphärischere Richtung verschieben, in seinem Kopf spielt als entferntes Vorbild Pink Floyd.

Auf Floating (1974) dominiert die härtere Rock-Gangart noch über die angestrebten Sphärenklänge. »Das war etwas härter, weil wir viel live gespielt hatten.« Zwar entspricht das nachfolgende Power And The Passion im Grunde seinen Vorstellungen und verkauft sich zudem gut. Er allerdings hätte es geren als Doppelkalbum inszeniert, Manager Jay Partridge stellt sich quer – mit den geschilderten Konsequenzen.

Anfang 1976 steht der ambitionierte Künstler vorm Neuaufbau der Band. Vorübergehend jobbt er in einem Musikgeschäft, dort lernt er den Bassisten Klaus Peter Matziol kennen. Der wiederum kennt den Drummer Jürgen Rosenthal aus einer gemeinsamen Band namens Morrison Gulf. Rosenthal kann seinerseits auf seine Mitwirkung am Scorpions-Album Fly To The Rainbow verweisen. Den späteren Keyboarder Detlev Schmidtchen trifft er erstmals – damals noch als Gitarristen – auf einem Band-Nachwuchsfestival, bei dem Schmidtchens Band gewinnt: Einen Blechpokal und ein Abendessen mit den damaligen Eloy-Musikern.

Dawn ist der Einstand der neuen Band, in gewisser Weise der fehlende zweite Teil des Vorgängeralbums. Für die Produktion wird richtig geklotzt – so läßt gleich zu Beginn des Albums, über massivem Donnergrollen ein Orchester aufhorchen, das von Wolfgang Maus geleitet wird. Dem pfeift und singt Frank Bornemann seine Melodien vor, Maus macht Orchesterpartituren daraus. »Wir haben ja gut verkauft, es gab keinen Grund, Limits zu setzen. ‚Es hat länger gedauert und mehr gekostet, aber man hört es wenigstens‘, hat Manfred Zumkeller damals gesagt.“ Zumkeller ist zu jener Zeit der verantwortliche Artist & Repertoire Manager der EMI.

Vier sehr unterschiedliche Charaktere bilden die neue Eloy-Formation. Jürgen Rosental ist die philosophisch geprägte Leseratte mit einem Hang zur Esoterik. »Für mich war er ein sehr interessanter Gesprächspartner. Aber über das, was in seinem Kopf vorging, hätte ich gerne noch ein bisschen mehr gewusst.« Als Drummer ist er unverwechselbar, vor allem mit seinen ausladenden, ausufernden Rolls über die Toms. »Er nahm die Musik in seinem Spiel einfach mit. Das haben andere Schlagzeuger nicht in diesem Ausmnaß gemacht.« Detlef Schmidtchen, der »umgepolte Gitarrist«, entdeckt seinLiebe zu Moog und Hammond und tritt in die Fussstapfen seines Vorgängers Manfred Wiezorke. Klaus Peter Matziol ist für Frank Bornemann der mindestens zweitbeste Bassist der Welt, allenfalls eine Nasenlänge hinter Geddy Lee von Rush. Jetzt kann sich Bornemann ganz auf die Musik konzentrieren, denn Rosenthal bietet sich als Texter an. Dawn setzt die Geschichte von Jamie fort und ist musikalisch ein noch vielfarbigere Berg- und Talfahrt zwischen riffbetontem Rock, entspannt fließenden Grooves und orchestraler Inszenierung.

Ocean ist das nächste Konzeptalbum. Jürgen Rosenthal nimmt sich die Geschichte des versunkenen Atlantis vor, vage basierend auf den Schriften Platos. Die Texte sind allerdings noch nicht fertig, als die Musik im Studio schon weitgehend gereift ist. »Jürgen hat immer nachts Texte geschrieben. Kaum war die Tinte trocken, legte er sie auf den Tisch. Ich hatte keine Ahnung, was da kommt. Manches konnte kein Schwein singen. Hör dir die Studioversion von Poseidon‘s Creation an und dann die die Liveplatte, da denkst du: Ah, jetzt weiss der Frank endlich, wie er rhythmisch richtig singen soll.« Zudem findet Bornemann die Texte seines Schlagzeugers zu düster. »Aber draussen die Leute fanden es ja göttlich, das war Kult.« Auch noch Jahrzehnte nach dem Erscheinen des Albums hält die Begeisterung mancher Fans an. So schreibt einer auf einer Internet-Seite für Progressive Rock-Experten: »Ocean ist Caspar David Friedrich in Musik.« Damit konfrontiert, ist Frank Bornemann erstaunt und amüsiert. »Caspar David Friedrich war doch ein Maler der Romantik. Aber gut, wenn der Mensch das so empfindet und sich dabei wohlfühlt, dann hat der Rosenthal alles richtig gemacht.« Ziemlich überrascht und beeindruckt, aber auch ein wenig amüsiert ist er auch von einer Coverversion des Songs, die ihm die brasilianische Band Bamos Q‘ Bânia zugeschickt hat: »Der Sänger singt genauso wie ich bei der Originalaufnahme, die die schlechteste Version davon war, die ich je gesungen habe, und dann auch noch mit einem Grammatik-Fehler. Und der Schlagzeuger sieht aus wie Rosenthal und hat viele Trommeln.«

Silent Cries and Mighty Echoes, das letzte Album dieser Besetzung erscheint 1979, ist ausnahmsweise kein Konzeptalbum und beginnt doch wie eines: Mit einer unüberhörbaren Pink Floyd-Reminiszenz steigt ›Astral Entrance‹ aus dem Nebel, musikalisch herrscht weitgehend positive Grundstimmung, ›Pilot To Paradise‹ und ›Master Of Sensation‹ könnte man gar – zumindest für Eloy-Verhältnisse – als leichtfüssig bezeichnen, anders als das fast 15-minütige Magnum Opus ›The Apocalypse‹. Dafür sucht Bornemann nach einer besonderen, einer melancholischen Note, inspiriert von Pink Floyds ›The Great Gig In The Sky‹. »Das war ja überhaupt nicht meine Stimmlage. Ich habe das auf Kassette zusammen gekrächzt, was ich mir da vorgestellt hatte.« Wolfgang Maus, der die Streicher auf Dawn dirigiert hatte, schreibt aus dem Gekrächze die Gesangsstimme heraus und findet in Brigitte Witt eine passende Sängerin. Die kommt, hört und singt, und der Komponist ist baff. »Ich konnte meine Melodie, die klang wie Kermit der Frosch, endlich mal richtig hören und war begeistert.«

Unter den drei Alben der Besetzung erweist sich Ocean als das kommerziell erfolgreichste. Es entwickelt sich zum Dauerseller und erreicht 1995 mit 250.000 verkauften Exemplaren eine Goldene Schallplatte. Aber je mehr Fans Eloy-Platten kaufen, desto negativer reagiert die Kritik. Während der Musikexpress bei Silent Cries And Mighty Echoes immerhin noch halbwegs gönnerhaft von »wohltuender Beschaulichkiet, hymnischem Überschwang, volltönendem Orchesterklang und wuchtigem, schleppenden Rock-Pathos« spricht, hört der Kritiker von Sounds »eine Wolke aus Manierismus und monotoner Langeweile«. Rockpalast-Erfinder Peter Rüchel fasst seine Abneigung gegen die Hannoveraner so zusammen: »Ich kann es einfach nicht vertreten, Gruppen zu produzieren wie etwa Eloy, die ständig auf absolut idiotische Mythologien zurückgreifen, anstatt sich mit dem zu beschäftigen, was heute läuft.« Es sind aber nicht die übellaunigen Kritiken, die dieser Bandbesetzung das Genick brechen. »Wir waren vier sehr verschiedene Charaktere, dehalb hat es auch nur für drei Alben gehalten«, resümiert Frank Bornemann kurz und knapp. Ein Sargnagel ist sicher der anhaltende Richtungsstreit zwischen dem Gitarristen und dem Sclagzeuger. Der eine sieht Eloy als Band mit positiver Ausstrahlung, der andere bringt nach Meinung des einen zuviel Düsternis in die Musik.

Mit Beginn der 80er-Jahre wird es für eine Band wie Eloy schwieriger. Die Musikindustrie muss erste Umsatzeinbussen hinnhemen, 1981 geht MTV in den USA auf Sendung, die Punkwelle ist noch nicht totgeritten, und die Labels setzen auf Single-Erfolge. Das Konzept Album beginnt zu bröckeln, und das Konzept Konzeptalbum erscheint den Verantwortlichen erst recht als Absurdität. »Man dachte, wenn ein Album eine ordentlich laufende Single hat, kaufen es die Leute. Das ging eine ganze Weile gut, bis die Leute sagten: Moment, das hat doch nichts mit dem zu tun, was ich auf der Single gehört habe. Der EMI-Geschäftsleitung habe ich gesagt: Ihr siegt euch auf diese Weise zu Tode. Das schien aber nicht auf fruchtbaren Boden zu fallen.« Für Bornemann und seine Band kommt auch nicht in Frage, was internationale Progrockhelden in diesen Jahren tun: Genesis spielen das Spiel schon 1978 mit, als sie mit dem Herz-Schmerz-Song ›Follow You, Follow Me‹ die Hitparaden angreifen. Yes erfinden sich mit ›Owner Of A Lonely Heart‹ 1983 als Chartsstürmer (immerhin mit Prog-Appeal) neu. »Bei Genesis war das krass. Für uns kam das nicht in Frage. Wenn, dann fange ich ein neues Projekt an oder mache ein Zweitprojekt auf, das etwas ganz anderes isr. Aber ich kann nicht die ganze Marke verbiegen und das ganze Image, da hätte ich nichts davon.«

Man mag es Sturheit nennen, oder Konsequenz, je nach Standpunkt. Man kann Bornemanns nun abgeschlossene Arbeit an seinem Monumetalwerk über Jeanne D’Arc auch als besonders trotziges Statement gegenüber einer Musikindustrie werten, die heute wieder im Umbruch ist und zunehmend auf Downloadplattformen setzt, während er eisern am traditionellen Album- und Band-Konzept festhält. Nach wie vor ist der Plan, das Werk in Frankreich in der Landessprache – in erweiterter Form als Spectacle Musical – aufzuführen. Was die Zukunft von Eloy und die Möglichkeit künftiger Band-Konzerte betrifft, will sich Bornemann nicht festlegen. »Ich sage jetzt nicht, wir spielen nie wieder. Ich sage: Ich mach‘ jetzt dieses Ding, und dann mal gucken, was ist. Aber ich möchte mich nicht zur Karikatur machen. Entweder wir kriegen das hin, wie es auf der Platte ist oder ich verzichte drauf.«