History Revisited

Martin Barrre, Fabrik Bruchsal, 1.11.2013

In Ian Andersons ständig wechselndem Personal bei Jethro Tull war Martin Barre neben dem Chef die einzige Konstante und hat mit seinem knarrigen Gitarrensound die Band immer wieder in Richtung Rock geschoben, wenn es gar zu beschaulich zu werden drohte. Nun, da Anderson Barre offenbar nicht mehr braucht, spielt der Gitarrist sich frei mit einer Mischung aus eigenen Werken, respektvollen Blues-Adaptionen und interessanten Bearbeitungen von historischem Jethro-Tull Material.

So auch vor rund 150 enthusiastischen Fan in der Bruchsaler Fabrik. Barre beginnt – ganz Understatement – mit einem knurrenden Instrumental, das ein eindeutiges Statement ist: Heute Abend wird gerockt, heute gibt es keine Flöten, aber dafür umsomehr Gitarren. Zusammen mit dem französischen Gitarristen Pat O’May (einem ausgewisenen Experten von Folk bis Heavy Metal) wird noch so manches Doppel-Leadgitarren-Feuerwerk abgebrannt werden, das stellenweise an die magischen Chorus-Orgien von Wishbone Ash erinnert. Die zwei Gitarren taugen aber auch perfekt, um einem Jethro Tull Oldie wie To Cry You A Song die Tiefe zu geben, die mit nur einer Gitarre so nicht zu machen wäre. Die Band spielt diesen und andere Tull-Klassiker mit hardrockiger Kantigkeit. Das tut den Songs ziemlich gut: Da ist beispielsweise das im Original etwas orientierungslose ›Fat Man von Barre schmunzelnd als ›Heavy Metal Fat Man‹ angekündigt. Da ist der monolithische Riff von ›Teacher‹, der die Substanz des Songs freilegt. Ebenso überzeugend ist Barres Reverenz an Mick Abrahams, seinen Vorgänger bei Jethro Tull. Das schwere, saftige, sämige Arrangement von ›A Song for Jeffrey‹ verbindet bluesige Attitüde mit ehrlichem, schwitzendem Kraftrock. Bei der Kurzfassung des Magnum Opus ›Thick As A Brick‹, spitzbübisch als ›Thin As A Brick‹ angekündigt, verursacht die konsequente Reduktion auf elektrische Gitarren allerdings schon mal die Sehnsucht nach der verspielten Hammond-Orgel des Originals.Die Stimme eines Ian Anderson wird an diesem Abend aber wohl kaum jemand vermisst haben. Für den Gesang hat sich Barre den jungen Singer/Songwriter Dan Crisp geholt. Der schafft scheinbar mühelos, seine Stimme auf Anderson-Timbre umzustellen, ohne den Alten zu kopieren. Damit gibt er den Songs das nötige Quäntchen Wärme und Wahnsinn. Aber nicht nur das Jethro-Tull-Material weiss zu überzeugen: Barre zeigt sich vor allem als großer Bluesfan, dessen Interpretationen selten in angeberische Ego-Trips auf dem Griffbrett ausarten. Wie um dieser Gefahr zu entgehen, inszeniert man den Standard ›Crossroads‹ lieber gleich als schottischen Folk-Rock. Gar nichts falsch machen kann die Band, die zwei Stunden sichtlich Spaß hat, bei der Zugabe: ›Locomotive Breath‹ geht immer.