Musik hilft immer

Erstveröffentlichung im ROCKS Magazin 2013

Eric Burdons aktuelles Album ‚Til Your River Runs Dry  zeigt den 71jährigen als scharfen Beobachter und Seismograph politischer und ganz persönlicher Themen, als retrospektiven Geschichtenerzähler ohne Nostalgiekitsch – und vor allem stimmlich auf der Höhe und musikalisch sprühend vor Ideen.

Eric Burdon ist der Mann, der Bruce Springsteen einmal bei einem Treffen nach einer Show im Backstage Bereich die kalte Schulter gezeigt hat: »Er hat mich vor längerer Zeit einmal auf eine Produktion angesprochen, ich wusste nicht was ich sagen sollte. Also sagte ich: Nein, es ist jetzt nicht die richtige Zeit. Danach habe ich gedacht: Vielleicht habe ich jetzt was falsch gemacht. Man muss den Mann doch respektieren, der ist der größte Rockstar, den wir im Augenblick in Amerika haben«. Inziwschen kann Burdon wieder ruhig schlafen: Auf dem South By Soutrhwest Festival 2012 in Austin bekam der Engländer den Ritterschlag vom Boss. Der nämlch gestand, alles was er je geschrieben habe, sei eigentlich nur ein Aufguss des 1965er Animals-Hits ›We Gotta Get Out Of This Place‹ (»That’s every song I’ve ever written«).

Vielleicht hat dieses Bekenntnis Burdon auch ein wenig mit dem Teil seines Publikums versöhnt, der immer nur die alten Animals-Hits hören will. »Das Problem ist, dass die Leute dich sehen und hören wollen, wie du warst, als sie selbst jung waren und das zum ersten Mal gehört haben«, sagt er. Einerseits. Aber »ich akzeptiere, dass wir mit den Animals einige Songs geschrieben hatten, die im Bewusstsein der Leute bleiben werden bis zum jüngsten Gericht. Aber ich muss neue Sachen machen, sonst werde ich verrückt«. Wer Burdon 2011 auf Tour erlebt hat, der war – trotz Animals-lastiger Setliste – überzeugt: der Alte hat es noch drauf, da kommt noch was. Sonst eher nicht eben gesprächig auf der Bühne, knurrte er da gegen Ende des Konzertes beim Karlsruher Tollhaus-Zeltival dem Volk entgegen: »Die Bank hat kein Geld mehr, weil sie einfach nicht aufhören, diese verdannmten Krieg zu führen«, danach gabe es die eindringliche Verbindung von We Gotta Get Out Of This Place‹ und dem Anti-Rassismus Song Why Can’t We Live Together‹, die eine geradezu weihevolle Atmosphäre schuf, ganz weit weg von Kirchentags-Gefühlsduselei. Sein aktuelles Album feiert genau diesen Geist: Wütend, aggressiv, eindringlich, nachdenklich und retrospektiv, und getragen von der Überzeugung: »Wenn sie aufhören würden, Kriege zu führen, wären wir viel reicher und glücklicher«. Kaum hat er das gesagt, betont er, er sei kein politischer Sänger. Nicht im Sinne eines Predigers, dessen Worte absolute Gültigkeit hätten. Aber wenn man ihm ihm vorhält, Position zu beziehen sei nicht eines Sängers Aufgabe, hört er einfach nicht hin. Er sieht sich in einer alten Tradition: »Weisst Du, polische Somngs und Protestsongs haben ihre Wurzeln in Folk-Music. Ich bin aufgewachsen mit Leuten, die in meiner Heimatstadt über Katastrophen auf hoher See sangen oder über Kriegsheimkehrer und ich habe das als die angemessene Musik empfunden. Es sollte keine Selbstbeschränkungen in der Kunst gegen. Vielleicht würden die Menschen die Informationen nicht hören wollen, aber wenn die sie in einen Song verpackst, erreichst Du sie möglicherweise«.

Water‹, der erste Titel des Albums ist so ein Song. Inspiriert dazu hat Burdon eine Begegnung mit dem ehemaligen Staats- und Parteichef der UdSSR, Michael Gorbatschov bei Thomas Gottschalks „50 Jahre Rock“ TV-Show im Jahr 2004. »Er hat mir erzählt, dass Wasser das nächste ganz große Problem sein werde, dem wir uns stellen müssten. Offensichtlich weiss er mehr als ich, und ich wollte mich nicht mit ihm streiten, sondern ihm helfen, seine politische Agenda umzusetzen. Und das kann ich aus meiner Sicht am besten mit Musik«.

Nie begegnet ist Burdon dem derzeit mächtigsten Mann der Welt, Barack Obama. Dafür erzählt er in Invitation To The White House‹, was er gerne mit dem Präsidenten reden würde, falls der ihn denn einmal einlade. »Mein Eindruck, den ich von ihm aus dem Fernsehen hatte, war der: Das ist so ein Typ, bei dem könntest Du an die Tür klopfen und sagen: ich war gerade in der Nachbarschaft, ich dachte, ich schau mal rein und frage ihn, wie es so geht. Aber vielleicht habe ich das ja nur geschrieben, um sicherzustellen, dass es nicht passiert«, meint er hörbar amüsiert. Burdon nahm ›Invitation To The White House‹ noch während Obamas erster Amstzeit auf, als dessen Wiederwahl noch alles andere als sicher war. Und er war glücklich, dass die Wähler dem dem Präsidenten eine zweite Amtszeit ermöglichten: »Er ist nicht perfekt. Aber zumindest hat er einen guten Mittelweg gefunden. Es gab auch sonst niemanden, der das Land stabil halten konnte«.

The River Is Rising, ein Stück mit starken Gospel-Anklängen, bezieht seine Inspiration aus der Geschichte des Fats Domino, der während des vernichtenden Sturms Katrina zunächst vermisst gemeldet worden war, und der zu Burdons lebenslangen Helden zählt. Für Burdon wiederum ist New Orleans eine Art musikalische Heimatstadt: »Da habe ich ganz bewusst die Atmosphäre gesucht. Ich habe Kontakt mit John Cleary aufgenommen, einem Engländer, der dort schon fast sein ganzes Leben verbracht hat. Er lebt für die Musik dieser Stadt. Ich bat ihn um Hilfe, die Musiker für diesen Song zu finden. Das Studio hatte etwas, was ich mit ‚New Orleans Baumwollstadt Atmosphäre‘ bezeichnen würde. Es war eigentlich auch kein Studio, sondern das Nähzimmer seiner Frau, in dem sie ihre Kleider schneidert. Mit diesen großartigen Musikern, darunter einige von Fats Dominos Band, erwachte die Aufnahme sehr schnell zum Leben«.

Ganz schnell kam auch ein anderes Burdon-Projekt 2012 ins Rollen: Produzent Brendan Benson hatte beim erwähnten South By Southwest Festival mit Burdon zusammengearbeitet und fragte ihn einfach, ob er nicht mal nach Nashville kommen wollte, mit den Greenhornes aus Cincinnati ein paar Songs einspielen. Zwei ihrer Mitglieder spielen auch bei den Raconteurs. Burdon sagte spontan zu, nächste Woche habe er Zeit, er komme. Entstanden ist eine kraftvolle, elektrifizierende EP mit vier Songs – ganz anders als Til Your River Runs Dry, in jeder Hinsicht. »Wir haben das in eineinhalb Tagen aufgenommen. So arbeite ich sehr gern. Ich denke, jedes grosse Kunstwerk ist schell entstanden. Wenn es zu lange dauert, wir es leicht Kunsthandwerk statt Kunst. Aber andererseits hat Til Your River Runs Dry sehr lange gedauert. Es kommt immer daruf an, welche Songs du singst und mit welchen Musikern du arbeitest«. Soviel Kreativität ist bei gestandenen Musikern in fortgeschrittenem Alter eher ungewöhnlich: Viele wollen keine neue Musik veröffentlichen, weil sie der Meinung sind, die Welt warte eh nicht darauf. Für Eric Burdon zählt das alles nicht: »Als ich ein junger Kerl war, da waren die Leute, die ich verehrt habe, schon alle alte Männer. Doppelt so alt wie ich. Wenn Du Songs schreiben kannst, wenn du noch etwas zu sagen hast, dann ist das doch in Ordnung«. Von seiner Animals Vergangenheit wird er sich dennoch nicht ganz verabschieden. Die Lieder, die er heute noch gern singt, werde er immer singen: »Die, bei denen das nicht so ist, die lasse ich links liegen und ziehe weiter. Ich wäre ein Idiot, wenn ich meine erfolgreiche Vergangenheit ausklammern würde«. Burdon weiß was er will: Eine neue Band zusammenstellen, reisen, mit den Menschen kommunizieren. In überschaubarem Rahmen, und dabei ist er auch gar nicht neidisch auf den Megastar-Status seines Verehrers Springsteen: »Der hat eine Publicity-Maschine, die mitteilt: Bruce ist im Augenblick in Bangkok und nimmt ein Bad. Ich glaube nicht, das ich das will. Ich will mein Leben für mich«.