Aus der Zeit gefallen

 Karlsruhe-Durlach, Festhalle, 17.4.2015

Wenn sie Kris Kristoffersons „Me and Bobby McGee“ singt, ist sie ganz Woodstock, durch und durch. Mit ihrer akustischen Gitarre und ihrem Kleidungsstil erinnert sie mehr an Melanie als an Janis, in jedem Fall aber wirkt sie brutalstmöglich aus der Zeit gefallen. Barbara Clear hatte der großen Musikindustrie schon vor Jahren gezeigt, dass sie Hallen füllen kann. Sie braucht dazu weder Plattenfirma noch Management und sie zelebrierte diese Unangepasstheit auch am vergangenen Freitagabend in der Durlacher Festhalle mit dem ersten von zwei (unterschiedlichen) Konzerten. „Der Klang des Lebens“ betitelt, brachte es ihre Musik, ihre Malerei und Fotografie als Gesamtkunstwerk auf die Bühne.

Hinter der Frau mit der Gitarre laufen in einem ununterbrochenen Fluss abstrakte und konkrete Bilder ab, farbenfroh strahlend bis düster dräuend, aber es ist doch die Musik, die in den Bann zieht: Barbara Clear ist eine einfallsreiche Songwriterin, die komplexe Songstrukturen schafft, die sich über das allfällige Strophe-Refrain-Strophe-Schema hinauswagen, und deren Stimme alles hergibt, was gute Rockmusik braucht. Sanft und liebevoll, im nächsten Moment aufbrausend und tollwütig. Eine Stimme, die in sich selbst schon Malerei ist, und deren Musik sich selbst die Sprache sucht, in der sie betextet werden will. Mal deutsch, mal englisch. Auch das ist nach den Regeln der Industrie eigentlich kommerzieller Selbstmord. 

In ihren deutsche Texten bleibt sie meistens im ungefähren, malt an esoterische Schwurbel-Lyrik grenzende Naturbilder und wird ab und an halbwegs konkret politisch. Das kulminiert dann in Abiturienten-Reimen wie „Ein System von Menschen gemacht, hat sich selbst um die Zukunft gebracht“. Sie spricht über die Gefahren des Fracking und qualifizert sie sich damit als die Gudrun Pausewang der Holzgitarre, aber man spürt: Die Frau ist echt. Die meint das alles genauso, wie sie es singt und sagt. Man reibt sich die Augen und Ohren und fühlt sich unvermittelt auf einer Zeitreise in eine autonomes Jugendzentrum etwa 1975. Und das begeisterte Publikum sieht auch genauso aus, als habe es sich vor 40 Jahren ausschließlich exakt dort aufgehalten und habe all die Jahre auf die Renaissance dieser Art Kunst – reinkarniert in einer Überzeugunstäterin wie Barbara Clear – gewartet. 

Ganz bei sich wie in ihren eigene Werken ist sie auch, wenn sie Fremdmaterial bearbeitet: Ihr „Locomotive Breath“ dampft tatsächlich wie ein alte Lokomotive unter voller Leistung, dem Emerson-Lake & Palmer Hit „Lucky Man“ entzieht sie alle abgeklärte Unterkühlheit und sogar der 80er Jahre-Tinnef „Through The Barricades“ von Spandau Ballet klingt bei ihr plötzlich menschlich. Dass sie ihn mit den linkischen Worten ansagt „ein Song, den ich wahnsinnig gern in diesem Konzept transportiere“, mag man belächeln. Aber es zeigt nur, dass professionell lächelndes Entertainment ihr Ding nicht ist. Und das ist auch gut so.