Die Seilschaft und ihr Album „Dein Paket“. Ein Gespräch mit Michael Nass.

Bandfotos: Copyright Die Seilschaft Live-Foto: Copyright Dominik Balkow.

1992 war es, als der Liedermacher Gerhard Gundermann begann, mit einer Band aufzutreten. Die Seilschaft machte seine Lieder zu kraftvollen Rocksongs und verschaffte ihm vor allem im Osten Deutschlands bis zu seinem plötzlichen Tod 1998 eine treue Fangemeinde. Gundermann & Seilschaft spielten unzählige Konzerte, auch im Vorprogramm von Joan Baez und Bob Dylan und wurden ausgezeichnet mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Im Westen blieb die Band allerdings eher ein Geheimtipp. Das beginnt sich seit 2018 durch den preisgekrönten Film „Gundermann“ von Andres Dresen zu ändern. Die Musiker hatten schon 2008 erstmals wieder bei einem Gedenkkonzert in der Berliner Columbiahalle gemeinsam auf der Bühne gestanden. Jetzt ist „Dein Paket“, das erste Album mit neuen, eigenen Songs erschienen. Ein Album, dessen Musik sich zwischen Rock und Folk, zwischen kraftvollen Mutmacher-Nummern und verhaltener Melancholie bewegt. Die Texte fangen Momentaufnahmen und Stimmungen ein. In den besten Momenten erzählen sie eine Geschichte, für die andere einen Roman geschrieben hätten.

Ich habe mich mit Michael Nass, Keyboarder, Produzent und Songschreiber der Band unterhalten. Der im übrigen seit über 20 Jahren auch Keyboarder von BAP ist. Das Interview lief via Zoom, und zuerst habe ich ihm mein Exemplar der einzigen Mona Lise LP gezeigt, 1989 bei Amiga VEB Deutsche Schallplatten erschienen, und unter seiner Mitwirkung entstanden….

Hallo Michael, erinnerst Du Dich daran?

Ach du meine Güte. Da hatte ich noch Echthaar!

Ah, und das jetzt ist Kunsthaar?

Praktisch gar kein Haar mehr. Du hältst eine Platte in der Hand, die praktisch zu den missachtetsten Platten überhaupt gehört, die es überhaupt gibt. Diese Platte hatten wir gerade aufgenommen im Wendejahr in Ostberlin 1989. Und diese Platte kam ungefähr eine Woche vor dem Mauerfall raus. Sonst war das ja in Ostdeutschland so, dass man von einer neuen AMIGA-Platte wusste und sich drauf gefreut hat, dass es überhaupt Musik gab, also Populärmusik im Allgemeinen. Teilweise waren sie auch schon vergriffen. Oder von Bands, die geliebt und gemocht wurden, wurden sie schon vorbestellt. Und diese Platte war nun von Anfang an der absolute Ladenhüter, weil eben zehn Tage später die Mauer aufging und sich keine Sau mehr überhaupt für Musik aus der eigenen Region interessiert hat. Alle Berliner sind sofort nach Westberlin gefahren, um sich die Platten zu holen, die sie schon immer mal haben wollten. Das war so traurig, weil in dem Vierteljahr danach sämtliche Geschäfte aufgegeben wurden, Plattengeschäfte, CD-Geschäfte…. Internet gab’s ja noch nicht… da hast du dann ein halbes Jahr später, ein Jahr später, diese Vinylplatten im Müllkübel gesehen. Unbenutzt. Einfach, weil eine andere Zeit war. Das war ein ziemlich grausamer Anblick….

Manchmal passieren aber auch komische Sachen. Ich war gerade vor ein paar Jahren in Stralsund, da hatte gerade ein neuer Plattenladen aufgemacht und die hatten unheimlich viele AMIGA-LPS gehabt, Neuware. Original in Zehnerpacks…. Die Mona Lise ist aber nie auf CD erschienen, oder?

Nein, CDs gab’s damals für uns nicht. Die waren als Konsumenten für uns ja erst in den 90ern greifbar, als wir uns einen Player leisten konnten. Die Platte ist im Frühjahr 89 produziert, im Herbst erscheinen, und keiner hat sich dafür interessiert. Es hätte später also auch keiner mehr Geld angefasst, auch AMIGA nicht mehr, um dieses Produkt auf CD zu bringen. Denn es war ja klar: Dieses Produkt will keiner.

Ich habe noch einen guten Meter AMIGA Original-LPs…

Es gibt natürlich jetzt einige kleine Foren. Ich kenne ein, zwei Leute, die machen das. Die picken sich bestimmte Sachen raus und veröffentlichen die neu auf CD. Bei den Dauerbrennern wird das sowieso gemacht. Aber das Album, das du in der Hand hältst ist praktisch eine Art Nischenware. Ich glaube nicht, dass da jemand das noch machen würde.

Lass uns über die neue Seilschaft-CD reden. Die Seilschaft ist 2008 auf die Bühne zurückgekehrt, und jetzt haben wir zum ersten mal eine CD in der Hand, die nicht mit Gundermann-Songs bestückt ist. Das sind also quasi zwei Wiedergeburten innerhalb der vergangenen Jahre. Wie war das Gefühl 2008, wie ist es jetzt?

Damals war es eine Wiedergeburt in dem Sinn, dass man sich gefreut hat, dass die Menschen, die vor einem im Publikum stehe, sich an eine bestimmte Zeit erinnern. Dass sie sich erinnern an diese Musik, die sehr lange verschollen war, weil sie ja genauso betroffen war wie die Mona Lise Platte. Natürlich waren wir ja mit Gundermann wunderbar präsent in den 90ern, aber durch seinen Tod war das alles wieder in eine Art Zeitfalle gefallen. Es hat wenige Leute interessiert, beziehungsweise es hat sich wie ein Volkslied auf dem Lande verbreitet, aber die „normalen“ Medien, die hat das überhaupt nicht interessiert. Und deswegen war es umso erfreulicher, dass wir die Möglichkeit hatte, auf die Bühne zu kommen, und da war es wirklich Gänsehaut, als die Leute gejubelt und geschrien haben. Nach vielen Jahren der Abstinenz. Mit dieser Band, wohlgemerkt. Wir waren ja alle produktiv gewesen zwischenzeitlich. Das war einfach ein wunderschönes Gefühl. Und das jetzt ist, wie wenn man ein neues Baby kriegt, das mit dem alten nichts mehr zu tun hat. Also wir denken jetzt nicht an die Gundermann-Zeit zurück sondern wir heben einfach versucht, ein neues Baby hinzukriegen, das uns durch die nächsten Jahre bringt, und um dessen Aufzucht wir uns kümmern.

Die Vergangenheit ist aber ja auch immer präsent und es gibt ja sicher auch eine gewisse Erwartungshaltung von den Fans der alten Sachen. Und die will man ja wohl nicht vor den Kopfs stoßen oder verschrecken. In einem Zeitungsartikel ist über euer Baby zu lesen: „Gerhard Gundermann würde jubeln“. Hat man das im Hinterkopf, ob Gerhard Gundermann jubeln würde, oder kommt der Gedanke gar nicht auf?

Naja, ob Gundermann gejubelt hätte? Das haben die geschrieben, und das ist ein schönes Lob, aber so kann man nicht denken. Das geht nicht. Aber wir haben ja einen Kern in uns. Und, auch wenn dar Mann lange vorbei ist, wissen wir, wofür wir stehen. Das heisst, die Leute, die zu unseren Konzerten kommen, die erwarten etwas Bestimmtes. Genauso wie bei BAP erwartet wird, dass Man „Verdamp lang her“ spielt, erwarten die auch ganz bestimmte Lieder, die sie kennen. Aber sie erwarten auch eine Haltung. Eine Haltung, die sie suchen und die sie heutzutage eben kaum finden. Weil es ganz viele Künstler gibt, die recht gefühlsduselig darin umgehen, und andere sind mit Hass erfüllt und schreien Parolen raus. Wir versuchen den Menschen eine Art Grundhaltung mitzugeben, die sie positiv in die nächste Zeit bringt. Das war der Grundtenor, den Gundermann ja auch hatte. Und wenn man sich Klassiker von ihm anhört, dann ist da natürlich auch Sozialkritik dabei, wie auch meinetwegen bei Ton Steine Scherben. Aber immer mit dem Unterton, Hoffnung zu verbreiten oder einen witzigen Ausweg zu finden oder nochmal von oben drauf zu gucken. Und das haben wir uns zu eigen gemacht und versucht, in diesen Songs diese Haltung beizubehalten, weil wir dafür bekannt sind und weil die Leute das auch von uns erwarten.

Damit kann ich was anfangen. Ich sage immer, was mich betrifft: ich bi ein skeptischer Optimist. Das glaube ich auch bei Euch zu hören. Nehmen wir mal den Song „Es sieht nach Regen aus, ob wohl die Sonne scheint“, das drückt ja genau diese Haltung aus. Und dann ist es ja auch oft eine sehr schmale Gratwanderung, bei der man sich selbst ständig kontrollieren muss, dass man nicht plötzlich anfängt, Plakate zu singen. Und dass man andererseits auch nicht zu sehr im Vagen bleibt. Habt ihr dafür so was wie eine Kontrollinstanz?

Die Kontrolle ist dadurch da, dass wir alle schon en bisschen älter sind, Lebenserfahrung haben und der Christian Haase, der fast alle Texte geschrieben hat auf dem Album, der ist ja schon 20 Jahre als Künstler unterwegs, und hat einige Alben veröffentlicht. Als die Texte kamen, habe ich ja als Produzent mit ihm daran gearbeitet. Dass wir den Fokus nicht verlieren, genau was Du gemeint hat: dass man alles nochmals hinterfragt und überlegt: Lehnen wir uns zu weit aus dem Fenster oder ist das zu wenig oder sind wir auf einem guten Weg, damit die Leute uns erkennen als das, wofür wir bekannt sind – und trotzdem noch fordernd genug, dass man über den Tellerrand schaut. Ich denke, das ist ganz gut gelungen. Ich meine, jeder von uns hört Musik und weiss, was da rundherum zur Zeit von anderen angeboten wird.

Nochmal ein bisschen in die Geschichte zurück: Wie kam denn die Verbindung zu Christian Haase zustande? Ich denke, man brauchte ja – als es „nur“ um die Gundermann-Songs ging – einen Sänger, der nicht einfach nur richtig singen konnte, sondern auch die Songs glaubhaft verkörperte. Das ist ja schon ein bisschen mehr…. Wie war das?

Das ist ein glücklicher Umstand. Das sind Zufälle! Deswegen hat es ja auch diese Band lange Zeit nicht gegeben. Man kann nicht einfach einen Sänger hinstellen und sagen: „Sing’ Du jetzt mal die Gundermann-Lieder. Das ist lächerlich. Und deswegen haben wir das Thema auch nice angefasst, weil klar war: Diesen Typone, den kann man nicht mal einfach so verkörpern. Alexander Scheer ist das in dem Gundermann-Film hervorragend gelungen, weil er ein ähnlicher Typ ist und sich monatelang eingearbeitet hatte, das ist ja auch sein Job als Schauspieler. Aber danach springt der aus der Rolle raus. Wenn Du drei Stunden auf der Bühne bist und das rüberbringen willst, musst Du schon eine Nähe in dir tragen. Da trug es sich zu, dass wir Christian Haase kennen lernten, der wie ich aus Leipzig kommt. Wir kannten uns überhaupt nicht, weil es eine andere Generation ist. Ein junger Typ, der schon als Teenager angefangen hat, Songs zu schreiben und auf ganz vielen Festen gespielt hat, und seine ersten Alben veröffentlicht hatte. Der hat einfach ein ähnliches Timbre wie Gundermann. Das ist das eine. Und dann hat er auch, ohne Gundermann zu kennen, Lieder geschrieben, die zu ihm passen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.- und hat damit zufällig, ohne es zu weissen, einen ähnlichen Ton getroffen, wenn auch nicht so inhaltsschwer. Weil er ähnlich verankert ist. Er ist ein Sachse, er kennt das ganze Umfeld und wollte keine Schlager machen. Er hat schon immer mit Songs gearbeitet, die ganz reale Themen verarbeiten. Und die Tina, unsere Schlagzeugerin, hat ihn schon vor vielen Jahren kennengelernt und ist dann in seine Band eingestiegen. Und als seine ersten Erfolge kamen, haben die Zeitungen immer Vergleiche angestellt: Mensch, das ist ja einer, der klingt wie Gundermann. Wie gesagt, zu diesem Zeitpunkt kannte er Gundermann gar nicht. Dann hat er sich den mal angehört und festgestellt, das der sehr bekannt ist und die Leute diese Songs mögen. Weil man ja nicht so viele Klassiker hat, wenn man anfängt, hat er einfach mal ein halbes Dutzend Gundermann-Songs in sein eigenes Program reingetan, um das aufzulockern, und die Leute waren aus dem Häuschen. Deswegen ist er dann ein paar Jahre mit einem Programm unterwegs gewesen, das fast nur aus Gundermann-Songs bestand. Das hat den Leuten so gut gefallen, dass er auf einmal in diesen Fussstapfen stand. Dann haben wir ihn kennen gelernt, und es stellte sich raus, dass er die Hälfte des Repertoire schon kannte. Und zwar nicht nur so ein bisschen nach dem Motto: ich kann den einen Akkord, und jetzt muss ich mal noch den Text angucken, sondern er hatte das schon richtiggehend inhaliert. Damit war er auch schon in den Themen, die die Songs widerspiegeln. Eine wunderbare Fügung – und damit konnten wir auch an neuen Songs arbeiten, die in einem ähnlichen Themenumfeld angelegt sind. Weil er einfach wusste, wo man dran arbeiten muss. Wir fangen jetzt ja nicht an, wie Xavier Naidoo zu klingen oder jemand, der gefühlige Liebeslieder singt, sondern hier geht es um eine ganz bestimmte Baustelle.

Es ist ja schön, wie sich die Kreise schliessen. Tina war ja auch seinerzeit schon die Schlagzeugerin von Mona Lise…

… genau: ich war da ja auch. Und wir haben uns dann bei Gundermann wieder getroffen und haben eben auch in der Besetzung die paar Konzerte mit Bob Dylan gemacht, in unserer Hoch-Zeit mit Gundermann. Und jetzt kommt eben der Haase dazu… das ist eine schöne Fügung.

Du hast ja das Album produziert und auch eine großen Anteil am Songwriting gehabt. Gab es eine musikalische Linie, die man von vornherein im Kopf hatte oder fliesst das einfach mit den drei Songschreibern in der Band? Stilistisch setzt ihr ja im Großen und Ganzen schon das fort, was die Seilschaft früher aus machte. Ich höre vielleicht ein Stück mehr Leichtigkeit. Ein Album und ein Song wie „Der 7. Samurai“ klingt im Vergleich zu dem neuen Material irgendwie fetter, dicker aufgetragen. Das Neue jetzt klingt für mich etwas transparenter, hat noch ein bisschen mehr Folk-Elemente.

Ja, du hast vollkommen Recht. Dieser Drang beim „7. Samurai“. Das ist ja ein ganz persönliches Lied, das merkst du am Timbre: Wie er sich anbietet und rausschreit. Er weiss genau, er ist der siebte Samurai, und irgendwann wird er sowieso erschlagen, was dann ja auch ein paar Jahre später passiert ist. Aber man kann jetzt nicht sagen: Komm, lass uns noch mal so einen Song schreiben. Das klappt nicht, das hat keinen Sinn, das nimmt einem niemand ab. Das ist eine andere Band, eine andere Zeit. Wir haben eine andere Geschichte und tragen die einfach weiter. Aber um den Klangbild gerecht zu werde, gibt es eben Sachen aus der alten Zeit: Folk-Elemente und ein paar Rockelemente, die da anknüpfen, aber nicht die Musik aus den 90er Jahren nachahmen. Das ist ein fach in uns drin, der Saxofonist spielt auch Flöte, dadurch kommen die Folk-Sachen. Und wenn viele Akustikgitarren da sind, klingt das eben mal leichter, verdaulicher. Wenn Du mit dem selben Fingerzeig wie Gundermann heute auftreten würdest – und er hatte oft einen Fingerzeig nach dem Motto: Seht mal alle her – dann würde das heute lächerlich wirken, denn Besserwisser gibt’s genug.

Wobei ich ihm auch nie ganz auf die Schliche kommen. Er gehört für mich zu den Leuten, deren Texte ich toll finde, obwohl ich manches nicht verstehe. Da geht es mir ähnlich wie mit Heinz Rudolf Kunze. Ein paar Sachen auf Eurer Platte haben mich aber voll erwischt. „September“ ist so ein Song, bei dem ich das Gefühl habe, dass Musik und Text dermassen gut ineinander greifen. Das ist, wie wenn dir jemand was von einer feuchten Wiese nach dem Regen erzählt, und du die riechen kannst, ohne selbst dort zu sein.

Wenn sowas passiert, dann hat man das vielleicht wirklich gut hingekriegt. Es gab eine Musik und es gab eine grobe Geschichte. Jeder hat ja eine Erinnerung von früher und denkt: Die will ich mir einfach noch einmal vorholen. Und da ist es eben dieser eine September.

Das Ost-West Thema ist ja nicht wegzureden. Was mich immer merkwürdig berührt: Bestimmte Sachen, die im Osten populär sind, kennt hier im Westen kaum jemand. Ich schaue mir Euren Tourplan an und sehe keine Konzerte im Westen – oder habe ich da was übersehen?

Naja, wenn wir alle Termine drin hätten, die eigentlich im Terminkalender gestanden hätten, wären das 30 bis 40 Konzerte, und da wären auch ein paar westdeutsche dabei, zumal wir im vorletzten Jahr in Tübingen und in Lahr gespielt haben… dort zu den Feierlichkeiten zum 3. Oktober und da gibt es wirklich eine Fan-Base. Wir arbeiten an diesen Terminen, aber wir könne jetzt nichts veröffentlichen, weil einfach noch nichts klar ist. Jetzt kommen alles aus der Deckung und planen Konzerte, die Ende nächstes Jahr stattfinden. Es gibt Anfagen aus Hannover, es gibt Anfrage aus Köln, es ist definitiv eine Band, die durch das Heimatgefühl mehr in Ostdeutschland präsent ist, das ist vollkommen klar, das ist in der Geschichte begründet. Ich bin da nicht sauer drüber. Es ist einfach so. Aber wir waren auch in München beim Bayrischen Filmpreis vor zwei Jahren, das hat wieder mehr mit dem Film zu tun. Also – es gibt schom Aufmerksamkeit, aber es gibt von den Veranstaltern nicht so den Mut, uns zu buchen. Weil man weiß, da müssten ungefähr 1.000 Leute kommen um das alles zu finanzieren und deswegen backt man da die Brötchen ein bisschen kleiner. Das ist eine Sechs-Mann Band, und Du weisst ja selber, was das bedeutet, wenn die durchs Land zieht.

Ich wollte nicht ewig auf diesem Ost-West Ding rumreiten. Eine Frage dazu aber noch: bei dem, was ihr jetzt macht, sehe ich auch textlich kein Problem. Das kann jeder verstehen, der sich ein bisschen damit beschäftigt. Aber bei den Gundermann-Songs war es ja schon so, dass man zumindest ein wenig Ahnung haben musste, wo diese Lieder stattfinden. Lieder wie „Frühstück für immer“, „Hoywoy“ oder Owehoweh“. Da dachte ich immer: Wer noch nie in der DDR war, wird wohl nur schwer verstehen, wovon der Mann da singt. Dazu habe ich auch noch ein Zitat von Gundermann gefunden aus der Schweriner Volkszeitung: „Du musst Veranstalter kennen. Du musst ein Vokabular sprechen, das alle verstehen. Du brauchst drüben wirklich Dolmetscher. Es ist ein Irrtum zu denken, dass man sich versteht, wenn man miteinander Deutsch spricht“. War das denn wirklich so? Oder hat er das polemisch zugespitzt?

Natürlich ist das oft so, wenn du Musik oder Poesie mit einem Heimatbezug machst. Das wäre ja auch so, wenn es ein tolle Band aus dem Saarland gäbe, da würde ich auch sagen: Okay, von was redet ihr? Als Herbert Grönemeyer über Bochum gesungen hat, kannte ich die Stadt nicht, ich war nie dort. Und natürlich hatte er das große Glück, dass es irgendjemand in die Heavy Rotation im Radio gesetzt hat. Auf einmal war es ein Hit, und auf einmal wusste jeder: Aha, der kommt aus Bochum, der mag Bochum und der singt ein Lied drüber. Dasselbe könnte jetzt theoretisch mit „Hoywoy“ passieren, passiert aber eben nicht, aus irgendeinem Grund, den wir nicht kennen. Genauso hat ja auch Wolfgang unendliche Lieder über die Kölner Südstadt gesungen, und das auch noch in seiner Sprache. Das muss man auch echt Glück haben, dass man als Hamburger dazu einen Bezug entwickelt. Da gibt’s genug Beispiel, da hat Glück eine Rolle gespielt, wenn so ein heimatverbundenes Thema bundesweit groß wird – und bei Gundermann war es eben erstmal nur ostdeutsch. Aber jetzt merkt man ja durch den Film, der nicht umsonst so viele Preise gekriegt hat, dass es Themen sind, die überall gelten, auch wenn die jetzt gerade mal in dem Film Ostdeutschland beleuchten. Aber es hätte eben auch im Saarland sein können oder in Hintertupfingen….. oder denk’ an Haindling, denk’ an alle Leute, die mit ihrem Dialekt einen extremen Heimatbezug haben, wie Hubert von Goisern. Natürlich wird der in Stralsund kaum ein Festival mit 10.000 Leuten machen. Und trotzdem ist vollkommen klar, dass es emotional so tief geht, dass es alle berührt, die auch das Wort Heimat irgendwo in sich tragen.

Wobei Hubert ja auch seine ganz eigene Form von Weltmusik entwickelt hat, die ja auch unabhängig von seinem Heimatdialekt funktioniert. Es ein denn man mag sein Instrument nicht….

… ja, dann ist man raus.

Aber nochmal zur Frage der Arbeitsweise der Seilschaft heute. Wie entstehen die Songs? Kommt da jemand mit dem fertigen Song oder entwickelt man ganz klassisch hippiemässig was zusammen?

Alle Varianten, die du angesprochen hast, sind passiert. Es gab Sachen, da hatte Haase ein fertiges Lied und wir haben das mit der Band geprobt und ich habe dann eingegriffen: Sachen verdichtet, Sachen weggelassen, Sachen umgeschnitten oder die Tonarten korrigiert. Oder das Beispiel von vorhin: Für „September“, da hatte ich schon seit Jahren eine Musik, und ich wusste, die wird schön werden. Aber ich hatte keinen roten Faden, den ich anbieten konnte. Ich wusste nur, es geht um eine Erinnerung, auf die man sich bezieht. Da haben wir lange gesessen und versucht, ein Thema zu finden. Auf einmal kam er mit „September“, weil sich das gut singen ließ. Ich hab’ dann zu ihm gesagt: Ja, das passt, jetzt mach’ doch mal ’ne Geschichte. Dann hat er mehrer Varianten angeboten, und dann haben wir zusammen weiter gearbeitet. Ein andermal Dann hat der Gitarrist eine Musik vorgelegt und hat das mit ihm zusammen bearbeitet. Es gab also sämtlich Konstellationen. Und gerade bei der Partynummer „Prost Salute Skol“ gab es ganz viel Durcheinander im Proberaum. Da wurden dann noch Saxofone rausgeholt und festgestellt: Aha, das ist irgendwo zwischen Madness, Ska, Musik von früher halt, aber ein bisschen moderner, noch ein paar Folk-Elemente rein. Also, alles was Du selbst gesagt hast, ist passiert. Manchmal strukturiertes Miteinander-Arbeiten, manchmal Vorlegen einer Idee, und jemand anders denkt sich was dazu aus. Oder eben im Proberaum wild auf Record gedrückt und das Ding erst mal grob zusammen gepfuscht. Dann hört man es sich an und stellt fest: Oh, ist ja gar nicht so schlecht. Da noch bisschen korrigieren, hier noch bisschen ändern. Komm, wir schlafen nochmal drei Nächte drüber, und dann geh’n wir nochmal ran.

Dei Musiker in der Band machen ja such noch andere Projekte, und da ist das Spektrum schon relativ breit angesiedelt. Beeinflusst sich das gegenseitig?

Natürlich gibt’s das. Das ist ganz witzig. Weil, der Mario und der Andy haben zusammen diese verrückte Trash-Polka-Band…. Polkaholix, und die spielen normalerweise, wenn nicht gerade Corona ist, auf Festivals von Lissabon bis Finnland. Da geht es wirklich drum, einen festen Beat zu haben und die Leute bei der Stange zu halten. Da kommt so eine Art Party-Routine, aber sehr rau, zustande. Das ist eben bei „Prost Salute Skol“ passiert. Das sagen die dann: „Ey, eigentlich macht man das heutzutage so: Zack! Zack, umta, umta, umta! So eine Rhythmik, die so einen Puls bringt. Ich hab‘ auch Sachen mit eingebracht aus meiner Erfahrung von BAP-Tourneen. Da weiss ich ganz genau: Ein bestimmtes Tempo für ein Lied ist einfach gut, weil man dann weiß, es wird live funktionieren. Dann muss man zum Beispiel das Tempo etwas anheben auf 140 Beats, weil das die Leute mehr abholt, als wenn man daraus eine ganz ruhige Nummer macht….

Die Einheit von Musik und Text ist ja wichtig. Das funktioniert neben „September“ meiner Meinung nach auch besonders gut bei „Saltimbocca“. Um so eine Story zu erzählen, brauchen andere einen Roman von 400 Seiten. Es erinnert mich vom Gefühl her an die Haltung von Stoppok in manchen Songs, wie etwa „Aus dem Beton“. Wie merkt man denn, dass man die richtige Musik mit dem richtige Text zusammenbringt? Und gibt es manchmal auch Reibungen, dass jemand sagt: „Ich hab’ da eine Musik, aber der Text, den Du dir da gedacht hast, das passt nicht zusammen oder umgekehrt? Ich hatte mal ein witziges Erlebnis mit einem Musikerkollegen gehabt: Ich meinte, „Riders On The Storm“ von den Doors verbreite eine ziemlich düstere Atmosphäre, aber er war der Ansicht, er assoziiere damit hüpfende Mädchen in Baströcken am Strand.

(Lacht) Okay. Das wäre für mich auch eine Fehlinterpretation. Baströcke am Strand kann ich da leider nicht erkennen. Aber gut. Um nochmal auf „Saltimbocca zu kommen. Wolfgang Niedecken hat ja eine eigene Radiosendung beim WDR und hat den Titel gestern Abend ausgesucht und hat dazu was gesagt. Dass er das großartig findet, wie diese Geschichte komprimiert ist. Genau dasselbe, was Du gerade gesagt hast. Er hat ähnliche Worte gebraucht, weil dieses Lied ein wunderbare Beobachtung beinhaltet und dadurch sehr menschlich wirkt, und das dann auch noch in einen Vier-Minuten-Song passt. Das ist dem Haase wirklich gelungen. Und für sowas ist er auch der richtige Mann zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle. Sowas kann der. Die Grundharmonien sind von ihm, der Text ist von ihm. Ich habe als Produzent nur die Musik ein wenig verändert. Die war etwas forscher und hat so praktisch die eigentlich traurige, ehrliche Geschichte ein bisschen verdeckt. Das ist meine Erfahrung durch die lange Zusammenarbeit mit Wolfgang: Dass man sich Mühe geben muss, seine Geschichten nicht zuzubuttern mit tollen Lines, toller Rhythmik, einer zu geilen Band. Sondern das Ganze zurückfährt, damit der Text wirkt, Und das genau war die Aufgabe auch bei „Saltimbocca“. Dass der Text persönlich wird und die Musik das unterstützt, ohne abzuheben. Ohne zu fett zu sein, und ohne zu viel zu wollen.

Es gab ja schon Reaktionen auf das Album, und sehr lobende Kritiken. Wie geht es denn weiter? Wie sieht die Zukunft der Band aus. Gibt es eine langfristige Perspektive?

Ja, auf jeden Fall. Das ist jetzt – bei Howard Carpendale würde man sagen – unser Comeback. Um dieses doofe Wort zu benutzen, um uns attraktiv zu machen für Leute, die uns nicht auf dem Schirm haben. Die anderen, die uns kennen, die lachen sich darüber kaputt und sagen: „Ihr wart ja immer da, ihr wart doch niemals weg. Das ist einfach nur ein Vehikel, um das nochmal nach draussen zu schreien, aber glücklicherweise machen das Medien und wir müssen das nicht selber machen. Die Leute, die uns kennen, wissen, dass wir schon drei, vier Songs aus dem Album live gespielt haben seit eineinhalb Jahren. Wie man es eben so macht: Man testet schon mal einen neuen Song und man guckt, ob der groovt, wie die Leute darauf reagieren. Drum wissen unsere Fans schon längst damit umzugehen. Und natürlich wird es in zwei, drei Jahren ein neues Album geben. Es geht weiter.

Wollt ihr irgendwann dahin, nur noch Songs aus der Zeit nach Gundermann zu spielen, oder werdet ihr eier Liveprogramm weiterhin mischen? Oder ist das noch nicht entschieden?

Ich glaube, da gibt es nichts zu entscheiden. Es gibt keine Notwendigkeit, das zu trennen. Wenn das jetzt alles fremde Lieder wären und wir wären eine Coverband, die mit dem historischen Material nichts zu tun hat, dann könnte man ja so denken. Aber viele Gundermann-Songs habe ich ja selbst mitgeschrieben und damals auch produziert. Auch wenn das jemand anders gesungen hat, ist es ebene trotzdem meine eigene Geschichte und ich muss mich da ja auch nicht verleugnen und sagen, diese Songs machen wir nicht mehr. Ich singe die ja teilweise selbst, weil ich sie singen will. Also: Dies Frage stellt sich gar nicht. Wie das Programm aussieht, hängt auch davon ab, zu welchen Veranstaltungen man eingeladen wird. Es gibt Veranstalter, die sagen: Wir möchten ein Gundermann-Programm. Wir machen zum Beispiel ein großes Open Air in Dresden, die Filmnächte am Elbufer – das ist dieselbe Bühne, auf der wir vor vielen Jahren vor Bob Dylan gespielt haben. Da wird jetzt der Gundermann-Film gezeigt und wir machen ein Konzert dazu. Da werden wir bestimmt 80 Prozent alte Gundermann-Songs spielen. Und dann gibt es Clubs in Berlin, da werden wir wohl im November alles vom neuen Album spielen und den Rest mit Gundermann-Klassikern auffüllen. Die Leute wollen was Neues von uns haben. Wir werden uns nicht von den Gundermann-Songs trennen so nach dem Motto: Das ist die Geschichte, die wir jetzt verlassen. Das gehört zu unserer DNA. Wir sind die Band, wir haben diese Songs damals eingespielt, einen Teil mit komponiert. Ich habe zwei Alben mit produziert. Es gibt also nichts, worüber ich mich ärgern müsste.