Jetzt neu mit Schnaps

Gerd Dudenhöffers neuer Heinz Becker: „Wiederspruch“, Karlsruhe, Konzerthaus, 18.12.2005

Heute mal nicht im Hausmeisterdress. Dudenhöffer alias Heinz Becker sitzt in der Weitläufigkeit der Konzerthausbühne auf diesem gedrungenen Cordsofa, im karierten Hemd, die Batschkapp als Weltanschauungssymbol auf dem Kopf. Und kommt wie gehabt vom hundertsten ins Tausendste, von der Klospülung zur Weltanschauung. Kaum ist die Klospülung aus dem Off verhallt,. hadert er schon mit seinem „Kotlett“, das er sich beim Telefonieren gezerrt hat. Und mit dem Nachbarn, mit dem es Verstimmungen gab, „Weil ich am letschte Silvester länger geschoss han als er“. Klammheimlich schleicht sich das Grauen in Beckers Rede. Immer konterkariert durch die Sparsamkeit der Gesten, die nichts Böses signalisiert und mit ihren Pausen doch ahnen läßt: inter der Batschkapp braut sich was zusammen.

„Dem Alwis sei Tochter hat jo e Nescher geheiratet. Ich weiß net, ob der direkt en Nescher war. Irgend en Mischung zwischen Neger und Afrikaner“. Dass Becker dann eine Verbindung zwischen dem Hautkrebstod der Schwiegermutter und der Berührung mit dem „Nescher“ zieht, war zu erwarten. Schon streichelt er wieder versonnen-verliebt das Sofa, während er doziert, dass bei manchem „Nescher“ die Farbe ja wieder abgeht. Die Figur Becker springt bedient sich der Themen unterschiedlichster Größenordnung, um ihnen gnadenlos ihre Philosophie überzustülpen: „So is das mit dem Lewe: Fängt mit der Geburt an und hört mit dem Tod uff, dazwischen musst du gucke“. Meist verguckt er sich. Nun sin de se wieder Schnittchen, die die Tücke des Objekts versinnbildlichen. Eine ganze Abhandlung, was mit dem Zeigefinger zu tun ist, damit der Lachs und das ganze Zeug nicht rutscht, wiegt den Zuschauer in trügerischer Sicherheit. Gerne lacht man den Identifikationslacher.. Auch dann noch, wenn er alle Probleme dieser Welt heimwerkerisch lösen möchte, z.B. mit Sperrholzstützen statt Silikonimplantaten bei erschlaffenden Brüsten. Auch dann noch, wenn er versehentlich in den Sexshop gerät, und in jeder Geste, jedem Gesichtsausdruck dieses hochspießerische „Pfui wie schön“ leuchtet. Vorsicht ist dann schon eher beim Tsunami geboten, der wird bei Becker „Azubi“ heißt.. Und für die Opfer wird vereinsseitig auch was getan: Jägerschnitzel-Essen. Drei hat er geschafft. Weh dem, der in aufwallender Amüsiertheit nun den falschen Zwischenruf macht. Dann packt der Becker – oder war das jetzt der Dudenhöffer den Knüppel der Publikumsbeschimpfung aus. „Wenn Sie am vierundzwanzigsten Zeit han, ich brauch’ noch Stroh fürs Krippchen“. „Ich han noch gedenkt; Mach Rotkraut, aber gesacht han ich Blumekohl“ Davon Hat Heinz Becker nun eine fortwährende Blähung, die er bedächtig verbal fast wie eine Monstranz vor sich herträgt. Nach der Pause entlädt sich die ganze angestaute Tragik: Denn spätestens jetzt bemerkt jeder: Von Bier war zwar schon die rede, aber getrunken hat er nicht einen Schluck. Er greift unter Blähungsvorwänden zum Schnaps. Die ganze Tragik stürzt mit ein zwei drei vielen Schnäpsen über ihm zusammen. S’ Hilde hat Blumekohl gemacht! Nach 40 Jahren Ehe. Dudenhöffers Schauspielkunst ist hier auf dem Höhepunkt. Das Ausrutschen auf der Sofalehne, die vergeblichen Versuche, die Flasche – die Pandorabüches sein will – im ersten Anlauf wieder zuzukriegen, die irrlichternde Gedankenwelt, die nur noch an vorbeifliegenden Fetzen festzuhalten ist. In einem Schwall immer undeutlicher artikulierter Worte, die immer wieder um „Blumenkohl“ und „vierzig Jahre“ kreisen und nur noch halt zu finden scheinen in vertrauten Gewissheiten, dass der Hitler eben einen ordentliche Frisur hatte. Wie eine Autobahn.