No Direction Home – Bob Dylan. Deluxe 10th Anniversary Edition

Capitol / VÖ: 25.11.2016

Etwas verspätet erscheint die Jubiläumsedition von Martin Scorseses dreieinhalbstündiger Dylan-Dokumentation aus dem Jahr 2005, die dramaturgisch geschickt aufbereitetes Archivmaterial, Konzertaufnahmen, Interviews mit Dylan, Zeitzeugen und Weggefährten zu einem Bild zusammenfügt, das einen emotionalen Zugang zu den entscheidenden Jahren – 1961 bis 1966 – der „Künstlerwerdung“ des Sängers eröffnet. Der Film beschreibt collagenartig den Weg Dylans von seiner Heimatstadt Hibbing (Minnesota) über sein Eintauchen in die Folk-Szene des New Yorker Greenwich Village bis zum Punkt, an dem er seine Musik elektrifizierte.

Scorsese benutzt Dylans Film- Tonband und Foto-Sammlung, montiert die Auftritte beim Newport Folk Festival von 1963 bis 1965 aus Murray Lerner’s Film Festival mit vorher nie gezeigten Aufnahmen, die D.A. Pennebaker für seine berühmte Dokumentation Don’t Look Back (1967) gemacht hatte. Zu sehen sind Interviews mit (unter anderen) Dave van Ronk, Liam Clancy oder Joan Baez. Maria Muldaur sagt: »Die Leute wollten mehr von ihm, seine Songs waren ihnen nicht genug.« Aber an diesem Sänger scheitern sie ebenso wie alle Erklärer. Da ist die Ratlosigkeit der Journalisten in Archivaufnahmen einer Pressekonferenz des jungen Dylan zu sehen:»Ihre Songs haben eine subtile Botschaft?«, fragt einer vorsichtig, und Dylan antwortet vergnügt: »Woher haben sie das ?« In einem extra für den Film geführten Interview beharrt der ältere Dylan trotzig auf künstlerischer Unabhängigkeit und entzieht sich jedem Versuch, ihn als Sprachrohr einer Generation oder als politischen Sänger vereinnahmen. Zum Bonusmaterial der Jubiläumsedition gehört ein Interview mit dem Regisseur, in dem er Einblick in seine Motivation und seinen Anspruch gibt: gerade jungenLeuten ein lebendiges Bild der Gesellschaft in der Zeit zu vermitteln, in der der Künstler Dylan reifte. Scorseses Aussage »Widersprüche sind selbstverständlich bei großen Künstlern« kann als Warnung an selbsternannte Dylanologen gelesen werden. Das Bonusmaterial bringt im weiteren unter anderem die kompletten Interviews mit Dave van Ronk and Liam Clancy, es gibt einen unveröffentlichten Promo Clip für „Positively 4th St.“ und man sieht Dylan, der „I Can’t Leave Her Behind“ 1966 in einem Hotelzimmer in Glasgow spielt.

9/10