Den Sound neu definiert mit „Walk The Earth“

Vor zwei Jahren haben Europe mit War Of Kings ein von Kritik und Fans gleichermassen hochgelobtes Album veröffentlicht, 2016 haben sie in zehn Konzerten noch einmal ihr Erfolgsalbum The Final Countdown in voller Länge abgefeiert, und nun legen sie mit Walk The Earth ihr elftes reguläres Studialbum vor, das den Europe-Sound – zumindest in Nuancen – neu definiert.

»Die Haltung, die dahintersteht, die Arbeitsweise, war bei beiden Alben ziemlich ähnlich. Ich finde allerdings, Walk The Earth ist ein bisschen mehr Abenteuer, was Aufnahmetechnik, Texte und Songwriting generell betrifft. Wir hatten viel Spaß dabei, ein bisschen mehr zu experimentieren – genauso wie wir Spaß hatten, wieder große Riffs und Melodien zu erfinden«, sagt Joey Tempest. Während War Of Kings fast durchgängig ein melodiesattes Statement für den Überlebenswillen des Genres Classic Rock war, erlaubt sich das Quintett nun wieder gelegentlich, seine schräge, düstere Seite – allerdings in vorsichtiger Dosierung – hervorzukitzeln.

Der Titelsong wiegt zum Auftakt die Fans noch in Sicherheit, aber schon nach fünf Minuten fährt John Norum in ›The Siege‹ einen bleischweren Riff auf, den auch Tony Iommi erfunden haben könnte: »Der Riff kam von unserem Bassisten John Leven. Wir fanden es alle gut und wir haben es gemeinsam ausgearbeitet. Es ist ziemlich düster und hat vielleicht auch einen Alternative-Touch.« Zudem erzeugt es – wie einige weitere neue Songs eine interessante Reibung zwischen der immer harmonischen Stimme des Sängers und der Musik, die allerdings für manche gewöhnmubngsbedürftig sein könnte.

»Also, ich mag das ziemlich gerne«, kommentiert der, »und das gibt es ja auch bei anderen Bands. Nimm Rush als Beispiel, oder nimm Queens Of The Stone Age. Josh Homme hat eine coole Stimme, aber er ist kein Shouter. Ich finde es schön, wenn man diese beiden Dinge zusammenbringt.« Mit ›Pictures‹ ist der Band eine Ballade gelungen, die harmonisch meilenweit entfernt ist von zuckersüßen Grosstaten der Vergangenheit wie ›Carrie‹. Da trifft 70er-Jahre-Flair inklusive echtem Mellotron auf eine Melodieführung, bei der David Bowies ›Major Tom‹ grüßen lässt. Kein Wunder, wenn man weiß, dass Bowies ›Space Oddity‹ zu den ersten Singles gehörte, die der Teenager Rolf Magnus Joakim Larsson (so Tempests bürgerlicher Name) gekauft hat. Der sich dann auch folgerichtig bei seiner ersten Band Made In Hong Kong schminkte wie Bowie und Kiss. Der Sänger ist mächtig stolz auf das Stück und seine Entstehung: »Der Gesang ist mit einem alten Mischpult aufgenommen, das die Beatles benutzt hatten, die Drums über eines, mit dem Pink Floyd gearbeitet hatten. Das ist eine sehr spezieller Song und ich bin sehr glücklich, dass wir ihn endlich aufgenommen haben. Die Idee dazu ist schon 20 Jahre alt, und wirklich fertig wurde es erst kurz bevor wir ins Studio gingen. Erst jetzt waren wir bereit, so einen Song zu machen. Das gehört eben auch zu dieser Abenteuerlust. Plus die Tatsache, dass Dave Cobb ihn auch unbedingt aufnehmen wollte. Er hatt einige Ideen von der Produktionsseite dazu.«

Die Schweden hatten den Amerikaner bereits für die Produktion des Vorgängeralbums engagiert. Cobb hatte viele Country-Musiker – unter anderem Dolly Parton – produziert, aber auch Acts wie Chris Cornell und Glenn Hughes‘ kurzlebige Band California Breed. Den Ausschlag für die Entscheidung aber hatte damals seine Arbeit mit den Rival Sons gegeben. Nach dem Erfolg von War Of Kings lag es nahe, ihn wieder zu verpflichten. »Er wird nach und nach mehr zum Bandmitglied. Dieses Mal war das Vertrauen natürlich noch größer, weil wir schon einmal mit ihm gearbeitet hatten. Deshalb haben wir ihm auch erlaubt, sich mehr einzubringen. Nicht nur, was Produktionstechnik betrifft und kreative Ideen, er hatte auch seinen Anteil am Songwriting. Die Songs, die wir hatten, waren nicht wirklich fertig. Er hat dabei geholfen, ihnen den letzten Schliff zu verpassen. Für ›Picture‹ erarbeitete er andere Akkordfolgen im Pianosolo, die großen Chöre in ›Kingdom United‹ sind seine Idee und sein Arrangement, genauso wie die Rhytmik im Outro von The Siege‹.«

Europe haben sich bislang nie als politische Band verstanden. Auf Walk The Earth finden sich allerdings Spuren von politischen Aussagen – etwa in ›Election Day‹ oder der Textzeile »sunset on democracy« aus ›Kingdom United‹. Ertappt? Der Sänger lacht: »Ich sehe mich als Beobachter, aber nicht einer der Sorte, der mit dem Finger auf bestimmte Dinge zeigt. Auf diesem Album gibt es einige Songs, die diese Haltung, auch was Politik betrifft, zumindest andeuten. Wir sind ja auch erwachsener geworden.«

Ein Reifeprozess ist auch die musikalische Entwicklung der Band seit der Reunion 2003, der man deutlich die Suche nach einem neuen Sound anhört. »Mit den ersten zwei Alben ging es damals darum, wirklich andere Sachen auszuprobieren«, versucht er eine Einodnung. »Wir waren sehr spontan und arbeiteten sehr schnell. Wir wollten etwas Neues schaffen, und die Idee, sich auf das alte Material zu beschränken, haben wir sofort verworfen. Wir wollten eine neue Herangehensweise an Songs. Wir wussten aber nicht, wer das hören würde. Mit Last Look At Eden änderte sich die Richtung wieder geändert. Da fühlten wir uns wieder richtig wohl und hatten unser Selbstvertrauen wieder gefunden. Das war ein sehr wichtiges Album für unsere Karriere, es hat uns die Tür zur Zukunft geöffnet. Auf der anderen Seite hatten wir dann das leicht bluesige Bag Of Bones, das zu den Alben gehört, die die Kritiker am meisten mochten. Und heute sehen wir rückblickend, dass es tatsächlich eine jüngere Generation gibt, die uns hört. Und einige der alten Fans sind immer noch da.«

Dass die Band auch ihre Vergangenheit nicht verdrängt, stellte sie mit eineigen Konzerten klar, bei denen sie 2016 noch einmal das komplette Album The Final Countdown aufführte, das ihnen 30 Jahre zuvor den weltweiten Erfolg gebracht hatte. »Es war wunderbar, dieses Album noch ein mal zu spielen – und wir wussten, dass es eben nur diese zehn Shows sein würden – das war etwas sehr Spezielles. Sehr aufregend fand ich auch, in der gleichen Show War Of Kings komplett zu spielen und mit diesem Nostalgie-Trip zu verbinden.« Dass aber nicht alle Songs dieses Nostalgietrips die absoluten Knaller sind, ist der Band auch bewusst. »Naja, wir lieben sie alle in gewisser Weise. Es gibt da schon einige, die wir wahrscheinlich nie wieder spielen werden, aber ich habe es genossen, ›Time Has Come Again‹ wieder zu spielen oder ›Love Chaser‹, die hatten wir vor fast 30 Jahren das letzte Mal gespielt. Und die fühlten sich wie neu an.«

Im November sind Europe für mehrere Konzerte im Vorprogramm von Deep Purple gebucht – darauf freut sich Joey Tempest besonders: »Wir fühlen uns privilegiert. Sie haben ja für uns alles ins Rollen gebracht. Als Kids haben wir Made in Japan gehört. Und gerade, als wir anfingen auf Tour zu gehen, kam Perfect Strangers raus und wir haben sie uns live angeschaut. Aber ich liebe auch ihr aktuelles Album. Sie sind immer noch kreativ, haben großartige Ideen, einen großartigen Produzenten und sie klingen gut. Sie sind immer noch Pioniere, die Berge versetzen können. Es ist uns eine riesige Ehre, die Bühne mit ihnen zu teilen.«