Musikalische Freiheit trotz Krise

Fotos: Copyright Lilian Forsberg

Andere Bands haben in der Corona-Krise ihre Veröffentlichungen wieder und wieder verschoben, die schwedischen Prog-Könige The Flower Kings tun das genaue Gegenteil: Islands, ein über 90 Minuten langes Doppelalbum, erscheint nur ein Jahr nach dem Vorgänger Waiting For Miracles und nimmt sich alle musikalischen Freiheiten, trotz veränderter Produktionsbedingungen. »Corona hat alles verändert, und für manche Bands war es wohl ein totaler Schock. Sie waren wie gelähmt und wussten nicht, was sie tun sollten, weil sie nicht touren konnten und nichts verdienten.« Nicht so für die Flower Kings. Stolt, ganz Pragmatiker, kommunizierte mit seinen Musikern via E-Mail, und so war der Beschluss schnell gefasst: Wir machen einfach noch ein Album, früher als geplant und anders als geplant. »Für uns war das etwas einfacher, wir hatten genug Material. Ich hatte noch etwas übrig vom letzten Flower Kings Album, aber auch Sachen, die ich für Transatlantic geschrieben hatte im September letzten Jahres.«

Für den Gitarristen war die Produktion letztlich nur eine Frage guter Organisation. Schliesslich leben die derzeitigen Mitglieder der Band in Schweden, den USA , Italien und Österreich. Jeder war aufgefordert, im eigenen Studio zu arbeiten und Ideen zu schicken, die dann zu einem großen Gesamtbild zusammengefügt werden sollten. »Wir haben das ja schon vorher gemacht, mit anderen Projekten. Es gab nur ein paar Sachen, die wir einrichten mussten: Das Studio unseres Drummers Mirkko DeMaio Drummers etwa war nicht professionell genug ausgerüstet, da musste ich ihm erst ein paar Dinge beibringen und ein paar Mikrofone schicken. Es hat eben alles etwas länger gedauert.« Roine Stolt, Jahrgang 1956, gehört noch zu jener Musikergeneration, die noch den Geist der Ursprünge des progressiven Rock Ende der 60er-Jahre mit der Muttermilch eingesaugt hat. Das bedeutet: Keine musikalischen Scheuklappen, keine starren Strukturen, Ideen fliessen lassen, und schauen, was passiert. Sein Arbeitsprinzip war immer Versuch und Irrtum. »Das hat sich bis heute kaum verändert. Eher im Gegenteil. Heute probiere ich sehr viel aus, sogar auch beim Gesang. Bei Soli oder Melodien versuche ich, so frei wie möglich zu sein, denn die Chance, etwas zu spielen, was ich nie zuvor gespielt habe, ist so viel höher. Manchmal wandern die Finger übers Griffbrett und eine Phrase oder eine Melodie taucht auf, die du so nicht zu spielen vorhattest. Mit so etwa kann ich mich selbst überraschen. Ich mag es einfach nicht,, auf Nummer sicher zu gehen.« 

In normalen Zeiten gehört zum Entstehn von Musik auch das überrschende, inspirierende Element dazu, wenn Musiker zusammen in einem Raum etwas entstehen lassen. »Ich bin ja eigentlich ein großer Fan des Improvisierens und der Möglichkeit, aus Nichts etwas enstehen zu lassen. Dabei spornt man sich ja auch gegenseitig an. Der Bassist spielt etwas, und duch versuchst drauf einzusteigen, das wiederum inspiriert den Keyboarder. Wenn man das aufnimmt, lassen sich hinterher manchmal Teile von Songs daraus machen.«

In der eher ungeliebten Situation, ein Album via Internet aufzunehmen, war das nicht möglich. Deshalb schien es Stolt hilfreich, freies Denken quasi per Regieanweisung zu verordnen. »Ich sagte zu den Jungs: Okay, lasst uns ein Album machen, das wie die Flower Kings klingt, aber wir sollten vermeiden, etwas zu tun, was wir genauso schon einmal gemacht haben. Ich möchte von Euch Demos kriegen, die anders klingen. Es ist nicht tabu, etwas zu spielen, wozu man mit den Fingern schnippen kann. Es muss nicht super kompliziert sein, obwohl ich auch das sehr gern mag. Aber wenn wir ein bisschen Klassische Musik reinbringen wollen, oder Jazz-Fusion, oder Funk – das geht alles in Ordnung. Das hat alles eine Platz, aber eben mit einem Flower Kings Touch.« Genau diese ganze Bandbreite hört man dem Album an. Alle Elemente, die Stolt beschreiben hat, finden sich auf den zwei Scheiben wieder. Mal als Grundierung eines Songs, mal aus kurz aufblitzende Zitate.

Auch das Cover Artwork kann als Hinweis auf die unendlichen Freiheiten gedeutet werden, die sich dioe Urväter des Genres nahmen. Gestaltet wurde es von Roger Dean, dessen Arbeiten vor allem für Yes stilprägende für eine ganze Epoche waren. »Thomas Waber, der Chef unseres Labels hatte vorgeschlagen, Roger Dean einfach zu fragen. Ich hatte nicht daran gdacht, und um ehrlich zu sein, dachte ich auch: Vielleicht können wir uns ihn gar nicht leisten? Am Ende hat er zugesagt und alle waren glücklich darüber. Als er zusagte, arbeitete er gerade an zwei Sachen, eine davon hiess The Island Ferry. Da hatten wir schon beschlossen, unser Album Islands zu nennen. Ein merkwürdiger Zufall!«

Der Albumtitel steht im weitesten Sinne auch für die Isolation, dre die Menschen in Corona Zeiten ausgesetzt sind, Stolt will es allerdings nicht als Konzeptalbum zur Krise verstanden wissen. Wie immer lassen die Texte dem Hörer viel Interpretationsspielraum. »Es ist schon beeinflusst von der Situation, in der wir alle sind. Als Menschen mit Familien, aber auch als Band, die darum kämpft, dass die Musik überlebt. Es ist aber eine sehr lose Verbindung. Manchmal gibt es aber auch zufällige Zusammenhänge. Der Song Morning News beschäftigt sich mit der Schwelle zum Sterben. Das hat mich tatsächlich auf besondere Weise berührt, weil meine Mutter tatsächlich in diesem Frühjahr gestorben ist. Sie war schon alt, aber es war traurig und schwer mit dieser Situation umzugehen, wenn man mitten in der Produktion eines Albums ist. So hat der Text für mich eine andere Bedeutung angenommen, die der Hörer vielleicht gar nicht bemerkt.«

Stolt hat einmal gesagt, die Flower Kings seien – trotz seiner zahlreichen anderen Projekte – »die Band, in der ich bis zu meinem Todestag spielen werde«. Dazu steht er auch heute noch: »Was ich da vor 20 Jahren gesagt habe, bedeutet einfach nur: Ich habe gern meine eigene Band, lieber als ständig für andere Leute Gitarre zu spielen. Da habe ich die Kontrolle über die Musik, die ich wirklich mag. Wir haben 15 Alben herausgebracht, es gibt ein Publikum dafür, also macht es Sinn, weiterzumachen.«

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