Weder entlarven noch sezieren

Max Goldt im Tollhaus, Karlsruhe, 14.1.2020

Der Teufelsaustreiber in Sachen Sprache für die vermeintlich, nein: vermutlich gebildeten Stände, Bastian Sick, hat einmal Udo Jürgens für seine „nicht weniger als 19 Konjunktivformen in einem schlichten Liebeslied von dreienhalb Minuten Dauer“ gepriesen, und bei Max Goldts virtuoser Handhabung des Konjunktivs möchte man wähnen, er spränge (sprünge?) gleich aus den Kulissen, um ihm den Udo-Jürgens-Orden für nicht gesungene Konjunktiv-Verwendung anzuheften. Kürzlich hat Goldt in einem viel zitierten Interview verkünden lassen, er gehe nur äusserst selten zu Lesungen, wegen der dabei anfallenden Trivialitäten wie „fürchterliche Ansagen und Podiumsgespräche“. Ein Erfolg dagegen sei eine Lesung, „wenn die Leute ganz konzentriert zuhören und anschliessend fest und lang applaudieren“.

Sein Publikum im Tollhaus am Mittwochabend hat sich die Benimm-Regeln zu Herzen genommen. Dass der Künstler auf ein lautstark explodierendes Glas im weiteren Lauf der Veranstaltung überhaupt nicht reagiert, passt dazu und ist ein Statement, in dem der unausgesprochene Satz klingt: „Ich lasse mir den Ernst, ja die Würde meines Vortrags nicht ins Banale herabklirren.“ Was Goldt da eigentlich treibt, ist seit Jahrzehnten schwer zu beschreiben und durchzieht die alten und neuen (teils unveröffentlichten) Texte, die er an diesem Abend liest. „Entlarve ich gerade oder seziere ich?“ fragt er – und gibt selbstredend keine Antwort. Man ahnt aber immer, was ihn umtreibt. Der Blick des staunenden Beobachters auf Ungenaues, schlampert daher Geplappertes, gern auch aus dem journalistischen Bereich. Man traut sich ja kaum, über ihn zu schreiben. Goldt sieht, entlarvt, seziert oder – was weiss ich – es sofort. Etwa die Rede vom „banalen“ oder „absurden“ Alltag. Der Alltag sei im Regelfall eben weder banal noch absurd, sondern doch eher gut sortiert. Auch mit dem Humor ist das so eine Sache. Komik Humor, Witz – das werde häufig alles durcheinandergebracht. Goldt macht es an einem einfachen Beispiel klar: „Komik hat keine Pointe. Das mit den Pointen heisst Witz.“ Das Politische, gar das Partei nehmend Politische ist ihm fremd. Ganz subtil blitzt es aber auf, wenn er sinnierend über den Zweck eines im Entstehen befindlichen Gebäudes schreibt, drinnen könnten sich „Menschen mit Migrationshintergrund beschweren, weil man ihnen gesagt hat, dass sie gut Deutsch sprechen.“ Goldts Spielmaterial sind immer die Menschen, die er auf seltsam distanzierte Art ziemlich distanzlos beobachtet. Etwa den Baulöwen, der „seinen Bademantel wie einen Hermelin trug“. Und wenn ihm jemand zu nahe tritt, entstehen Sätze wie dieser: „Ich lächelte zurück, allerdings au eine Weise, deren komplexe Natur er unmöglich zu deuten in der Lage war.“ Auch wenn das gelegentlich den Hautgout des Elitären hat: Für Sätze wie diesen werden ihn seine Fans immer lieben.