Der Untote

Josef Hader im Tollhaus, Karlsruhe, 13.10.2007

„Hader muss weg“ heißt das Programm. Keine Bange, Hader kommt weg. Und wie. Erst schmeißt er sich aus dem Auto eines halbintellektuellen Verehrers, liegt schon ziemlich zerschmettert da, setzt sich neu zusammen, um dann von einem Tankstellenbesitzer erschossen zu werden. der wiederum am liebsten jedem den Tod androht, der die Worte „Shell“ oder „Aral“ nur ausspricht. Aber auch der tote Hader ist sehr lebendig, spielt sieben Rollen, darunter zwei Frauen, wechselt Stimmen und Stimmung im Saugalopp, aber nie den Mantel. Kottans Mantel, vermuten einige, und das könnte ein Hinweis sein: der an einer irren Welt selbst irre werdende Ermittler schneidet Hirne auf. So wie sein eigenes, auslaufendes, als er tot am Boden liegt, von einer seiner voyeuristischen Figuren inspiziert wird: Ist da nicht eine Ameise, die im Hirnschmalz stecken geblieben ist? Stecken in den losen „Hirnbröckeln“ vielleicht sieben, acht oder neuen Kabarettprogramme?

Aber gemach, bevor es ans Eingemachte, in die Eingeweide und das Hässliche geht, bedient sich Hader eines bekannten Tricks, dem er neue Nuancen abgewinnt. Es gebe da noch ein technisches Problem, die Vorstellung fange später an. Die Tollhaus Garderobe wird per Videoleinwand-Übertragung zum vermeintlichen Spielort des privaten Künstlers. Hader und Lichttechniker Gerd, vorgeblich koksend und Wodka saufend. Hader zieht eine Publikumsbeschimpfung nach allen Regeln der Kunst ab: „Die sitzen da wie ein Autistenkongress“, sind „karrieregeil mit Bioresonanz“, und wenn sie gar von den Medien ausgesandt sind, stellen sie auch noch die falschen Fragen. „Wie beurteilen Sie denn die österreichische Kabarettszene? Ha! „Fragt vielleicht einer einen Metzger, wie der die Metzgerszene beurteilt?“  Ein Mann spricht in ein Handy. Dieser merkwürdig gehemmte, verklemmte Mann mit stetigem Harndrang, der im Gespräch mit seiner Gefährtin den Starken zu spielen versucht, aber schon im Ton der Frage „Wieso geht nächste Woche nicht?“ seine ganze Wurmhaftigkeit offenbart. Der sich wenige Minuten später zum Wurm macht, als er den leibhaftigen Hader trifft, sich ihm speichelleckerisch zu Füssen wirft. Der Bewunderte aber lässt ihn abblitze und lässt ihn wissen, er gehöre zu denen, „wo ich mich in der Pause schon niedersaufen muss, damit ich weiterspielen kann“. Die Rettung scheint der Sprung aus dem Auto. Tot? Der Himmel jedenfalls ist offenbar die freie Tankstelle. Oder die Vorhölle. Es folgen weitere Schlaglichter auf ausgebrannte Hüllen. Die osteuropäische Prostituierte, die ihre Lektion gelernt hat und die am klarsten sagt, woran einige der Figuren glauben oder geglaubt haben: Alle ist verhandelbar. Irgendwie, und wenn es sein muss mit Erpressung. Wenn die Lage am peinlichsten ist, und das Gemächt freiliegt, dann taucht ein Mann mit der Kamera und dem slawischen Akzent auf, und will Geld. Hinterhältig, wie harmlos Hader den kreuzfahrterfahrenen Barpianisten (Split-Dubrovnik-Split) einführt. Der sitzt versunken am Piano und singt einen Reggae: „From a logical Point of View, better marry a woman uglier than You“. Der hat die schwärzesten, abgründigsten Geschichten zu bieten. Während ihm die Gefährtin des Pinklers Avancen macht, nölt er sie mit Falco-Stimme zu. Der Strudel des Grauens strudelt schneller, die Beklemmung wächst. Von einer Harlry Davidson träumt sie, und er kontert beiläufig mit der Geschichte vom Sedlacek, dessen abgetrennter Kopf samt Helm direkt ins Motorradzubehörgeschäft seiner Gattin rollte, wo sie ihn ohne Ansehen der Person ins Regal stellte, bis er anfing zu riechen. „Ist das Leben nicht wie der Wiener Prater“, versucht die Dame abzulenken. Aber es hilft nichts. Jeder Gedanke, jeder Vorsatz, jede Moral hat eine extrem kurze Halbwertszeit, hier. Da liegt einer unterm Auto, und was sagt die Frau dem Mann? „Du musst jetzt über ihn drüberfahren, sonst passiert ein Unglück“. Irgendwann in diesem Dialog hat dieser Mann ziemlich abweisend gesagt „Wir plaudern definitiv nicht schön“. Eben.