​Tod und Geburt als Tragikomödie

Gardi Hutter präsentierte „Gaia Gaudi“ in der Remchinger Kulturhalle, 17.11.2021

Gaia ist die Erdgöttin in der Griechischen Mythologie. Gaia ist auch der Beruf der Clownin Gardi Hutter. Deren Programm, das am Dienstagabend in der Remchinger Kulturhalle zu sehen war, bringt beide zusammen, und noch mehr: Anfang und Ende, Geburt und Tod. Gleich zu Beginn begegnet Hutter – in ihrer Rolle als Hanna – einer weiteren, reglosen Figur, die ihr bis aufs Haar gleicht. Entsetzen, Verwunderung, Hilflosigkeit und die tragikomische Entdeckung, dass sie tot sein könnte. Das Publikum ahnt es, Hanna offenbar noch nicht.

Es geschehen seltsame Dinge in diesen 90 Minuten, in den Köpfen manch eines Zuschauers mag gar der Buchtitel eines bekannten Fernsehphilosophen aufleuchten: „Wer bin ich, und wenn ja, wieviele?“ Hutter spielt mit Identitäten, mit Höhen und Tiefen des Lebens, ist himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt im schnellen Wechsel, fast wie ein Säugling. Aasgeier umkreisen sie, dann wieder verwandelt sie sich in eine grenzdebil-diktatorische Herrscherin, die ihren sie umschwänzelnden Lakaien gebietet, Köpfe rollen zu lassen. Hybris und Wahnsinn, kindliche Freude und erwachsene Ängste liegen so nah beieinander.

Zur Thematik passt auch, dass „Gaia Gaudi“ ein in der Familie gemeinsam entwickeltes Projekt ist: Hutters Kinder Neda und Juri Cainero und ihre Schwiegertochter Beatriz Navarro – allesamt begnadete Künstler – agieren dabei in ständig wechselnden Rollen und erweisen sich dabei als hochklassige Sänger, Musiker und Tänzer. Sie stützen das Spiel der Mutter, entwickeln dabei aber auch ein ganz eigenes künstlerisches Profil, indem die mit ihren im eigentlichen Sinne schönen Liedern immer wieder das absurd-anarchische der eigentlichen Handlung konterkarieren. 

Das Schöne an Gardi Hutters Kunst ist aber vor allem dies: Es braucht weder die Kenntnis der griechischen Mythologie noch ein Studium der Clownswissenschaften, um sich am Gaudi-Anteil des Programms zu erfreuen. Allein schon ihre allgegenwärtige, wortlose und doch so genaue Brabbel-Sprache, die jede Emotion zusammen mit der ausgeprägten Mimik transportiert, genügt. Hutter wird damit zur Sprachkünstlerin, ohne eine den Menschen bekannte und niedergeschriebene Sprache. Sie erlaubt sich zudem, zusammen mit ihren musikalischen Begleitern mitten im dräuenden Ernst der Lage und dem allgegenwärtigen Tosen menschlichen Schicksals urplötzlich das Publikum zu Queens „We Will Rock You“ zum Mitklatschen und Stadionchören zu animieren. Man staunt offenen Mundes. Wenn sie dann noch mit Motorradhelm und Plastikfolie virensicher verpackt auf Menschen im Publikum zugeht mit der Frage „darf ich Sie umarmen?“, wird aus der rätselhaften Figur da oben eine ganz nahbare und dennoch nicht eine Sekunde lang übergriffige. Von der man sich wenige Minuten nach der Vorstellung auch im Foyer noch persönlich verabschieden darf.