Glamouröser Hardrock-Pop-Prog

Man kann offenbar auch Ende 2008 noch in einem Fanforum eine Debatte über Hits von 1986 eröffnen: ›Calling All The Heroes‹ war der zweite Hit für It Bites und schaffte Platz 6 in den britischen Charts. So what? Da wird über nichts weniger als kommerziellen Ausverkauf diskutiert. Kann es sein, dass die vermeintlichen Progressiv-Rocker damals vom Glauben abgefallen waren und ihre Seele dem Pop-Teufel verkauft hatten? Haben sie es etwa schon wieder getan? ›Oh My God‹, der Opener von The Tall Ships, des ersten neuen Albums nach über 15 Jahren Pause, klingt schon arg nach ›Calling All The Heroes‹, und auch ansonsten geizen die Herren nicht mit eingängigen Melodien.

Die 1982 in Nordengland gegründete von den Schulfreunden Francis Dunnery (g), Dick Nolan (b) und Bob Dalton (dr) zusammen mit John Beck (keyb) gegründete Band saß schon während ihrer kurzen Karriere in den 80er Jahren zwischen allen Stühlen. Auf ihrem ersten Album The Big Lad in The Windmill waren Einflüsse zeitgenössischer Popmusik genauso zu hören wie Funk und Glamrock, gefiltert durch die progressive Brille. Der Zweitling Once Around The Word hatte schwere Schlagseite zum Seventies-Progrock à la Yes, und auf Eat me in St. Louis hieß die Grundfarbe Hardrock. Sogar die britische Rockpresse nahm sie jetzt wahr, und das eingängige ›Still Too Young To Remember‹ wurde 1989 ein kleiner Hit. Roter Faden allerdings war immer die knackige und innovative Gitarre von Francis Dunnery, auch wenn nebenbei mal Kinderlieder, Seemannschöre, Reggae oder Swing auftauchten.
»Wir passen nicht in diese Schubladen, wir haben unseren eigenen Sound. Es ist nicht einfach nur Pop oder Rock, und es ist auch nicht Prog Rock. Es hat von allem etwas«, sagt Drummer Bob Dalton. Daran hat sich 2008 nichts geändert, auch wenn seit nunmehr zwei Jahren ein Hansdampf der britischen Prog-Szene, John Mitchell (u.a. Arena) Gitarre spielt und singt. »Er ist nicht festgelegt, er mag das alles, und das ist genauso wie es mit Frank war«. Mitchells Zusammenarbeit mit der Hälfte von It Bites begann 2005, als sie zusammen mit Marillion-Basser Pete Trewavas die Band Kino erfanden, und bei ihren Konzerten auch It Bites Songs spielten. John stellte sich als Fan heraus, der die Sachen schon verinnerlicht hatte, bevor ihn jemand danach fragte.
2003 schon hatte die It Bites Originalbesetzung wieder einmal zusammengespielt – als Francis Dunnery am 30. August bei einem Solokonzert in London seine ehemaligen Partner auf die Bühne holte. Man beschloss, wieder zusammen zuarbeiten. »Als wir zum ersten Mal mit Frank zum Schreiben zusammen kamen, entwickelten wir eine ganze Menge Ideen. Wir dachten, es könnte funktionieren«, erinnert sich Dalton. Aber dann stellte sich heraus, dass Dunnery, der in Amerika lebte, zu wenig Zeit für Europa-Trips hatte. Also schlug er vor, die Kommunikation und das Schreiben neuer Songs via Internet laufen zu lassen. Bandfeeling sieht anders aus, meinten die anderen. »Wir fanden, das ist keine gute Idee, wir hatten so nie geschrieben. Man kann das natürlich machen. Aber meine Vorstellung war, wenn wir nach so langer Zeit wieder zusammen kommen wollten: lasst uns in einem Raum zusammen sein und scheuen, ob was dabei rauskommt«.
Auch diesseits des Atlantiks gab es genug zu tun. Bob Dalton arbeitete mit Ray Davies und zusammen mit John Beck für Chris Norman (›Midnight Lady‹, genau der!) dann kam erstmal Kino, und weitere Pläne für It Bites lagen auf Eis. »Es war nicht so, dass wir uns zerstritten haben. Aber als wir herausgefunden hatten, dass es mit John Mitchell klappen würde, nahm ich Kontakt mit Frank auf, und sagte, wir haben jemand anderen, wir werden ohne dich weitermachen«. Der war not amused, schickte unfreundliche Mails und meinte, der Rest der Band mache einen schweren Fehler.
The Tall Ships hat nichts, was diese Behauptung belegen könnte. Kantige Gitarren, feiste Hammondorgeln, schlüssige Kompositionen und die ungebrochene Fähigkeit, Spannung auch mal über zwölf Minuten zu halten, stellen das Album als logische und würdige Fortsetzung in eine Reihe mit den ersten drei Studioalben. Die Kontinuität mag daran liegen, dass die Band in der neuen Besetzung ähnlich arbeitet wie bisher: »Frank war sehr ungeduldig, genau wie John Mitchell. John Mitchell kommt mit der Idee, John Beck fängt direkt an, es zu arrangieren. Dann fängt Mitchell schon wieder an, sich zu langweilen und sagt: Hier hab’ ich noch was, wie passt das – und Beck macht sich wieder dran, die Teile zusammenzusetzen. Während wir das tun, fängt Mitchell wieder an sich zu langweilen. Also: Er füttert John Beck durchgehend mit Ideen.«
Das sollte er auch weiterhin tun, denn die Band hat einen Vertrag über drei Alben mit Inside Out unterschrieben, und ist 2009 als Vorgruppe von Saga auf deutschen Bühnen zu sehen. Mit dem Nachfolger von Dick Nolan am Bass. Der heißt Lee Pomeroy, und hat auch schon für Take That Bass gespielt. Oh Gott! Nein, nicht schon wieder diese Diskussion..