Thick As A Brick – Live In Iceland

eagle Vision / VÖ: 21.2.2020

Ein zentraler Baustein des Lebenswerks der Ian Anderson ist das Konzeptalbum Thick As A Brick, 1972 erschienen: Musikalisch vordergründig genau das, was man von einem „progressiven“ Konzeptalbum erwarten konnte, aber zugleich auch Parodie auf die beginnende abgehobene Gigantomanie der Rockmusik. Dass Anderson nach 40 Jahren der Versuchung nicht widerstehen konnte, einen zweiten Teil zu liefern, mag nicht nur künstlerischen Überlegungen geschuldet sein, aber die Idee ist bestechend.

Der erste Teil erzählt die Geschichte des achtjährigen Gerald Bostock, der mit einem Jugend-Literaturpreis für ein Gedicht ausgezeichnet wird, das die Band Jethro Tull vertonte. In der Fortsetzung malt sich Anderson aus, was aus Bostock inzwischen alles hätte werden können. Beide Teile zusammen brachte Anderson 2012 und 2013 – zumeist in mittelgroßen, bestuhlten Hallen – auf die Bühne, die DVD zeigt das Konzert 2012 in Reykjavik. Es ist ein großer Spaß, mit ebenso viel Schalk im Nacken wie musikalischer Perfektion vorgetragen, ruhig und ohne optische Gimmicks gefilmt. Das Konzert beginnt mit einem Filmchen aus der Perspektive des Anti-Helden Gerald Bostock, der von einem Psychotherapeuten namens Dr. Maximilian Quad über sein Leben befragt wird. Dahinter verbirgt sich selbstredend Anderson, der auch unmittelbar darauf in persona erscheint und schalkhaft singt: »Really don’t mind if you sit this one out«. Klar, dass die Fans das nicht nur aussitzen wollen. Denn da ist eine Band auf der Bühne, die die erste Hälfte im Geist des Originalalbums spielt und dabei ein wenig straffer und dabei mit großem Ernst und zugleich heiterer Leichtigkeit zu Werke geht – und den zweiten Teil, den sie in dieser Besetzung eingespielt hat, sowieso. Anderson selbst Größe dadurch, dass er die heiklen Gesangsparts nicht selbst singt. Begründet hat der alte Zausel das in den Liner Notes damit, er könne schließlich auf der Bühne nicht Flöte spielen und singen zugleich. In Wirklichkeit geht es darum, die angeknackste Stimme zu entlasten: die Aufgabe erledigt der walisische Schauspieler und Musical-Sänger Ryan O’Donnell, der den Gerald Bostock gibt und als Sänger das jugendliche Alter Ego des Meisters verkörpert. Ganz im Stil und mit der Phrasierung des Alten, ebenfalls mit dem irren Blick gesegnet, aber mit seiner eigenen Stimme. Er trägt wesentlich zum Humorfaktor bei, ebenso wie diverse Einspielungen auf der Leinwand: Da ist die Geigerin Anna Phoebe plötzlich via Skype dabei, und versorgt nebenbei noch ihr Baby. Da gibt es – live auf der Bühne – eine Prostata-Untersuchung eines angeblichen Konzertbesuchers, und da watschelt immer wieder ein Froschmann verzweifelt tapsig durchs (Film-)Bild. Musikalisch schließt der zweite Teil nahtlos an den ersten an. Themen werden aufgenommen, variiert und in eine in Nuancen geradlinigere Musik integriert. Die Rücksicht nimmt auf die stimmlichen Kapazitäten des Sängers, der dann auch wieder als solcher häufiger in Erscheinung tritt. Dass die Tour damals nicht als Jethro Tull-Konzert plakatiert wurde, mag dem Fehlen des letzten Bandmitglieds von damals, des Gitarristen Martin Barre zu tun haben. Warum Anderson ihn durch den im übrigen hervorragenden jungen Deutschen Florian Opahle ersetzt hat, bleibt sein Geheimnis. Musikalische Gründe werden es kaum gewesen sein, das stellt diese Konserve nochmals unter Bewis. Der Rosenheimer spielt mit ähnlichem Sound und derselben erdigen, hart rockenden Intensität, die die Jethro-Tull-Musik schon immer vorm Abheben in esoterisches Geschwurbel bewahrte. Was dieses bodenstängig-schrullige Konzerterlebnis noch einmal eindrücklich dokumentiert – und damit zu einem wirklichen Jethro Tull-Konzert wird.

8/10