Der Kraanich fliegt noch sehr hoch

Kraan, Tollhaus, Karlsruhe, 8.7.2021

Bei einem Konzert vor bald 20 Jahren an gleicher Stelle hat Helmut Hattler gesagt, Kraan-Musik sei „eigentlich Hippie-Musik. Aber doch auch wieder nicht.“ Ja, sie hätten irgendwie auch ein neues Album, aber darum ginge es gar nicht, sagt er an diesem Donnerstagabend auf der Tollhaus-Bühne. Sie wollten jetzt Stücke spielen, die ihnen Spaß machen.

Stücke wie „Nachtfahrt“, „Wintruper Echo“, „Yaqui Yagua“ oder „Kraan Arabia“. Also doch Hippie-Musik. Was Bassist Hattler, Gitarrist Peter Wolbrandt und Trommler Jan Fride mit Unterstützung des Gast-Tastenmannes Martin Kasper da zelebrieren, ist vor allem ihre Musik der frühen 70er Jahre, und die ist zeitlos, weil sie schon damals nicht „hip“ war.  

Die Band gehört zu den wenigen, bei denen alle Vergleiche in s Leere gehen. Denn der manchmal aufdringliche Wohlklang des Progressive Rock wird bei ihnen jeweils kurz vor Eintreten in Grund und Boden gegrooved, die kalte technische Arroganz des hochtechnisierten „Jazzrock“ ist ihnen genauso wesensfremd. Es ist Bandmusik reinsten Wassers. Da ist Hattler, der Mann der vielen Bass-Töne, die aber nie wie zu viele Töne wirken. Da ist Jan Fride am Schlagzeug, dessen unvergleichlich perkussive Art, die Toms zu bedienen, die Musik bestimmt, aber vollkommen unaufgeregt treibt und zusammenhält. Und da ist Peter Wolbrandt, der Mann, der sein Gitarre mit einem ausgeprägten Gespür für den richtigen Sound an der richtigen Stelle leuchten lässt. Seine Soli haben kein überflüssiges Gramm Fett und tragen mit dazu bei, dass der Musik immer ein federleichter Zauber innewohnt. Selbst dann, wen alle Instrumentalisten aus vollen Rohren schiessen.

Fegt Wolbrandt als wilder Reiter los, kommt Hattler aus dem Hintergrund und übernimmt den Galopp. Derweil wuchtet Wolbrandt glasklare Flächen in den Raum. So schaffen sei es, oft über lange Strecken ein Thema in alle Richtungen auszuleuchten, ohne eine Sekunde zu langweilen. Das Rezept? Auch nach 50 Jahren geheim. Und dann ist da noch Martin Kasper, der dieses doch auch nostalgische Programm durch sein Keyboard-Spiel veredelt. Seine Synthesizer Soli klingen zugleich wie aus einem Technikmuseum und doch höchst erfrischend.

„Wir haben keine kurzen Stücke“, sagt Helmut Hattler vor den Zugaben fast entschuldigend. Und dann kommt noch „Nam Nam“. Das ist nicht nur lang, es hat auch ein hypnotisches Thema, das immer wiederkehrt und vom Publikum als Inzidenz-bedingter maskierter Summ-Chor aufgenommen wird. „Nam Nam“ ist mehr als Musik, es ist ein Zustand, eine ganz und gar esoterikbefreite Art von Trance, ein Strudel, ein Time Tunnel, eine endlose handbetriebene Schwingung. Und es will und will nicht enden. Dieses Thema, das brennt sich nach Konzertende in die Sinne der Zuhörer und liegt auch am nächsten Morgen noch auf dem Kopfkissen.