Elterntelefonate des Wahnsinns

Sebastian Lehmann, Tollhaus, Karlsruhe, 28.1.2022

Der Rezensent des Auftritts von Sebastian Lehmann im Tollhaus am vergangenen Freitagabend hatte mal einen Kollegen, der gelegentlich davon sprach, er werde nun gleich „aus einem Pferdeäpfelchen ein Goldstück machen“. Das könnte auf die Kunst des Wahlberliners Sebastian Lehmann zu treffen, der die Lacher des Publikum vor allem aus Telefonaten mit seinen in seiner Heimatstadt Freiburg in Rentnerritualen erstarrten Eltern saugt.

Das Programm heißt „Andere Kinder habe auch schöne Eltern“. Man darf annehmen, dass die Gespräche zumindest in Teilen tatsächlich so passiert sein könnten, aber erst die Überspitzung macht sie bühnentauglich. Zu den Ritualen gehört etwa das Mittagessen um 11.30 Uhr, was der Sohn nicht versteht, denn da frühstückt er gerade, was die Mutter wiederum nicht versteht. Zum Essen gibt es Gerichte wie Schweinebraten mit Leberknödeln in Schinken-Sahne-Soße. Der Sohn aber ist Vegetarier, die Mutter kommentiert es resigniert-hinterhältig: „Hitler war ja auch Vegetarier.“

Was der Sohn beruflich tut, verstehen die Eltern nicht und wenn sie von Nachbarn oder Freunden gefragt werden, behaupten sie, er sei Lehrer. Dieses schwere Elternschicksal wird letztlich nur erträglich durch die mütterliche Erkenntnis: „Wir haben ja noch deinen Bruder“. Künstler aller Sparten kennen das, meist in Form der Frage: „Was machen Sie eigentlich beruflich“. Auch wenn das Thema „gutbürgerliche Berufe versus lang schlafende Bohème“ ausgereizt zu sein scheint: Sebastian Lehmann schafft es dennoch, auch vorhersehbare Ponten so treffsicher zu setzten, dass man gerne nochmal lacht. Und es sind beileibe nicht nur die eigenen Eltern, die Anlass zu humoriger Überspitzung geben. Da erfindet er ein Elternpaar, das seinem Nachwuchs ganz antiautoritär freistellt, er/sie/es möge sich doch mit 18 für sein Geschlecht entscheiden. Folgerichtig heißt das Kind Tristan-Maria. Allerdings gibt es kein Taschengeld, wenn es die Klavierstunden verweigert.

Dass Komik durch einfache, tausendmal durchexerzieret Tricks immer noch verfängt, stellt Lehmann mit seinen „Übersetzungen“ von Popsong-Lyrik mittels Google-Übersetzer unter Beweis. Einschalten und wohlgefällig die Ergebnisse wirken lassen, am Besten gleich vom Deutschen ins Chinesische und dann zurück. Da passiert in Udo Jürgens’ Immergrün „Aber bitte mit Sahne“ gar Schröckliches: „Sie uriniert auf dem Stuhl der Konditorei.“ Lady Gagas Hit „Pokerface“ wird durch die einfache Übersetzung erst so richtig gaga: „Falten Sie! Lassen Sie! Schlagen Sie, erhören Sie. Spiele die Karten mit Spaten zu Staaten!“

Wie, das ist alles nur billige Unterhaltung, l’art pour l’art, sagen Sie? Weit gefehlt. Für das Politische braucht Lehmann gerade mal eine Randbemerkung. Warum fragt er sich, habe man im Supermarkt die Wahl zwischen 40 Shampoos, aber was biete die Politik? Einen rechten Grünen-, eine rechten SPD-, einen rechten FDP- und einen rechten CDU-Vorsitzenden.