Die Kerzen brennen noch

Melanie in der Durlacher Festhalle, Karlsruhe, 18.10.2009

Und immer wieder Woodstock. „Ich hab mit keinem von denen geschlafen. Hätte ich sollen?“ räsoniert Melanie – und meint die großen Stars des legendären Festivals damals. Damals war sie 22 und hatte vor ihrem Auftritt noch keinen der Rockgötter persönlicbh getroffen. Danach war sie selbst ein Star für einige Jahre. Später schien sie – obwohl sie weiter Jahr für Jahr Platten veröffentlichte – von der Bildfläche verschwunden. Natürlich machen „40 Jahre Woodstock“ es erst möglich, dass die Mutter dreier erwachsener Kinder als Sängerin hierzulande wieder wahr genommen wird, aber soll man ihr das vorwerfen?. Denn nichts an ihrem Auftritt ist peinlch, vieles aber anrührend anachronistisch und sympathisch chaotisch.

Das fängt schon mit der satten halben Stunde Verspätung an, mit der sie auf der Bühne der Durlacher Festhalle erscheint. So war das damals eben, in den frühen Siebzigern. Da hätte man auch noch länger geduldig gewartet. Derweil erzählen Veteranen im Publikum ihren jüngeren Banknachbarn von damals. Jaja, 1970 beim Isle of Wight Festival, da sei sie um sechs Uhr morgens auf die Bühne gekommen. Und dann ist sie da. Massiv. Rund, Mützchen auf dem Kopf. Sie könnte gut als isländische Landstörzerin oder Schamanin aus einer anderen Welt durchgehen. Vielleichgt ist sie das auch. Sie glaubt jedenfalls an Engel. Aber diese Stimme ist immer noch da. „What Have They Done To My Song, Ma“. Sehr fest, sehr laut, und immer an der Grenze zwischen schrägem und falschem Ton einher donnernd. Und immer zwischen kindlich naiv und trotzig erwachsen. Musikalisch könnte es kaum einen größeren Kontrast zu ihrem Sohn Beau geben, der sie an der Gitarre begleitet. Ein Virtuose, der Bursche, der Mutterns grobe Klötze mit zart-perlender Filigranarbeit umsprudelt. Der lässt nichts aus, auch nicht die mit dem Geigenbogen gestrichene Gitarre. 

Dann ist da noch Abi Tucker, die mit ihren hakenschlagenden, kammermusikalischen Songs das Vorprogramm bestritten hat. Eine mit allen Elfenstimmen ausgestattete Mittdreißigerin, die sich in diese musikalische WG-Küche bestens einfügt. Wie, da ist keine Setlist auf der Bühne? Kurze Beratung mit dem Filius. Wird schon gehen. Die Leute könne sich ja was wünschen. Melanie erzählt von der PR-Agentin, die sie anheuerte. weil ihr daran lag, dass die Welt erfahren sollte, dass sie noch da ist und Songs schreibt. Die sie dann wieder entließ, weil sie von ihr durch die blödesten Morning Shows gejagt wurde, in denen die einzige Frage war: „Melanie, wie war das denn so in Woodstock?“ Ach! Sie entkommt dem musikalischen Patchopuli Geruch nicht, auch nicht in den neuen Stücken, die sie mit ihrem Sohn zusammen komponiert hat. Kraftvolle, manchmal geradezu hypnotische Stücke, die mit den leicht schrägen Gesangsharmonien des Bühnegespanns für Momente das Flair der frühen Jefferson Airplane durch den Saal wehen lassen. „Sie denken, ich wäre verrückt geworden. aber ich weiß was ich tue. Ich bin ein Profi“. Wohl war, insbesondere in der Disziplin Echtheit. Dazu spielt Beau, der freche Knabe ein paar Takte „Stille Nacht“. Richtig Weihnachten wird’s später mit ihrer (der besten) Version von „Ruby Tuesday“, und „Laydown – Candles in The Rain“, dieser anschwellende Brachial-Gospel, direkter musikalischer Ausfluß ihres Woodstockauftritts, subsummiert in ein paar Minuten die ganze Kraft dieser bemerkenswerten Frau, wenn sie sich denn mal konzentriert.