Wehe, wenn sie losgelassen

Mothers Finest im Substage, Karlsruhe, 11.10.2014

„Black Radio Won’t Play This Record“ hieß ein Album der Band, die 1970 von dem Ehepaar Glen Murdock und Joyce „Baby Jean“ Kennedy in Atlanta gegründet würde. Sieht man diese unverwüstliche Band heute auf der Bühne, beschleicht einen das Gefühl, kein Radio dieser Welt könnte diese Musik jemals spielen. Es würde platzen. Mother’s Finest, die nach dem 92er Album gerade mal noch ein weiteres Studio-Werk veröffentlicht haben, sind live nach wie vor die intensivste und härteste denkbare Kreuzung von Funk und Metal.

Die Rollenverteilung ist klar: Die Rampensau Baby Jean zieht alle Blicke auf sich, und ist stimmlich durchgehend unter Volllast. Ekstase muss ihr zweiter Vorname sein, ihr Geburtsort der Krater eines Vulkans. Sie hat es drauf. Das strahlende Lachen, diese Hand- aufs-Herz-Gesten. Die selten gelungene Verbindung vom Hohelied der Sexualität und feministischer Attitüde. Man muss es gehört und vor allem gesehen haben, wie sie den Satz „what makes you think I need to hear your point of view?“ ausspuckt. Sie regiert die Bühne, während dem Gatten die Rolle des leicht tapsigen Hippie-Bärs zukommt. Sie muss das Publikum nicht animieren, sich in Stücke zu reissen. Er schon, aber tut es auf sehr sympathische Art. Beim „Mandela Song“ fressen die rund 400 Fans im Sunstage ihm aus der Hand, dass man fast glauben möchte, Mandela säße immer noch im Gefängnis und müsse frei gesungen werden.

Das Energielevel des knapp zweistündigen Konzerts ist konstant im dunkelroten Bereich. Egal, ob es um die Klassiker „Baby Love“, „Truth Will Set You Free“ oder „Mickeys Monkey“ geht oder um neue Songs vom noch nicht veröffentlichten kommenden Album: Die Magie entsteht im Unterbauch. Im gnadenlosen, von Drummer Dion (dem Sohn der Frontleute) und Bassit Wyzard mit Furor durchgeprügelten Rhythmus. Die mit abgeklärter Coolness rhythmische Vertracktheiten einbauen, aber das Wort „Dynamik“ noch nie gehört haben. Drüber setzen die Gitarristen John Hayes und Moses Mo ihre sorgsam verteilten Attacken. Hayes als Rhythmuschrubber, während Moses Mo immer wieder zu irrlichternden Soli anhebt. Geren auch mal mit den Zähnen, oder im Liegen, mit den dürren Beinchen strampelnd.

Nur einmal wird der Energie Leven für drei Minuten auf „normal“ heruntergefahren: „Strawberry Fields forever“, von sparsamen Gitarrenakkorden begleitet, ist eine Reminiszenz an die Zeit, in der die Band groß geworden ist. Und weiter geht es mit dem Verschieben felsbrockengroßer Riffblöcke. Die Songs mögen sich zum Verwechseln ähnlich sein, aber egal. Schüttel es, Säugling, schüttel es, bis Du es nicht mehr schütteln kannst. Geht noch mehr? Im Zugabenblock warten sie mit einer verlangsamten, finster pumpenden Version des Klassikers „Train Kept A Rollin“ auf. Das hatten in den 70er Jahren schon Aerosmith gespielt, und alle hatten geglaubt, das sei nun wirklich heftige Musik. Ach was. Gegen die Unbarmherzigkeit, mit der Mother’s Finest diesen Brocken in den Raum stanzen, war die Aerosmith-Version eine Feinstblech-Skulptur. Jetzt ist die Lautstärke im Disaster Area-Bereich, der Band aus Douglas Adams „per Anhalter Durch die Galaxis“. Die man am besten genießen konnte, wenn man in einem Betonbunker 37 Meilen weit entfernt von der Bühne zuhörte. Und doch ist es immer noch zu leise. Für die Musik von Mothers Finest gibt es keine angemessene Lauststärke. Zumindest nicht auf diesem Planeten.