Zeitlose Zeitreise mit Haltung

Niedeckens BAP in der Schwarzwaldhalle. Karlsruhe, 4.11.2022

Etwas ungewohnt mag es einem schon vorkommen, Wolfgang Niedecken und seine Band in der voll bestuhlten Schwarzwaldhalle zu erleben. Insbesondere deshalb, weil die Setlist der aktuellen Tour ein gerüttelt Maß an Klassikern der frühen 80er Jahre enthält, in denen die Band ihre größten Erfolge feierte. Die hatten damals wie heute das Potenzial, die Fans im wahrsten Sinne des Wortes von den Sitzen zu reißen. Was sie denn auch unmittelbar tun.

Das traditionell knapp über die drei Stunden lange Konzert beginnt mit „Hück ess sing Band in der Stadt“, der Hommage an die Rolling Stones, der erklärten Lieblingsband des mittlerweile 71jährigen Kölners. Die Karlsruher lassen „ihre Band“ spüren, dass sie nach der langen Abstinenz gewillt sind, zu feiern. Dafür ist die für Konzerte um drei Bläser verstärkte Kapelle exzellent geeignet. Die veredeln damit die frühen Klassiker aus der Zeit, als BAP noch etwas hüftsteif klang und vor allem durch die Fähigkeiten ihres damaligen Gitarristen Klaus „Major“ Heuser und Niedeckens Storyteller-Qualitäten punkten konnten. Heute erreicht sie in den Glanzmomenten den unbestechlichen Groove amerikanischer Vorbilder wie Springsteen oder Little Steven.  

Dass es nicht nur um Nostalgie geht, beweist schlagkräftig „Volle Kraft voraus“ vom 2020 veröffentlichten Album „Alles fließt“. Der Text spielt 1973 die Musik unterstreicht die Rock-Tauglichkeit der Band, die nach einer lauten, selbstbewussten Zukunft schreit. Die Melancholie, die Niedeckens letzte Solowerke und das 2016 Bandalbum „Lebenslänglich“ umwölkte, ist in diesem Konzertprogramm wie weggeblasen. Schließt man die Augen, hört man eine junge, hungrige Band, die auf dampfendes Ensemblespiel setzt. Allein Schlagzeuger Sönke Reich glänzt mit einem ungewöhnlichen, sehr musikalischen Solo und Keyboarder Michael Nass und Gitarrist Ulrich Rode haben ihre Hardrock-Leistungsschau in „10. Juni“.

Kein BAP-Konzert ohne eine Verbeugung vor Bob Dylan: Hier schmuggelt Niedecken in „Stell Dir vüür“ des Meisters „Hurricane“ ein und Multi-Instrumentalistin Anne de Wolf steuert mit der Geige den Charme der Straßenmusik bei.

Auch der politische Niedecken tritt wieder deutlicher hervor. Zum Schluss der regulären Spielzeit gibt es das dystopisch dräuende „Ruhe vorm Sturm“, das KlartExt über den erstarkenden Fachismus in Europa spricht. „Ich weiß nicht, wie weichgeklopft die Leute sind, die diese Arschlöcher wählen“, fragt sich Niedecken. Das fast vier Jahrzehnte alte „Kristallnaach“ folgt unmittelbar und ist erschreckend aktuell,„Arsch huh, Zäng usseinander“ ist der Appell an jeden, sich gegen rechts zu engagieren. Jetzt ist die Zeit reif für die BAP -Party wie damals. Der Platz Vor der Bühne wird zum Tanzboden für acht Zugabe-Songs. Einer davon ist „Verdamp lang her“: „Et ess paar Johr her, doch die Erinnerung fällt nit schwer. Hück kütt mer vüür, als wenn et jestern wöör.“ Zeitlos eben.