Der Anstalts-Tiger kann’s noch

Urban Priol in der Badnerlandhalle, Karlsruhe-Neureut, 5.9.2015

Nach dem Ende seines Fernsehjobs als „Anstalts“-Leiter und dem Scheitern des grob missglückten Joint-Ventures „Ein Fall fürs All“ mit Emmanuel Peterfalvi (alias Alfons) scheint Urban Priol jetzt wieder alle Energie in sein Bühnenprogramm zu stecken, und das ist gut so. Das Publikum in der ausverkauften Badnerlandhalle konnte er am Freitagabend jedenfalls überzeugen.

Das notorische Herumtigern auf der Bühne kann er nach wie vor nicht lassen, aber er wirkt entspannter und es gibt weniger kalkulierte Schenkelklopfer. Sein Merkel-Bashing, das über die Jahre zum Selbstzweck zu verkommen drohte, beschränkt sich inzwischen auf konzentrierte Querschüsse und nimmt zudem immer gleich die mediale Resonanz unter die Lupe. „Wenn mal was nicht klappt, was unsere Kanzlerin will, dann wird halt nicht darüber berichtet“. Weit davon entfernt, ins Lügenpresse-Geschrei einzustimmen (bei dem rechte und sich für links haltende Verschwörungstheoretiker zunehmend im Gleichschritt marschieren) fragt er einfach mal: Warum steht eigentlich nirgends, dass eine Million Menschen aus der Ukraine nach Russland geflüchtete sind? Oder was um Himmels willen führt einem Redakteur der „Süddeutschen“ die Feder bei dem Satz „Immer mehr Griechen plündern ihre Konten und steigern so die Not unserer Banken“.

Überhaupt: Griechenland ist ja plötzlich keine Schlagzeilen mehr wert, seit das Thema „Flüchtlinge“ ist. Das natürlich in der stets aktualisierten Fassung des Priol-Programms ebenfalls ganz oben steht. „Als die Kanzlerin gesagt hat, sei macht das Thema zur Chefsache, habe ich Angst bekommen“, sagt er und verweist auf vergangene Chefsachen. Erinnert sich noch jemand an die Klimakanzlerin? Wie verräterisch Sprache ist, muss ein kabarettistischer Feinmotoriker (der Priol in diesem Programm mehr den ja ist) nur andeuten. „Das schlimmste Wort des Jahre ist ‚besorgte Bürger“. Wenn derlei Euphemismen tolerierter Sprachgebrauch sind, wundert es auch nicht, dass es nach den rechten Krawallen in Sachsen nur eine einzige Festnahme gegeben hat. Von wegen die „Härte des Rechtsstaats“. Beim G 7 Gipfel in Elmau, rechnet Priol nüchtern vor, seien dagegen 24.000 Polizisten aufgeboten worden.

Die leise Resignation des politischen Kabaretts angesichts ständig sinkender Wahlbeteiligung macht auch vor Priol nicht halt. Die Deutschen, so räsoniert er, dächten „ich habe doch sowieso nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Aber der Deutsche ist gründlich und sagt: ich will beides“. Da greift er sich an den Kopf, ob des Vorschlags von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi, man könne doch Wahlurnen auch mal nicht in Schulen aufstellen. Warum dann nicht gleich am Bahnhof? Wenn die Zugverspätung gar zu groß werde, könnte der Wähler ja gleich für die kommenden vier Legislaturen sein Kreuz machen. Priol kennt ein besseres Mittel gegen Politikverdrossenheit: bessere Politik. Er hat noch Visionen – und in einem leidenschaftlichen Plädoyer beschwört er ein friedliches Europa, erinnert an die Vorzüge der offenen Grenzen und wettert dagegen, dass Europa von der Politik auf eine betriebswirtschaftliche Größe reduziert wird. Zwischendrin auch mal Klartext reden, ohne auf Pointen zu schielen oder das berühmt-berüchtigte steckengebliebene Lachen herbeizukitzeln, auch das kann und soll politisches Kabarett. Urban Priol ist bestimmt kein Innovator, aber er beweist an diesem Abend, dass man die alten Kabarett-Tugenden immer noch ganz erfrischend zusammenbringen kann.