Ausdruckstanz im 9/8 Takt

Seconds Out im Jubez, Karlsruhe, 18.12.2015

Wenn das Original nicht mehr zu haben ist, tut es – und nicht nur zur Not – auch die mehr oder weniger werkgetreue Kopie. Die Sehnsucht, die verschrobene, verschachtelte, fantastisch versponnene Musik der frühen Genesis wieder auf Bühnen zu hören, scheint vor allem bei den über Vierzigjährigen ungebrochen. Nachdem Genesis-Originalmitglied Steve Hackett in den vergangenen Jahren mit seinen „Genesis-Revisited“-Tourneen die Hallen füllte, nachdem die Franko-Kanadier The Musical Box ganze Alben jener Ära in Gänze aufführten, bleibt immer noch genug Publikum für eine „kleine“ Band wie die Aschaffenburger Seconds Out, die seit 1991 in unterschiedlichen Besetzungen in der gleichen Mission unterwegs sind.

Das alles auf einer kleine Club-Bühne aufzuführen, hat dabei einen zusätzlichen nostalgischen Charme, der über die Musik hinausweist: Als die ersten Genesis-Alben erschienen, war die Band noch weit entfernt davon, große Hallen zu füllen. Zum Selbstverständnis der Aschaffenburger gehört, Genesis nicht einfach nachzuspielen, sondern der Musik eine eigene Note zu geben. Da geht auch nicht anders, denn Sänger und Bassist John Morell taugt nicht zum Peter-Gabriel-Imitator und er versucht es auch vernünftiger Weise nicht. Seine Stimme ist absolut passend, um die epischen Werke in ihrem opulenten Wohlklang zu befördern, aber es fehlt ihm der flackernde Wahnsinn des Originals. Morell ist eher ein feierlicher „Schönsänger“ vom Schlage eines John Wettton, was besonders gut zum getragenen Firth Of Fifth vom „Selling England By The Pound“-Album (1973) passt.

Gitarrist Tommy Weber nimmt sich zudem alle Freiheit, Steve Hacketts Gitarrensoli auf seine Art zu interpretieren, ohne dabei die Grundlinien über Bord zu werfen. Im 22-minütigen Opus „Suppers Ready“, dem Höhepunkt des Konzerts, erlaubt er sich gar eine im Original so nicht gehörte Hardrockattitüde in jenen Momenten, in denen das Werk auf die fünf spannendsten Minuten des gesamten Genres Progressive Rock zusteuert: „Apocalypse in 9/8“ bewältigt den seltenen Spagat zwischen rhythmischer Finesse und druckvoller Sinnlichkeit, unterdessen dem finster dräuenden Rhythmus ein – von Tommy Weber ziemlich nah am Original gespieltes – Orgelsolo entsteigt, das sich aufs irritierendste mit dem Metrum reibt. Das Drummer Christian Koch als Herausforderung annimmt und spielend bewältigt: er hat das innovative Schlagzeugspiel des jungen Phil Collins – mit seiner Mischung aus schrägen Taktmassen, rockigem Bums und jazziger Leichtigkeit – aufgesaugt und spuckt es nun beinahe so unangestrengt wieder aus wie Collins daselbst, auf dass ein gar vielfältiges Ausdruckstanzen anhebe im Saal. Für das die rhytmische Gymnastik zu „The Lamb Lies Down On Broadway“ oder „The Carpet Crawlers“ nur Vorspiel war. Das zeichnet dieses ganz spezielle, mit höchster Rezeptions-Kompetenz gesegnete Publikum aus.