Jeden Stein in Irland mehrfach umgedreht

Begegnung mit „taz“-Korrespondent Ralf Sotscheck, Stadtbibliothek Rheinstetten, 12.4.2016

„Manche Vorurteile haben einen wahren Kern. Die saufen natürlich zu viel, und das Wetter war diesen Winter auch extrem. An soviel Regen können sich selbst alteingesessen Iren nicht erinnern“, erzählt Ralf Sotscheck, irischer Staatsbürger und langjähriger Korrespondent der „taz“ für Irland und Großbritannien, im BNN-Gespräch. Sotscheck lebt im Westen Irlands, kennt „seine“ Iren jenseits aller Vorurteile und stellte am Dienstagabend sein Buch „Mein Irland“ in der Stadtbibliothek Rheinstetten vor.

In seinen Geschichten werden irische Originale lebendig, wie Willie Daly, der bis heute nach traditioneller Art Ehen stiftete. „95 Prozent seiner Geschichten sind erfunden“, erzählt Sotscheck seinem Publikum. Aber in Irland gelte der Spruch, man solle sich ein gute Story nicht durch die Wahrheit ruinieren lassen. „Willie hat acht Kinder, er ist 71 Jahre alt, und er sagt, dass er noch ein paar Kinder mehr möchte, wenn er mal älter ist“. 

Dutzende Male hatte Sotschek Moneygall links liegen lassen, bis ihm zu Ohren kam, dass Barack Obama eigentlich von hier stammt, und bei einem Besuch von dort gut irisch begrüßt wurde mit dem Schild „Willkommen in O’Bama-Land“. Neben diesen launigen Geschichten ziehen sich immer wieder die Auswirkungen des Nordirland-Konfliktes durch das Buch. Sein Schwiegervater war IRA-Mitglied und Sotscheck lebte mitten in der Hochzeit des Konflikts in Belfast. „Ein Religionskrieg war das nie“, sagt er. „Es war immer eine sozialer Krieg. 1968 war das Wahlrecht in Nordirland noch an Hausbesitz gebunden, und die Häuser hatten nun mal die Protestanten“. Die klammerten sich heute noch an ihre einstigen Privilegien „und drum verteidigen sie vehement die Symbole wie diesen blöden Union Jack auf dem Rathaus in Belfast“. Ein Freund, ehemaliger IRA-Kämpfer, habe zusammen mit einem Protestanten eine Zeitschrift ins Leben gerufen. Beide hatten 17 Jahre im Gefängnis gesessen, sie hatten getötet. „Sie machen das Projekt nicht, um die andere Seite zu überzeugen, sondern um sie kennen zu lernen. Wen man kennt, bringt man nicht um.“

Als Korrespondent, der auch in Großbritannien unterwegs ist, sieht er die Gefahren eines möglichen „Brexits“: „In Irland hätte man wieder eine EU-Aussengrenze, was für Nordirland eine Katastrophe wäre. Zweitens würden die Schotten nochmal ein Referendum für die Unabhängigkeit ansetzen und diesmal würde es auch durchgehen.“ Ob es einen Ort gebe, von dem er dem deutschen Irland-Erstbesucher abrate? Er überlegt lange, meint aber dann: „Selbst die Cliffs of Moher bei uns an der Westküste, wo sich die Touristen drängen, sollte man sich angucken.“ Es gibt aber auch Dinge, die man als Tourist vermeiden sollte, um die bekannte Freundlichkeit der Iren nicht zu sehr zu strapazieren: „Wenn man ein Bier ausgegeben kriegt, ist man bei der nächsten Runde dran. Ich hab‘ schon Deutsche erzählen hören: Wir haben den ganzen Abend getrunken wie dumm und haben nicht ein einziges Bier selber gekauft. Das ist nicht so gern gesehen, aber das sagt einem natürlich keiner.“