Wallungen auf stählernem Fundament

Tarja in der Festhalle Durlach, Karlsruhe, 7.5.2011

Ist es der Muezzin, der da ruft? Kann sein. ist es die Gitarre, die ihre Innereien herauswürgt? Oh, aber sicher. Im Bunde mit ihren Brüdern schwellende Keyboardburg und donnerndes Schlagzeugraumschiff plus finsteres Stakkato-Cello findet sich so ein treffliches Königreich, durch das die Herrscherin Tarja mit gebieterischem Schritt, schwarzem Gewand und hochfahrender Gesangstechnik untadelig einherwallt. Mit „Dark Star“ sind Tarja und ihre Mannen in der fast ausverkauften Durlacher Festhalle auf Betriebstemperatur: eine archetypische Nummern des Repertoires der finnischen Opernmetal-Diva.

Wer es mag, findet in diesem Stück alles, was er liebt: Kompositorische Finesse, rhythmische Vertracktheiten, spannend zusammengeschraubte Gesangssätze. Wer’s nicht mag, wird es für verblasenen Kitsch gut ausgebildeter Kunsthandwerker halten. Beides ist ein bisschen wahr, aber eines muss man der ehemaligen Nightwish-Sängerin lassen: Sie gebietet mit einer Ausstrahlung über das Bühnengeschehen, die ohne Absturz auf dem Grat zwischen dämonischer Hexe und zerbrechlicher Fee balanciert. Letzteres vor allem, wenn sie sich ganz unhexenhaft und rührend bei ihrem engagierten Fanclub bedankt und ihm die Ballade „I walk alone“ schenkt.

Nunmehr fühlt sich Schlagzeuger Mike Terrana veranlasst, an seinem überdimensionalen Gerät (das aussieht wie ein Fitnessstudio) eine Zirkusnummer aufzuführen, die mit Schlagzeugsolo nur unzureichend beschrieben ist. Unterfüttert von der „Leichten Kavallerie“ des Franz von Suppé fährt er schwere Artillerie auf. Rondo Veneziano für Gehörgeschädigte. So überdreht, dass es schon wieder gut ist. Die derweil abgetauchte Sängerin erscheint wieder, jetzt ohne Mantel, die Kapelle fuhrwerkt wie atomgetriebene U-Boote im Orchestergraben, schwarze Kampfbomber steigen auf, man führt Krieg – und dann ist wieder Ruhe. Die Dramaturgie des Konzertes ist berauschend: Eine Wechselbad der Gefühle, eine Achterbahn, ein Computerspiel mit vielen Ebenen. Wer starke Nerven hat, genieße!

But now for something completely different: The Ballads: In „Underneath“ gibt die Sängerin ihrer Stimme ausnahmsweise die Chance, für ein paar Strophen einfach eine angeregte, gefühlige Stimmung zu erzeugen, ohne gleich abzuheben. Die Melancholie des Moments lässt dieses eine Mal eine klare Gitarrenmelodie zu, die sich nicht durch überarrangierten Lärm eines Schlachtfeldes durchsetzen muss. „We are“, die zweite eher ungewöhnliche Ballade, setzt auf raffinierte Schnörkel, kleine überraschende Wendungen, eine ausgefeilte Dynamik und die gar nicht so eingängige Melodieführung. Ein Song mit einer in sich stimmigen Dramaturgie. „Ich habe drei Jahre in Karlsruhe studiert,. Deshalb fühle ich mich hier fast zu hause“, sagt Tarja, und dass das ihre erstes Konzert überhaupt in Karlsruhe ist. Die Karlsruher feiern die nunmehr ganz in Weiß einherschwebende denn auch im Zugabenblock, als wäre sie die alte Freundin aus dem Nachbarhaus.