Zwischen dampfenden Gullys

UFO,  Fabrik, Bruchsal, 5.5.2010

Irgendetwas muss schiefgelaufen sein in der Welt der Dezibel: Da bringt die britische Hardrocklegende UFO im Jahr 2009 (dem 40. Jahr ihres Bandbestehens) mit „The Visitor“ ein Album auf den Markt, das vor 30 Jahren unverzüglich zum Klassiker ernannt worden wäre, und keiner kriegt es mit.

Ein Album voll Emotion, Tiefe und songschreiberischer Qualität. „Jeder, der sich schon lange mit UFO beschäftigt hat, wird unsere charakteristischen Erkennungsmerkmale finden, und jeder, der die Band neu entdeckt, wird Freude an unserem Enthusiasmus und der dynamischen Kraft haben“ hat Sänger Phil Mogg auf der Bandhomepage seinerzeit verlautbart. Er hat untertrieben. Vor allem, was die Präsenz der Band auf der Bühne betrifft.

Vom ersten Ton an ist klar: Hier sind Musiker bei der Arbeit, die es einen feuchten Kehricht schert, dass da gerade vielleicht mal 250 eingeschworene Fans vor der kleinen Bühne stehen. Diese Kerle (neben Mogg und Gitarrist Vinnie Moore die beiden „Alten“, Andy Parker am Schlagzeug und Paul Raymond an der zweiten Gitarre plus Aushilfsbassist Barry Sparks) reißen sich buchstäblich in Stücke. Die Setlist traut sich zwar nicht viel, setzt vor allem auf die Klassiker der 70er, aber bei UFO kommt es weniger auf das Was, mehr auf das Wie an. Dafür bürgt zum einen Phil Mogg, der vom ersten Moment mit „Let It Roll“ auf Volllast läuft.

Der Mann, den nachts im Dickicht verregneter Städte zwischen dampfenden Gullys der Blues einholt. Der Mann, der mit dem leicht angesäuselten Charme eines Londoner Working Class Underdogs Wallungen in seine Stimme legt, die eher Hardrock-untypisch sind. Dieser Gossenpoet, geschult an Tausenden von Filmen und Meeren von Alkohol, vertont in drei Minuten Drehbücher über Verlierer zwischen dem letzten Bier und der Suche nach dem letzten Strohhalm und kündigt sie mit seltsam verpeilten Ansagen an. „Out In The Streets“ – irgendwann Mitte der 70er entstanden, ist so eine Nummer, in der Mogg Buster Keaton und Louise Fazenda Reverenz erweist und dabei die Band durch einen Parforceritt impulsiver Gitarrendramatik jagt.

Vinnie Moore ist der richtige Gitarrist, endlich: Er kopiert Michael Schenker nicht, allenfalls dessen Melodielinien. Seine Soli sind anders, atmen einen bluesigeren Touch. Und haben selten Längen. Klar, bei einem Endlos-Klassiker wie „Rock Bottom“ übertreibt er’s. Aber wenn man sieht, mit welcher Urgewalt der Rest der Band ihn trägt, antreibt, bremst und wieder beschleunigt, ist auch das verziehen. Moore glänzt insbesondere in den aktuellen Songs, die er selbst mit eingespielt hat – leider gibt’s davon nur zwei: Da ist das dramaturgisch ausgefeilte Solo in „Stop Breaking Down“, das immer wieder innehält, sich vortastet, um dann für Sekunden zu explodieren: Die hohe Schule des strukturierten Orgasmus.

Selbst das eher UFO-typische, hart treibende „Hell Driver“, in dem Mogg sich auf seine Lieblingsrolle als streunender Köter einschießt, lässt die Band nicht in Angeberposen verfallen, und sei die Versuchung noch so groß. Mannschaftsspiel ist alles, und dafür braucht es eine gute Rhythmus-Abteilung: Barry Sparks am Bass vertritt den schwerkranken Pete Way, und man sieht und hört, warum Sparks eben jenen Way immer als sein großes Vorbild angegeben hat. Schön auch, wieder Ur-Drummer Andy Parker am Schlagzeug zu sehen. Der Alte hat zwar bei weitem nicht die technische Finesse seines Vorgängers Jason Bonham, dafür rumpelt er sich aber mit der naiven Freude eines Kindes, das gerade den Vorschlaghammer entdeckt hat, durch den Set. Wenn mit „Doctor Doctor“ die finale Zugabe anhebt, möchte man wirklich meinen, es seien wieder die siebziger Jahre ausgebrochen. Als es noch nicht Tausende Spielarten von Irgendwas-Rock, Irgendwie-Metal und Sonstwas-Core gab. Sondern einfach nur Hardrock. Fett wie ein Schwartenmagenbrötchen mit einer kompletten Tube Senf.