Bigger Than Life: Locked & Loaded

Notiz: Es ist immer ein besonderes Vergnügen, mit Alex Beyrodt zu sprechen. Denn auch dieser großartige Gitarrist ist einer der Musiker, mit denen man keine Interviews, sondern Gespräche führt. In den vergangen Jahren hatten wir uns persönlich getroffen, dieses Mal ging‘s aus bekannten Gründen leider nicht. Es wurde dennoch ein gutes Gespräch am 27. Oktober 2020, das ich hier in voller Länge wiedergeben möchte, und das sicher auch für Gitarren-Spezialisten interessant sein dürfte. Der daraus destillierte Artikel erschien im ROCKS. Here we go….

Band-Porträtfotos Alex Kuehr Photography

Alex Beyrodts Voodoo Circle sind mit einem neuen Album am Start. Mit Locked & Loaded sind Sänger David Readman und Schlagzeuger Markus Kullmann zurückgekehrt. Dennoch ist das Album mehr als Traditionspflege, denn Beyrodt und seine Mannen werden erneut ihrem selbst verordneten Anspruch gerecht, die Grenzen des Hardrock-Genres immer wieder neu zu vermessen.

Ich habe jetzt dieses Album mehrfach gehört, und ich finde, jedes Voodoo Circle- Album hat eine eigene, nicht genau definierbare musikalische Grundierung. Mein Eindruck ist: Alle haben ihr eigenes Flair, das sie unterscheidet. Bei der Neuen gibt es einen gewissen Hang zu Grenzüberschreitungen in Richtung Pop. Melodien, die ich in dieser Art bei Euch noch nie gehört habe. Kann das sein?

Das ist ja das Schöne, wenn man sich mit Menschen wie Dir über Musik unterhält, merkt man einfach sofort: der Mensch kennt sich aus und setzt sich damit auseinander. Das ist auch leider selten geworden. Mach mal ein Interview mit einem in Aserbeidschan…. Anyway. Es stimmt, was du sagst: Jedes unserer Alben hat eine andere Schattierung oder Grundierung, wie Du es nennst. Das ist auch so gewollt und auch bei diesem Album hatte ich wieder was im Hinterkopf. Was Du allerdings sagst, mit poppiger Ausrichtung – das ist einfach so passiert, das war keine Absicht. Das ist einfach während dem Komponieren auf einmal in diese Richtung gegangen und ich würde sagen, eigentlich ist das nur bei zwei Songs deutlich der Fall…..

Ja, bei „Wasting Time“ höre ich zum Beispiel so was….

Ja, der Refrain. Der Song ist ja erstmal Led Zeppelin/ Jimmy Page angehaucht, und dann auf einmal kommt der Refrain, und du denkst: hey, das ist ja ‘ne Pop-Nummer. Und genau das fand ich unheimlich spannend, so einen Song überhaupt machen zu können, dass der überhaupt rauskommt aus uns. Wenn das losgeht mit dem epischen Intro – und der Vers ist vollkommen 70er Jahre, Led Zeppelin Richtung. Das ist auch so gewollt. Wobei ich aufpassen muss, dass ich nicht ständig so viele Bandnamen in den Raum werfe, aber ich tu‘s einfach nur zum besseren Verständnis. Und dann kommt der Refrain und Du denkst: Hey, das kann ja im Radio laufen, was ist denn da los? Das finde ich total geil.

Der Refrain ist auch tatsächlich vom David. Ich hatte die Akkorde fertig, der Refrain war von der Musik her fertig, aber ich hatte keine Ahnung, was wir da gesanglich machen wollten. Ich wusste nur: Es muss irgendwas in Dur sein, denn der Refrain war in Dur. Und dann kommt der David mit dieser Melodie um die Ecke und ich denke: Boah, wie geil ist das denn. Das war das eine. Das andere ist „Locked and Loaded“. Das war pure Absicht, muss ich sagen. Komm, jetzt machen wir ‘ne Nummer, die sexy, rockig, fetzig, poppig und doch hart ist. Mit einem Hendrix- Solo in der Mitte, zum Niederknien, bei dem alle denken: Was ist denn jetzt los? Mit dem ältesten Fuzz, das ich hier finden könnte in meiner Sammlung, und trotzdem: Die Nummer rockt wie die Hölle, hat Mörder-Chöre, das ist das volle Def-Leppard-Chorprogramm, aber geht trotzdem ab und ist nicht irgendwie seicht….

Lustig: Bei mir auf meinem Fragezettel steht: „Locked and Loaded“ ist ja eigentlich ein fröhlicher Popsong, mit dem Werkzeugkasten einer Metalband gespielt.

Ja, genau (lacht).

Also sowas habt ihr tatsächlich noch nie gemacht. Das hat wirklich von vorne bist hinten ein ganz anderes Flair. Eine Band wie ihr kann eigentlich mutig sein, denn ihr habt ja immer etwas unterschiedliche Alben gemacht, und es gibt ja wohl eine überschaubare, aber doch wohl treue Fangemeinde. Da kann man sagen, denen kann ich auch mal sowas bieten, da brauche ich keine Angst haben, dass die vom Glauben abfallen. Oder du hast es auch mal anders formuliert. Sinngemäss, dass man die Möglichkeiten innerhalb der Grenzen des Genres definieren und ausloten sollte…

Genau das ist ja der Punkt, jetzt reden wir da drüber. Das ist wirklich ein Song, an dem sich die Geister sicherlich scheiden werden. Der polarisiert wahrscheinlich, und das ist gut. Der Song hat auch ein Led Zeppelin/Jimi Hendrix-Riff, ist aber eine harte Popnummer. Und diese Mischung fand ich ultra-interessant und der ist auch genau mit dieser Intention geschrieben worden.

Es ist ja ‘ne tolle Sache, allein deswegen, weil es ja sonst niemand macht, oder? Gut, wir haben Def Leppard erwähnt… aber bei denen ist das ja grundsätzlich so….

Sagen wir mal so: In der „guten alten Zeit“, in den 80er Jahren, als unsere Musik ja ihre Hochzeit hatte, war das ja eigentlich normal. Wenn ich an so ‘ne Band denke wie – was fällt mir spontan ein? „10.000 Lovers“ von TNT.

Oh ja, allerdings!!

Was für eine Popnummer, aber was für ein Brett! Da gab‘s ja noch mehr. White Lion mit einem Gitarrenvirtuoso par Excellence. Vito Bratta feuert da ein Solo nach dem anderen ab – und das sind alles poppige Hardrocknummern. Oder denk‘ an Bon Jovi. Ich denke, Locked and Loaded hätte uns in den 80er Jahren, wenn es uns da schon gegeben hätte, zu Ruhm und Reichtum verholfen.

Das ist halt ein bisschen die Tragik. Aber jetzt ist es halt Leidenschaft….. Gut. Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, war ja David Readman plötzlich und unerwartet abgegangen. Du hattest dir einen neuen Sänger gesucht und in Hansi gefunden. Du hat damals nicht gewusst, warum David einem Abgang machte. Weisst Du jetzt, warum er wieder gekommen ist?

Also, das ist das Schöne. Bei dem finalen Telefonat zwischen David und mir haben wir beide festgestellt, dass wir beide nicht wissen, was da eigentlich los war. Es war eine Aneinanderreihung von Missverständnissen und – ich würde mal sagen – schlechter Kommunikation. Die hat dann irgendwann zu einer Frustration geführt und zu seinem Entschluss, in Zukunft seinen Fokus auf was anderes zu legen… oder, nein: Er hat mir versichert, dass sein Einstieg bei Almanac eigentlich nichts mit seinem Ausstieg zu tun hatte. Wir hatten da ein langes, intensives Gespräch. Jetzt ist es so, als wäre er nie weggewesen – es ist gigantisch. Als er hier bei mir war, und wir an den Songs gearbeitet haben, war eigentlich alles so wie immer. Da bin ich jetzt auch sehr, sehr froh drüber. Und wir haben auch gar nicht mehr groß über die ganze Geschichte geredet. Ich war am Anfang sehr enttäuscht, aber das ist Schnee von gestern, und jetzt ist es wurscht…..

Wie kam es letztlich zu dieser Reunion?

Das war eigentlich ein Annähern von beiden Seiten. Sagen wir mal so: Er hat – und das hat er auch gesagt – aus der Distanz beobachtet, was wir gerade so tun. Ich hab‘ das auch gemerkt, weil er ab und zu auch in Facebook einen Kommentar geschrieben hat, wenn bei Voodoo Circle was war. Und da gab es einen Kommentar, da hatte er geschrieben: We have the world in the palm of our hands. Das war ein Kommentar zu einem Live-Video von uns. Da hab‘ ich mir gedacht: Guck mal, der guckt. Es ist ihm nicht egal, was hier passiert. Das hat dann auch zu der Kontaktaufnahme und den ersten Telefonaten geführt…. Das war alles sofort klar.

Du hat mir mal erzählt, du schreibst Musik nicht mit der Vorstellung von einem bestimmten Sänger im Kopf. Das kann man aber wahrscheinlich nicht immer konsequent machen. Gerade auf der neuen Platte gibt es ja Songs, die ohne David am Mikrofon nicht ihre volle Wirkung entfalten könnten, oder?

Ja klar. Jeder Song auf dem Album ist entstanden mit der Intention, dass der David da singt. Ich hatte ja schon Musik für dieses Album fertig. Zwei Demos habe ich selbst gesungen. Und dann kam erst die Geschichte, dass er wieder dabei sein wird, Und dann hab ich nochmal angefangen, neu zu schreiben.

Wann war das?

Vor etwas mehr als einem Jahr. Das war eine gewisser Druck da. Ich musst ja nicht ganz von vorne anfangen – manches konnte ich ja auch umschreiben, vielleicht die Tonart ändern. Aber im Prinzip ist das Album David auf den Leib geschneidert. Was neu ist, und was es bei Voodoo Circle noch nie gab: ich habe auf zwei Songs demomässig die Vocals eingesungen und er hat sie dann quasi interpretiert. Das ist ganz witzig, denn das ist tatsächlich „Locked and Loaded“, und „Devil With An Angel Smile“. Da habe ich rumgeschrien, bis mir der Hals geblutet hat, und er hat‘s dann schön gesungen.

Die Gesangsmelodie hast Du also vorgegeben.

Jaja, und auch neu und zum ersten Mal: ich hab‘ getextet für die beiden Songs.

Und jetzt? Man entschuldige die blöde Frage – was hat das mit Dir gemacht?

Das hat mir Lust auf mehr gemacht. Denn es ist ja so: Wenn David und ich zusammen an den Vocals arbeiten, das ist immer so ein gegenseitiges Befruchten: ich summe was vor, er singt es nach, ich höre sofort, wie die Melodie weitergehen muss. Er singt mir was vor, jetzt bin ich halt kein begnadeter Sänger wie er, aber ich hab‘ ja trotzdem Melodien im Kopf. Und ein Großteil der Melodien entsteht ja immer bei unserer Zusammenarbeit. Ich wollte einfach mal schauen, was passiert, wenn ich das mal ganz alleine versuche. Und da sind halt diese beiden Songs herausgekommen. Als er die dann „richtig“ gesungen hat, das war für mich total geil. Das hat mir besonders am Herzen gelegen. Das sind ja zwei Songs, die auf dem Album herausragen.

Es hat ja auch was mit Selbstbewusstsein zu tun, wenn man jahrelang was macht, und auf einmal bei der eigenen Arbeit noch etwas entdeckt, was man bisher noch nicht kannte. Kann man das so sagen?

Ja, ich hab ja immer schon Chöre gesungen. Jetzt habe ich mich einfach mal getraut, das Mikro in die Hand zu nehmen und aufzunehmen…. Das hab‘ ich auch beim Songwriting für das letzte Primal Fear Album gemacht. Da hab ich mal einen Song abgegeben, auf dem ich tatsächlich auch gesungen hatte, damit man eine Vorstellung davon kriegen konnte….

Man hat ja auch selbst als Songschreiber ein konkreteres Bild, wenn man das schon mal einsingt, als wenn man nur die Melodie im Kopf hat. Das hat eine andere Wirkung….?

Ja, bei Locked and Loaded gibt es sogar einen Schrei im Hintergrund, so ein „Yeah“, das bin tatsächlich ich. Das hab‘ ich einfach vom allerersten Demo draufgelassen.

Mit blutendem Hals….

Genau!

So, reden wir über den Sound. Eure Alben klingen alle unheimlich fett. Ich finde es immer wieder faszinierend, dass man für so einen Sound früher ein irrsinnig teures Studio in LA plus einen chromglitzernden Produzenten im einem rosa Cadillac brauchte, und heute…. macht ihr ja einen großen Teil daheim, Schlagzeug ausgenommen…..

… und das war ja in der Corona-Zeit, muss man dazu sagen. Und ich konnte ja aus Frankreich nicht raus. Wir haben dann über eine Live-Schaltung gearbeitet, und ich habe von hier aus beobachtet, wie der Markus die Drums einspielt und das kommentiert. So haben wir zusammen gearbeitet. Das war schon…. Wir standen vor der Entscheidung, ob wir das Album verschieben, wobei ja keiner wusste, wohin und wie lange. Oder ziehen wir das durch. Dann hat der Markus sich einen Zettel hinter die Windschutzscheibe geklebt: „Dienstwagen“ und ist dann im Lockdown ins Studio gefahren und dann haben wir eine Verschaltung gemacht, und ich war live dabei…. und das war ganz cool. Aber das stimmt schon, was du sagst. Was man früher in einem teuren Studio in LA gemacht hat, das jeden Tag 3000 Dollar gekostet hat mit dem Produzenten im pinkfarbenen Cadillac, das machst Du heute zuhause. Ich habe tatsächlich mittlerweile auch Equipment hier, das den Sound solcher Studios reproduziert. Da ist gigantisch. Ich mach‘ das mit echten Gitarrenverstärkern, aber ich hab‘ so ein Gerät, da sind 60 verschiedene Lautsprecher quasi abrufbar. Mit Räumen und Mikrofonen, dass ich alles so verschieben kann, wie ich es will. Ich hab‘ hier Sounds, die sind zum Niederknien. Für die Gitarrensounds, die ich hier habe, hättest Du früher ins teuerste Studio der Welt gehen müssen. Das war mit auch ein Grund, dass ich die Gitarren zum großen Teil nochmal neu eingespielt habe, weil ich genau in dieser Zeit mit Lockdown und Drum Recordings neues Equipment gekauft habe, man hat ja nix sonst zu tun. Und dann habe ich mir gesagt: Alter Schwede, die Gitarren sind ja zum großen Zeil fertig, aber das ist ja hier nochmal ‘ne ganz andere Nummer, die ich hier an Möglichkeiten habe. Und dann habe ich nochmal neu aufgenommen.

Was Du da machst, ist ja eine Art Gitarrensound, den ich heute relativ selten höre. Bei dem ich das Gefühl habe, da ist ein Wand. Wie eben bei der ersten Van Halen, als ich zum ersten Mal Running with the Devil gehört habe, dachte ich: Was ist denn das, das bläst mich weg! Oder Vengeance, die hatten so ein Album……

„Rock‘n‘Roll Shower“ war die Single…..

.. genau, da ist natürlich immer die Frage: Wie weit geht das? Du hast mir ja auch mal erzählt, über Fragen nachgedacht zu haben wie: Klingt das orangerote Spiralkabel besser als das gelbe Nicht-Spiralkabel. Ich übertreibe ein bisschen….. aber: Hört das denn jemand, oder ist das Selbstbefriedigung?

Klar, wir sind ja auch auch alle ein bisschen verrückt. Aber diese Detailverliebtheit, die braucht man einfach für diese Art Musik. Die ist mir auch wichtig, und da geh‘ ich drin auf. Das gehört für mich einfach dazu. Nix 08/15, da geht es einfach in die Tiefe. Und was Du gerade gesagt hast von wegen Brett: Das liegt daran, dass ich teilweise die Rhythmusgitarren fünfmal dopple. Und das wird im Mix unterschiedlich positioniert und du denkst: Alter, was ist denn jetzt kaputt. Das ist halt die ganz alte Schule, das habe ich in den 80igern kennen und lieben gelernt. Ich mach‘ das ja zum großen Teil für mich, wenn ich hier sitze und hör‘ mir das dann an und denke…. Whooah.

Das wirkt auf mich wie die erste Blue Murder, was John Sykes da macht, etwa bei Billy. Da hatte ich das Gefühl. Da sind hundert Gitarrenspuren.

Das war ja auch so bei 1987 von Whitesnake. Da sind wir ja alle dagestanden und haben uns gefragt: Was ist das bitte für ein Gitarrensound? Ich hatte das große Glück, Mitte der 90er-Jahre mit Mat (Sinner) bei Keith Olsen im Studio gewesen zu sein, wo wir die Judgement Day gemacht haben. Keith Olsen hat uns die Original-Bänder vorgespielt und in die einzelnen Spuren reinhören lassen. Und dann hörst Du genau, was der Sykes da gespielt hat und wieviel Spuren das sind. Das war das erste Mal, dass ich gehört habe, wie es klingt, wenn auf sechs Gitarrenspuren das gleiche gespielt wird. Das hat mich so nachhaltig beeindruckt, das wollte ich auch machen…

Now for something comleptely different: Da wird die Band auf den Fotos gezeigt, vier Leute – aber auf dem Album sind viele Keyboards, und auf den Fotos ist kein Keyboarder! Wer spielt die?

Das ist der Corvin Bahn….. ein ultrasympathischer, netter, lieber Mensch. Ein totaler Keyboard-Nerd und Star Trek-Nerd. Der ist so ein Typ, dem schickst du einen Song, und sagst: Du, ich brauch‘ Keyboards, die sollen in die und die Richtung klingen. Zwei Stunden später kriegst Du das und denkst Dir: Wie machst Du das, und vor allem wann? Mit ihm zusammenzuarbeiten, das macht so richtig Laune. Und der ist immer gut gelaunt, immer erreichbar, immer positiv.

Der hat aber nur auf diesem Album gespielt, gehört abernicht zur Band?

Der hat auf dem letzten auch schon die Keyboards gemacht.

Ah. Man weiss ja auch nicht, wann diese Band wieder live spielt.

Wissen wir denn überhaupt, wann wir wieder Live-Konzerte sehen? Ich befürchte ja, dass 2021 einen weiteren Totalausfall gibt. Wenn überhaupt, zweite Jahreshälfte. Und dann weiß man nicht, ob es sich überhaupt rechnet, weil es irgendwelche Auflagen gibt. Da kommt noch mal ein Totalausfall auf uns zu.

Jetzt noch ein nicht ganz ernst gemeinte Frage zu dem Foto mit vier Leuten ohne den Keyboarder. Früher war es ja teilweise so, dass die Hardrocker und die Heavy Metal Bands zwar manchmal Keyboards hatten, aber den Mann im Orchestergraben versteckt haben. Habt ihr euren Keyboarder in den Orchestergraben geworfen?

Nee, nee. Der harte Kern ist jetzt zusammen und der Corvin hat so viel um die Ohren mit anderen Geschichten, der nach ja auch noch dieses ultraerfolgreiche…. aus Hamburg. Irgend so ein Wikingerding, da hagelt es goldene Platten. Dann macht er was mit diesen Schlagertypen. Der ist ja ein richtiger Studiomusiker. Letzthin war ich bei der Studioeröffnung von Peter Keller bei Peter Maffay in Hamburg, und da steht plötzlich der Corvin neben mir. Der ist halt ein Hansdampf in allen Gassen, und es wäre blöd gewesen, wenn man ihn aufs Foto genommen hätte….. beziehungsweise: Wir konnten ja gar kein neues Foto machen. Dann soll man erklären, wie man in Corona-Zeiten Menschen, die in verschiedenen Ländern leben, zusammen auf ein Foto bringen soll. Der Corvin hat soviel zu tun… wenn der auf einem Foto erscheint, und irgendwann kommt eine Tour und der kann nicht, und dann steht wieder ein anderer auf der Bühne. Also machen wir es gleich so: Unser Keyboarder wird ein Mietkeyboarder sein, der eben dann gerade Zeit hat.

Du bist ja der Hauptsongschreiber der Band…. Du erarbeitest dann mit David die gesamten Songs inklusive der Melodien und Texte, und dann? Gibt es Regieanweisungen für die anderen Bandmitglieder beim Einspielen? Ich denke dabei vor allem an das Tier am Schlagzeug, Markus Kullmann…..

Ja, es gibt tatsächlich auf dem Album ein paar Songs und auch ein paar Stellen, auch gerade in Wasting Time. Da habe ich gesagt: Markus, da hast Du seinen Bonham-Moment, da kannst Du deine Liebe zu Jon Bonham ausleben. Da ist dein Spot. Und dem Markus muss man nicht großartig sagen, was er zu tun hat. Ich produziere das ja hier bei mir immer vor, und das geht dann immer schon so in die Richtung, und dann denke ich mir: Da an der Stelle machen wir einen Break und der Markus hört sich das dann an und macht das richtig geil. Das gleiche gilt auch für den Bass. Ich muss dem Mat nicht sagen, was er zu spielen hat. Wir leben ja in dieser Band davon, dass jeder genau weiss was er zu tun hat und wie er zu einen Song was beitragen kann. Das war auch ganz schön, als der Mat und ich vor einem Jahr die Köpfe zusammengesteckt und überlegt haben, wie es weiter gehen soll. Als klar war, dass der David wieder dabei ist…. Waren wir uns beide einige; Komm, wir versuchen einfach mal auf diesem Album mehr auf diese 70er-Zeppelin-Richtung zu gehen. Natürlich gibt es weiter die typischen Voodoo Circle Heavy Blues-Songs in Richtung einer Band mit einem britischen Sänger, der früher bei Deep Purple war…. Aber lass uns doch mal versuchen, ein bisschen in eine andere Richtung zu gehen. Das war auch vor allem eine Idee vom Mat, und da bin ich auch dankbar dafür.

Wenn du dein eigenes Wirken als Gitarrist über die Jahre betrachtest: Verändert sich dein Spiel? Nicht unbedingt im Sinn von höher, weiter, schneller, sondern in Richtung Reife?

Das ist ein interessantes Thema. Ich hab‘ ja dadurch, dass ich mittlerweile auch viel auf der Les Paul spiele, einen ganz anderen Blick und einen neuen Horizont bekommen, und auch viel Energie freigesetzt. Ich war mein ganzes Leben eigentlich Strat-Spieler, und auf einmal entdecke ich die Les Paul und ich entdecke sie immer noch und ich hab‘ mich auch mittlerweile in sie verliebt. Wenn ich auf einer Les Paul spiele, spiele ich anders als auf einer Stratocaster. Insofern hat mein Gitarrenspiel sich da schon verändert und natürlich bin ich immer noch auf der Suche – und das ist eine Gitarristenkrankheit, über die sich die Industrie freut, weil sie ständig neue Dinge verkaufen kann. Aber ich lege mittlerweile wieder mehr Wert auf Melodien. Das war so, als ich ganz jung war, da habe ich eher melodiös gespielt. Dann konnte ich irgendwann ganz schnell Gitarre spielen, und dann hab‘ ich nur noch schnell Gitarre gespielt und mittlerweile weiß ich, dass ich schnell Gitarre spielen kann und lege wieder mehr Wert auf Melodien. Wobei man mir ja nachsagt, dass ich eh ein melodiöser Gitarrist bin. Und dich arbeite sehr viel an meinem Vibrato, das ist mir immer wichtiger geworden. An seinem Vibrato erkennst Du ja quasi den Gitarristen, das ist sein Fingerabdruck, daran arbeite ich nach wie vor. Das hört nie auf. Und der Einfluss des Blues, der wird auch, je älter ich werde, immer größer. Früher haben mir halt ein paar Powerchords und ein Riff gereicht. Heute entdecke ich andere Akkorde für mich, da werden einfach neue Welten freigesetzt und das macht unheimlich viel Spaß.

Ich habe hier ein Zitat von Dir aus einem unserer früheren Gespräche: „Ich sehe es als viel größere Herausforderung, die Leute mit einem Ton zu packen, der an der richtigen Stelle gespielt – mit dem entsprechenden Vibrato und dem richtigen Sound direkt ins Herz trifft, statt 24 Töne zu spielen.

Ja, das stimmt. Das ist schön, dass ich das so gesagt habe. Ich habe ja inzwischen schon ganz oft mit Steve Lukather zusammengespielt und – das nur so als Anekdote – der hat mal zu mir gesagt: „Alex, there is no such thing as wrong notes“. Es gibt keine falschen Noten. Der ist ja so ein Typ, der stellt sich auf die Bühne, spielt und Du denkst Dir: Wo nimmt der diese Noten her? Die hab‘ ich auf dem Griffbrett nicht, die hat nur er. Aber das stimmt natürlich nicht. Der spielt halt einfach ‘ne Note an einer Stelle, wo Du Dir das nie trauen würdest, weil Du denkst: Iiih, das ist nicht in der Skala, das ist falsch. Aber der Lukather macht das und die Sonne geht auf. Das ist gigantisch…. Das ist mir jetzt gerade mal so eingefallen.

Immer vorausgeschickt: ich verstehe nix vom Gitarre spielen. Wenn ich einem Gitarristen zuschaue, wie der spielt, denke ich immer: Das ist ein Instrument, das kann man nicht lernen. Wenn ich Keyboarder bei der Arbeit sehe, glaube ich zumindest, dass man das lernen kann. Ich habe selbst ja Klavier gelernt, kam allerdings nicht sehr weit. Aber bei Lukather ebenso wie bei dir entdecke ich immer die schöne Balance zwischen diesem: „ich kann ganz furchtbar schnell, ich kann aber auch interessante Töne….“

Jetzt pass auf, es wird ja nich viel geiler. Du hast ja mit der Gitarre die Möglichkeit, Töne zu spielen, die auf einem Klavier gar nicht drauf sind, durch das Bending, das Saiten ziehen. Du kannst ja Bendings nicht nur mit einem Ton, sondern auch mit einem halben Ton oder noch weniger machen, und dann wird das richtig interessant. Dann erzeugst Du einen Ton mit einem Bending, das irgendwo ein bisschen da drüber geht und diesen Ton gibt es nirgends. Den gibt es nur in diesem Moment bei Dir auf der Gitarre. Den gibt es auf keinem Klavier, auf keinem Keyboard…. Vielleicht noch auf ‘ner Geige.

oder einem Theremin!

Genau! Und das macht – glaube ich – die Faszination dieses Instruments aus. Einer, der darin ganz groß ist, ist natürlich Jeff Beck…. Der spielt einen Ton, und du denkst: Wow! Und dann geht er zum nächsten Ton, und du hast das Gefühl, dazwischen gab es eine Verbindung. Ich weiss gar nicht, wie ich das beschreiben soll. Das ist ja so ein flüssiges Spiel, und der hat Töne, die gibt‘s überhaupt nirgends. Nur bei ihm.

Ich habe fürs ROCKS kürzlich noch mal die DVD Jeff Beck live At Ronnie Scotts von 2008 besprochen….

… ja, mein Gott! Da fang ich an zu heulen, jedes Mal!

ich kann das auch nicht beschreiben, ich bin ja nur ein Hörer. Der holt Töne weiß Gott woher. Nicht nur, dass man das Gefühl hat, diese Töne könnte es vielleicht auf der Gitarre gar nicht geben, sondern dass die überhaupt nirgends sozusagen abgespeichert sind.

…. die sind aus einem anderen Universum. Was mit total auf der DVD gefällt, ist die Tal Wilkenfeld, die ein irres Bass-Solo macht, und Dich dabei noch anguckt und in die Kamera lächelt….

…und dann schaue ich diesem Vinnie Colajuta zu, der eigentlich nach geltender Lehrmeinung viel zu viel spielt, aber es stört nie. Der spielt Schlagzeugsolo, und Du hast das Gefühl: nee, der begleitet nur.

… ja, dieses Konzert ist absolut unfassbar. Das ist eine meiner Lieblings-Konzert-DVDs.

Ich hab‘ den beim Zeltival in Karlsruhe gesehen, und das war genauso. Aber da bist du nach 90 Minuten total erledigt. Jede Minute mehr wäre eine zuviel. So viele Töne hältst Du nicht aus. Gut. Zurück zum Thema: Diese Voodoo Circle Musik, die beschreibe ich manchmal so: Sie ist mindestens acht Stockwerke hoch, wenn nicht höher, und Du denkst: Wie hoch geht das denn noch? Ich liebe dieses Musik, aber ich entwickle da auch immer eine gewisse ironische Distanz dazu, weil ich denke, das ist dermaßen „over the top“. Ist das für Dich als Musiker manchmal auch so, dass man sagt: So, jetzt machen wir es aber wirklich so fett, dass man sich selbst schon für durchgeknallt hält?

Ähhm…. Mehr ist mehr. Hat mal ein ganz berühmter schwedischer Gitarrist gesagt. More is more. How can less be more. Ich glaube, wir haben bei Voodoo Circle beides: Die „Less is more“-Momente, aber auch die „More is more“-Momente, und beides spielt für mich in meinem musikalischen Leben eine große Rolle.

Chöre finde ich auch in der Weise, wie sie jetzt bei euch stattfinden, ein relativ selten benutztes Stilmittel. Da denke ich auch: Was geht denn noch anders? Ihr habt Verbindungen musikalischer Stilistiken gewagt, bei denen man auf den ersten Blick denkt: Wie geht das denn alles zusammen. Gibt es Grenzen? Man könnte ja auch noch vollkommen atypische Instrumentierungen reinbringen, oder bleibt man doch lieber beim klassischen „Fünf Mann spielen Rock“-Instrumentarium?

Ich würde wahnsinnig gern mal eine Ballade machen im Stil von „Rainbow Eyes“ von Rainbow, wo es ja nur Gitarre, Stimme und ein Quarttett gibt. Das würde mich unheimlich reizen. Die Verbindung zu einem klassischen Orchester ist ja da. Wer weiss, ob wir das nicht mal in der Zukunft machen. Aber ansonsten bleiben wir dem klassischen Hardrock eher treu. Und die Chöre waren auch wichtig auf diesem Album. Ich habe gesungen, der Mat, der David und die Melissa Bonney hat auch gesungen, die war bei der letzten Rock Meets Classic-Tour dabei und hat hier auch was dazu beigesteuert, so dass das eine weibliche Stimme mit im Chor dabei ist. Das gibt noch einmal einen ganz anderen Touch, auch wenn Du das gar nicht so vordergründig hörst. Es ist aber da. Es ist tatsächlich das erste Mal, dass eine Frau bei uns auf einem Album bei den Chören mitgemacht hat. Wir waren halt einfach offen bei diesem Album. Wir haben uns gesagt: Das wird sowieso ganz anders als wir es sonst immer machen…..

Gibt es bei diesen Grenzüberschreitungen auch manchmal Diskussionen in der Band, dass einer sagt: „Och Mensch Alex, das geht aber zu weit?“

Oooh…. Das bleibt eigentlich meiner Freundin vorbehalten. Wenn ich hier einen Songs schreibe, ist sie immer die erste, die das zu hören kriegt und wenn die dann sagt: Nee, Alex, das kannst du so net bringen, dann weiss ich, dass ich da irgendwo was gemacht habe, was es schon mal gab, viel zu nah am Original. Dann wird das geändert. Manchmal verliere ich mich da auch einfach. Wenn man das so lange macht wie ich, wenn man so viele Songs gehört hat…..

…kommt man da nicht raus. Wie vorhin schon gesagt; Die lotest die Grenzen des Genres aus, aber es ist halt doch begrenzt. Da muss man schon ehrlich sein.

Ja, auf jeden Fall, da muss man ehrlich sein. Wir haben so viele Sachen schon abgedeckt bei Voodoo Circle von den eigenen Vorlieben. Es gibt natürlich noch wahnsinnig viel zu tun, aber trotzdem ist jedes Album wieder eine große Herausforderung.

Mir fiel noch ein: „This Song Is For You“ … das erinnert mich schon von der Stimmung sehr an „Still Got The Blues“ von Gary Moore.

Ja, das ist aber auch gewollt…

und Gary Moore hat seinen Song ja angeblich von einer badischen Kapelle geklaut. Woher habt Ihr euren Song geklaut?

Von Gary Moore! (lacht) Nein, das war tatsächlich nicht von Gary Moore inspiriert, sondern von Bernie Marsden. Jetzt fällt mir aber der Songtitel gerade nicht ein. Das ist aber auch ganz gut so, man muss ja die Leute nicht mit der Nase drauf stossen. Der Joe Bonamassa hat den Song auch gespielt… der hat mir unheimlich gut gefallen, und ich wollte auch in der Richtung was machen. Und als das dann fertig war, hab‘ ich gemerkt: Na gut, das ist natürlich auch Gary Moore. Schon klar.

Okay. Es gint so ein paar Stellen, an denen David fast klingt wie eine Parodie auf Coverdale, diesen „Baby, Baby, Baby“-Schmerz nach dem Motto: ich zerfliesse jetzt in einer Mischung aus Tränen und Sperma. Da denke ich immer: Muss man den da nicht mal einbremsen, sonst klingt es wirklich wie eine Parodie? Oder muss das halt einfach sein ?

Das muss genau so sein. Und wenn es passt, dann passt es halt.

So, die unvermeidliche Frage in diesen Zeiten: Ihr habt es zwar geschafft, dieses Album zu produzieren, aber dennoch: Wie überlebt man eigentlich in Corona-Zeiten? Man kann ja nicht touren, und du kannst ja nun nicht mit all deinen drei Bands jedes halbe Jahr noch ein Album produzieren, nur um irgendwas zu tun zu habe. Das ist auch nicht so schick.

Naja, drei Songs für das nächste Voodoo Circle Album hab‘ ich schon geschrieben.

Das neue ist noch nicht veröffentlicht, und ich arbeite schon am nächsten. Mir sind dieses Jahr 120 Konzerte ausgefallen, also eine komplette Welttournee und ein komplettes Jahreseinkommen. Ich meine, die Corona-Jammerei liegt mir fern, aber trotzdem: Was mich an dieser ganzen Sache ärgert, ist die fehlende Wertschätzung durch die Politik, weil faktisch habe ich ein Berufsverbot. Ich bin ja nicht arbeitslos und ich bin auch nicht arbeitssuchend. Mir wurde verboten zu arbeiten. Ich bin der Meinung, derjenige, der mir das verbietet, muss auch dafür sorgen, dass es bei mir irgendwie weitergeht. Mit den Unterstützungen, die mir momentan zustehen würden, kann ich nicht mal meine Miete zahlen. Das ist lächerlich und das finde ich nicht in Ordnung. Dass unsere ganze Branche, die so viele Milliarden Umsatz macht und zwei Millionen Arbeitnehmer hat, einfach so links liegen gelassen wird. Was willst Du machen? Das wird nächstes Jahr genau so weitergehen. Immerhin habe ich meine Firma noch mit Ersatzteilen für Gitarren, das läuft in Corona-Zeiten besser als sonst, weil die Leute zuhause sitzen. Aber trotzdem darf man jetzt nicht vergessen: Mir fehlt ein Jahreseinkommen. Und nicht nur mir, sondern jedem Musiker, den ich kenne. Da kann ich nicht verstehen, warum das ignoriert word, und teilweise sogar noch verhöhnt, so nach dem Motto: Hättest Du was anständiges gelernt. Wenn du manche Facebook-Kommentare liest…. Man sollte keine Facebook-Kommentare lesen. Du arbeitest dein ganzes Leben an deiner Karriere als Musiker, gehst dieses Risiko ein, diesen wirklich beschwerlichen Weg – und dann musst Du dich auch noch verhöhnen lassen. „Hättest du gespart, dann haste was in der Not“ bis hin zu „Seid ihr euch zu fein, um Hartz 4 zu beantragen?“ Also, das tut mir weh, das ist ein Schlag ins Gesicht, dass aus der Gesellschaft solche Sprüche kommen. Das finde ich unmöglich.

Das kommt ja auch von Leuten, die gerne mal Künstler, Schauspieler, Musiker, Schriftsteller fragen: „Und was machen Sie eigentlich beruflich?“

Ja, und ich antworte auf diese Frage am liebsten: Alles, was nötig ist.