Hand.Cannot.Erase

kscope / VÖ: 27.2.2015

Weniger Jazz ist mehr Prog

Joyce Carol Vincent war eine junge, beliebte Frau, die fast drei Jahre lang tot in ihrer Londoner Wohnung lag, bevor sie jemand vermisst hat. Ein Fernsehfilm über ihr Schicksal inspirierte Steven Wilson zu dem Konzeptalbum, dessen Musik wie der Vorspann zu einem Thriller beginnt. Der Puls der Großstadt und die Einsamkeit sind gleichzeitig erlebbar. Schnitt, Kontrast: Three ears Older‹ fasst die Möglichkeiten des Albums anschliessend zusammen.

Die kantige, harsche Rhythmik wirft Stroboskopblitze auf eine zehnminütige Parforce- Tour, in der der Komponist als Musik-Regisseur nahezu alle seine musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten einsetzt und nebenbei einiges an Reminiszenzen an Yes unterbringt. Eruptionen enden mit dem Ensatz einer einsamen Akustik-Gitarre. Ein Song im Song beginnt, voll harmonischer Gesangslinien. Aufbauen, einreissen, Haken schlagen – das ist das hier gesetzte Programm des Albums, das trotz seiner düsteren Thematik musikalisch leichter und auch luftiger arrangiert ist als die späten Porcupine Tree-Werke – und auf der anderen Seite für Fans der Band zugänglicher als etwa sein vorherirges Solo-Album The Raven That Refused To Sing. Diese Zugänglichkiet kulminiert im Titelsong, ein beinahe gradliniger Popsong, und Happy Returns würde auch einem Blackfield-Album gut stehen. Unheimlich und beklemmend wirkt dagegen A Perfect Life mit der anschwellenden, beschwörenden, wieder und wieder gesungenen Zeile „We have a perfect life“. Stoff für die Fans von Fusion-Steven gibt es zwischendrin immer wieder und mit Routine eine verregnete Ballade, die sich langsam aufbaut und die männliche Stimme in einen reizvollen Kontrast zu der der israelischen Sängerin Ninet Tayeb setzt.

9/10