Welthits made in Zabrze
Die Popolskis, Karlsruhe, Tollhaus-Zeltival, 1.8.2008
Vor hundert Jahren, am 22. März 1908, erfand Opa Poposki die Popolski-Musik, die er später der Einfachheit halber in Popmusik umtaufte. Beim Pfarrfest hatte er 22 Gläser Wodka auf das Wohl der Jungfrau Maria getrunken, und er schrieb danach den Song, der als die Mutter aller Popsongs gilt: „Ei dobrze, dobrze dralla!“. Danach kamen weitere 128.000 Hits, die ihm allerdings von einem windigen Gebrauchtwagenhändler entwendet und in alle Welt verkauft wurden. Und nun tourt also die gesamte Verwandtschaft unter „der Oberhaupt der Familie“ Pavel Popolski alias Achim Hagemann durch die Welt, um die wahren Originale der Welthits zu zelebrieren. Der Oberhaupt der Familie ist schweigsam, wenn es um die wahre Identität der auf der Zeltivalbühne agierenden Popolski-Sippe geht. Immerhin weiß man, dass Pavel/Achim der Pianist des berühmten „Hurz!“-Sketches von Hape Kerkeling war. Die Polpolskis, verrät er immerhin, sind buchstäblich eine Schnapsidee, entstanden „nach viel Wodka zusammen mit polnischen Freunden“. Ein Narr, wer Schlechtes dabei denkt. Denn hier gibt es keine Polenwitze, im Gegenteil: In der Popolski-Story sind die Polen die Kulturnation und die Beklauten. Außerdem hat die gefälschte oberschlesische Sippe polnische Fanclubs in Deutschland und Polen.
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The Incident
Progressive Rock
Roadrunner Records / VÖ: 14.9.2009
Das graue Herumwuchten von Klangclustern aus Betongitarren und Mathematikschlagzeug der Einstiegssequenz ist bald überstanden. Ein Reiz, den die Band manchmal überstrapaziert hat, hier nicht. Gut so. Über „The Incident“ liegt nicht die gleiche bleierne Schwere wie über den beiden Vorgängeralben. Manches an diesem Album erinnert an die epische Breite von „In Absentia“ oder die melodiesatten kürzeren Songs vom „Lightbulb Sun“ Album.Mehr ansehen
Abgeklärt und leidenschaftlich
Poseidon auf der Cafébühne, DAS FEST, Karlsruhe, Günther Klotz-Anlage, 23.7.2014
Wenn ältere Bands sich reformieren, um vergangene Heldentaten zu reproduzieren, kann das der Ebbe im Geldbeutel geschuldet und nicht immer ein Gewinn für den Zuhörer sein. Zumindest bei Profis. Anders verhält es sich bei Musikern, die nie wirklich im Profisektor operierten und nun – jenseits der 60 – ihre Jugend noch einmal musikalisch zelebrieren. Da steckt im Regelfall pure Liebe zur Musik dahinter. Und die Frage: Können wir den emotionalen Gehalt dessen, was wir als Mittzwanziger gemacht haben, nochmal glaubwürdig transportieren? Poseidon, Karlsruher Rocklegende der 70er Jahre, haben es am Mittwochabend auf der Cafébühne des „Vorfestes“ bewiesen – und dabei sowohl ihren Vorbildern als auch ihrem eigene Oeuvre angemessen Tribut gezollt.Mehr ansehen
Hypnotisierendes Rumpeln
Pothead im Substage, Karlsruhe, 1996
Ein Romananfang: An einem flauschigen Abend in der Hauptstadt des Schepperklangs, Seattle, USA, sollte der junge sympathische Gitarrist Brad einen Refrain suchen, den er nie finden würde. Seit das Licht in diesem gut bevölkerten Club ausgegangen war, hatte er seine Gitarre mit Inbrunst bearbeitet. es waren schöne Klänge heraus-gekommen, zwischen „kreisch“, „bröääääv“ und „zong“ war alles dabeigewesen, was das Herz erfreut. Aber immer wenn er zu einem Refrain an-heben wollte, machte es plötzlich „plop“, der Song war aus – und trotzdem: Die Leute unten im Saal führten sich so wild auf, als hätte es einen Refrain gegeben. Mehr ansehen
Ekstase als Lebensgefühl
Power! Percussion in der Schlossgartenhalle, Ettlingen, 11.7.2015
„Slave To The Rhythm“ läuft als letztes Stück über die Saalanlage in der Schlossgartenhalle, bevor das Licht ausgeht. Der Songtitel könnte das ungeschriebene Gesetz des Abends sein: Die fünf Perkussionisten, Schlagzeuger und Allround-Rhythmiker sind in der Tat Sklaven des Rhythmus. Oder ist es umgekehrt? Sie machen sich die Rhythmen untertan, die sich ebenso auf professionellem Schlagwerk wie auch auf Alltagsgegenstände wie Eimer oder Haushaltsleitern erzeugen lassen und formen daraus Musik von erstaunlicher Vielfalt, Tiefe und Dynamik, von extrem laut bis kaum hörbar.Mehr ansehen
Das audiovisuelle Gesamtkunstwerk
„Sechs Musiker zwischen den Welten. Mit der Idee im Herzen und im Kopf eine neue zeitgemäße französische Musik zu schaffen.“ 1984 von den Brüdern Gerald und Franco Rouvinez gegründet, ist die Karlsruher Band Crépuscule ein Unikat unter den Progressive-Rockbands. Alleine dadurch, dass sie sich der französischen Sprache bedient. Gerald und Franco Rouvinez sind in der französischen Schweiz geboren – und ihre komplexen Ideen, die sie in langen Gesprächen entwickeln, lassen sich am besten in der Muttersprache umsetzen.Mehr ansehen
Foto Copyright: Henk Van De Pol
Presseinfo ausführlich, Version 1
Move Your Feet To The Elephant Beat
Paule Popstar, der eigentlich Thomas Lochner heisst, hatte schon in der Frühst-Pubertät die Wahnidee, eines Tages einer lautstarken Elefantenherde vorzustehen. Nichts sollte ihr heilig sein. Nicht die alten Klassiker der Blues-Brothers Schule, nicht die bärbeissigen Vokalinjurien eines Joe Cocker oder eines James Brown. Ob schwarz ob weiss, ich singe jeden Scheiss. Sogar moderne Popsongs. Die klingen dann aber garnicht mehr so, wie sie die Kinder gerne hören. Mehr ansehen
Der Anstalts-Tiger kann’s noch
Urban Priol in der Badnerlandhalle, Karlsruhe-Neureut, 5.9.2015
Nach dem Ende seines Fernsehjobs als „Anstalts“-Leiter und dem Scheitern des grob missglückten Joint-Ventures „Ein Fall fürs All“ mit Emmanuel Peterfalvi (alias Alfons) scheint Urban Priol jetzt wieder alle Energie in sein Bühnenprogramm zu stecken, und das ist gut so. Das Publikum in der ausverkauften Badnerlandhalle konnte er am Freitagabend jedenfalls überzeugen.Mehr ansehen
Road Back To Ruin
Nuclear Blast I VÖ: 19.04.2019
Das Brodeln des Nordens
Zelebrierten die Norweger bislang oft einen sehr eigenwilligen Sound, so ist ihr fünftes Album ein kompaktes Kraftpaket, dessen Wucht doch sehr an die klassischen Rockbands der 70er Jahre erinnert. Klangen einiges auf früheren Alben nach Geheimkonzert im angesagten Club der Spezialisten, so schreit jetzt alles nach großer Bühne. Mehr ansehen
Mike Barnes
A New Day Yesterday
UK Progressive Rock & The 1970s
Der Klappentext verspricht bislang noch nicht Berichtetes – selbst für die enthusiastischsten Prog-Nerds. Und in der Tat, das Mammutwerk, das der britische Journalist Mike Barnes (MOJO, The Wire, PROG) geschaffen hat, beantwirtet selbst nie gestellte Fragen und leuchte die tiefsten Winke der Entstehgung dieses Genres aus. Es ist keine dieser »Die Besten, Wichtigsten, Erfolgreichsten«-Bibeln, ganz im Gegenteil. Eine Fleissarbeit ist es dennoch, basirrend auf hunderten von Interviews mit Musikern, DJs, Fans und anderen Zeitzeugen, die die Genese dieses Genres aus unterschiedlichen Blickwinkeln beschreiben. Zum anderen ist Barnes ein Meister darin, Entwicklungen tatsächlich plastisch nacherlebbar zu mechen. »Ich wollte die Ära erforschen, um so nahe wie möglich an das Gefühl zu kommen, wieder in den 70er-Jahren zu sein.« Diesem Anspruch konsequent folgend beschäftigt er sich eben auch mit Mode, und schnüffelt sogar an jenem zeitalter: Da ist der Geruch von Dope und Patschuli. Abschweifungen tragen zur Stimmung bei: Da nimmt er den Leser mit auf einen Spaziergang durch den Valentines Park in London – bis der im Gleichklang mit dem Autor schlendert, um dann darüber zu spekulieren, dass dieses Stadtgrün die Inspiration für den Small Faces-Hit »Itchycoo Park« von 1967 gewesen sein könnte. Ja, auch dieser leicht psychedelische Song gehört zu den Geburtshelfern des Progressive Rock. Das Buch oszilliert zwischen Akurratesse und Anekdote. Barnes vollzieht eindrücklich die sprunghafte Entwicklung von King Crimson nach. Er lässt – mit guten Gründen – eine Band wie Hawkwind nicht aussen vor, und benennt einen Zeugen, der einen besessenen Fan bei einem Peter Hammill Konzert erlebt hat. Der nämlich verstieg sich zu dem Ausruf »Hammill is Jesus.« Barnes setzt sich mit den rätselhaften Lyrics von ›Close To The Edge‹ genauso detailiert auseinender wie mit den Querverbindungen zwischen frühen Genesis-Songs und The Nice. The Knife, der dramatishste Song auf dem Genesis-FrühwerkTrespass, wurde inspiriert von einem Teil des Stücks ›Rondo‹ aus dem Debüt-Album von The Nice. Der Genesis-Song trug bei seiner Entstehung den Arbeitstitel ›The Nice‹. Muss man das wissen? Natürlich, zumindest als Prog-Nerd. Wie Steven Wilson vor Jahren dem Rezensenten erklärte: »Es ist vollkommen unnötig, den Namen des Bassisten einer vergessenen britichen Prog-Band von 1969 zu kennen. Aber es macht Spaß.« Genau für solche Menschen ist Barnes‘ Buch die perfekte Lektüre. Eine Warnung sei alledings ausgesprochen: der Autor hat einen elaborierten Wortschatz, man sollte also sehr gute Englischkenntnisse haben, um sein Werk wirklich geniessen zu können.
Omnibus Press, 2020, 616 Seiten, 20 £