Der Klangbildhauer
Michael Landau Group im Jubez, Karlsruhe, 6.4.2008
Da ist er wieder, der Mann der einschwebenden Akkorde; und es scheint, als hätten alle auf ihn gewartet. Publikum und Künstler im Jubez verhalten sich wie die sprichwörtlichen verlorengeglaubten Brüder, die sich Jahrzehnte lang nicht gesehen haben. Michaels Gitarre jedenfalls hat an diesem Abend wieder viel zu erzählen. Mehr ansehen
Red Planet Boulevard
Frontiers / VÖ: 7.12.2007
Dereinst wuchtete Lana Lanes Gatte, der Keyboard-Burg-Herr Erik Norlander, ein solches Ungetüm von Synthesizer-Schraubschränken auf die Bühne des Karlsruher Substage, dass es nach oben bis zur Decke noch etwa einen Millimeter Luft gab. Norlander ist zwar immer noch dabei, hat auch das neue Werk der wallenden Walküre produziert, aber das Keybardgedöns verzieht sich langsam zu Gunsten eines straighten, auf den Punkt kommenden Melodic-Rock Sounds, bei dem die Gitarre den Ton angibt. Was Lana, die immer wieder zu Recht stimmliche vergleiche mit Heart’s Ann Wilson provoziert, auch durchaus gut steht. Allein, die Melodien, die da auf gediegenen Tasten-Sounds, vielfach gedoppelten Rotz-Gitarren und Big Drums im Stil der 80er einherreiten, sind bisweilen so vorhersehbar, dass man doch sich wieder nach epischem instrumentalen Gefrickel sehnen möchte. Das gibt’s dann auch noch. Aber selbstredend erst im (ebenso selbstredend) fast acht Minuten langen Titelsong. Der dafür praktisch ohne Gesang auskommt.
6/10
Here is what is
Red Floor Records / VÖ: 18.03.2008
Räume ausloten
Tiefe, Raum, Transparenz. Und große Gelassenheit. Daniel Lanois hat sein sechstes Soloalbum auf seinem eigenen Label veröffentlicht. Das Album erscheint parallel zum gleichnamigen Film, in dem die Kamera LanoiImmer im richtigen Films ein Jahr lang verfolgt hat um „ein für allemal festzuhalten, wie es wirklich passiert“, die Kunst nämlich, eine CD zu machen. Man ahnt wohin die Reise geht. „Chest Of Drawers“ schleicht sich an, nimmt einen hypnotischen Groove auf, atmet tief durch und nimmt gefangen. In diesem ruhigen Fluss schieben sich erratische Gitarreneinwürfe. Drummer Brian Blade tut immer instinktiv das Richtige, hält alles zusammen. Verspielt, aber nicht selbstverliebt. Das gleiche Lob darf man auch Pianist Garth Hudson zollen. Im Zusammenspiel und im ausgeprägten Bewusstsein für Stimmungen manifestiert sich der unbedingte Stilwille des Produzenten Lanois, die Entwicklung von Sound, den „Geschnack“ von Musik als etwas Organisches, nichts aufgesetzt hervorgekitzeltes zu begreifen. Sind die ersten zehn Minuten noch geprägt von konzentriertem, klassischen Songwriting, so beginnet die Musik nach und nach auszufransen, zu määndrieren und wird selbst zum Kino im Kopf, getragen von der immerpräsenten, aber nie aufdringlichen Pedal Steel Guitar. Keine Musik zum nebenbei hören. Man entdeckt immer Neues: Zwingendes steht neben eher beiläufigem, fast skizzenhaften, hochglanzpoliertes gibt es erwartungsgemäß nicht. Lanois malt mit neuer Technik alte Meister. Das fast siebenminütige „Duo Glide“ mag als Beispiel dienen. Die Gitarrensounds kommen, rauh und aufgekratzt. Kontrastiert vom hart an der Grenze zur Süßpeise laufenden Refrain. Der Song lässt sich Zeit, nimmt in jeder Runde irgendwoher eine neue Nuance auf, spielt um Akkorde herum, zersägt Töne zu bunten Fetzen, nimmt wieder die Grundstimmung des Albums auf. Das kann alles sein. Die Schönheit des Lebens, vielleicht auch nur ein Zug, der im Morgengrauen ganz langsam, durch ein taufeuchtes Flusstal fährt.
7 / 10
Saison 8
L’Abeille rôde I VÖ: 10.3.2018
Prog mit Groove
Diese Südfranzosen sind wirklich progressiv im ursprünglichen Sinn, ohne dabei Hörgewohnheiten, die stets nach dem Schönen, Barocken sich sehnen, bis an die äussersten Grenzen zu strapazieren. Ein Konzertbesucher hat einmal kopfschüttelnd bemerkt: „Die Stücke sind ja viel zu kurz“. Da ist was dran, denn die Band setzt weniger auf epische Songstrukturen sondern mehr auf repetitive, eindringliche Grooves – auf diesem Album noch mehr als bisher. Im Optimalfall stellen sie ihre Spielart des Prog auf die große bunte Bühne der Weltmusik, wo es auch noch eine Nische für Chanson- und Folk-Klänge gibt. Ihre ureigene Klangwelt verbindet elektronische Elemente tief aus dem Schlund der Hölle mit akustischen Gitarren, Xylophon und brachialen Riff Attacken. Ein Charakteristikum ist die Léode, ein selbst erfundenes Saiteninstrument, das Klänge zwischen Slidegitarre, E-Bow und Stick erzeugen kann. Zeremonienmeister und Mittelpunkt ist Sänger Dominique Leonetti, der der Musik Stimme und Flügel von zerbrechlich bis fordernd verleiht – immer aber hochdramatisch. Auf französisch, versteht sich.
7/10
Musik mit Schmetterlingseffekt
Wer in Frankreich blind einkauft, was unter „Rock Francais“ einsortiert ist, wird gelegentlich überrascht, wie weit gefasst die französische Definition dessen ist, was Rock sein darf. Ähnlich verhält es sich im Sektor „Rock Progressif“. Wen man Glück hat, trifft man auf eine Perle wie Lazuli, die gerade ihr neuntes Studioalbum veröffentlicht haben.
Und es ging eine Botschaft aus von einer einzigen Note, die ein einziger Musiker auf einer einsamen Insel spielte. Aus der Note wird eine Melodie, die Melodie verbreitet sich wie eine Flaschenpost. Das ist die romantische Idee, die die Band aus Südfrankreich auf Le Fantastique Envol De Dieter Böhm entwickelt. »Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?« Diese Frage stellte der amerikanische Mathematiker und Meterorologe Edward N. Lorenz im Bezug auf Wetterprognosen, um den sogenannten Schmetterlingseffekt zu veranschaulichen. »Dieser Vergleich gefällt mir sehr«, sagt Dominique Leonetti, Sänger, Komponist und Texter von Lazuli. »Es stimmt ja: Wenn man ein Lied auf einem mickrigen Blatt Papier schreibt, allein in seinem stillen Kämmerlein, dann ist es schwer vorstellbar, dass das bei irgendjemand da draussen ein Gefühl auslösen könnte. Aber dieser Schmetterlingseffekt hat unerwartete Folgen. Es ist wie ein Geschenk, das einem in den Schoß fällt.« Mehr ansehen
Der „Country Boy“ auf Dienstgipfelhöhe
Albert Lee und Hogan’s Heroes im Jubez, Karlsruhe, 10.9.2011
Es mag eine gewisse Analogie darin liegen, dass einer der als Musiker die Songs von Größen wie Buddy Holly, Everly Brothers, Carl Perkins oder Floyd Cramer, Dolly Parton oder Eric Clapton mit seinen goldenen Händen als Sideman veredelt hat, in seinen eigenen Konzerten in ähnlicher Weise den Songs dient, die er spielt: Albert Lee erfindet sie nicht neu, sondern interpretiert sie mit seiner kongenialen Band bei aller technischen Brillanz als respektvolle und fast schon zurückhaltende Reverenz ans Original.Mehr ansehen
Elterntelefonate des Wahnsinns
Sebastian Lehmann, Tollhaus, Karlsruhe, 28.1.2022
Der Rezensent des Auftritts von Sebastian Lehmann im Tollhaus am vergangenen Freitagabend hatte mal einen Kollegen, der gelegentlich davon sprach, er werde nun gleich „aus einem Pferdeäpfelchen ein Goldstück machen“. Das könnte auf die Kunst des Wahlberliners Sebastian Lehmann zu treffen, der die Lacher des Publikum vor allem aus Telefonaten mit seinen in seiner Heimatstadt Freiburg in Rentnerritualen erstarrten Eltern saugt. Mehr ansehen
Rocken bis der Arzt kommt
Niotiz: Im Frühjahr 2019 erreichte mich ein Anruf der Stadtredaktion der Badischen Neuesten Nachrichten, für die ich im allgemeinen wenig unterwegs bin. Es gebe da ein großartige Band, bestehend nur aus Ärzten, die träten nur selten auf, aber wenn, dann oho! Mit denen sollte ich mich doch mal ins Benehmen setzen, denn nur ich könne das….Was ich auch tat, und ich war überrascht. Dass die spielen können, war eh klar. Aber da ist die ernorme Bandbreite des Repertoires und nicht zuletzt das „furchterregende“ Outfit mit Fake-Tattoos und allem, was einen echten Rocker eben so auszeichnet. Mein Bild von Ärzten war vorher ein anderes (okay, mal von dieser Berliner Band selbigen Namens abgesehen). Und vor allem: Spaß! Here we go….
Fotos: Copyright Nicole Heil
Ein Abend Anfang Mai im Karlsruher Substage: Der Laden ist voll, das Publikum tobt. Auf der Bühne schafft sich eine Band durch ein Repertoire von knüppelhartem Metal über Pop bis hin zu Schlagern. Die Herren und Damen sehen aus, wie eben Rocker aussehen: Lederklamotten. Tattoos – die ganze stilechte Optik. Erst nach fünf Zugaben geht die Party zu Ende. Aber halt: Wie hiess die Band nochmal? Like A Surgeon? Zu deutsch: Wie ein Chirurg. Man reibt sich die Ohren und staunt.
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Mit Blumen ins Wolkige
Lilly Among Clouds, Tollhaus, Karlsruhe, 20.2.2020
Es ist die pure Lebensfreude, die da auf der Bühne herumhüpft wie ein Flummi. Und dabei singt wie eine Göttin., nebenbei auch mal Bass oder Piano spielt oder das Tamburin schwingt: Elisabeth Brüchner alias Lilly Among Clouds verkörpert all das, was intelligente Popmusik auszeichnet, die sowohl dem Herz und dem Hirn, der Tanzwut und der intensiven lautmalerischen Melancholie Futter gibt. Mehr ansehen
Panik in der „Durchmisch-Arena“
Udo Lindenbergs Jubiläumsshow in der dm-arena, Karlsruhe, 5.12.2004
Anmerkung: Das Foto habe ich bei einem Konzert Jahre später in der Popakademie Mannheim gemacht
Pomp, wem Pomp gebührt. Eine goldene Figur tritt ins Rampenlicht und wirft die „Panikmaschine“ an. Die zeigt auf Breitwand an, in welches der dreißig Jahre Panikorchester gebeamt wird. Udo Lindenberg lässt klotzen. „Aufmarsch der Giganten“ heißt die Jubiläumsshow, und nach zwei Minuten steht fest, wer hier die eigentlichen Giganten sind: Das Panikorchester nämlich, eine Horde alter Haudegen, mit allen Rock’n’Roll-Feuerwassern gewaschen. „…der Trommler hinter mir rohrte los wie’n Verrückter, und der Typ da am Bass wie ein vom Jenseits Geschickter“. Stimmt alles noch. Mehr ansehen